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Soldat – noch besser Kavallerist – zu sein ist etwas Grossartiges. Das zumindest verspricht Friedrich Schillers Reiterlied aus dem Drama «Wallenstein». «Wohlauf Kameraden, aufs Pferd aufs Pferd! Ins Feld, in die Freiheit gezogen! Im Felde, da ist der Mann noch was wert. Da wird das Herz noch gewogen.» Der tapfere Soldat wirft die Ängste des Lebens weg und reitet dem Schicksal entgegen, keck.
Die forensische Psychologin Henriette Haas, die Texte von Straftätern analysiert, um Widersprüche und versteckte Botschaften aufzudecken, ist durch Zufall auf Schillers Reiterlied aufmerksam geworden. An einer «missglückten» Abdankung sei auf den Schluss des Reiterliedes als Lebensmotto des Verstorbenen hingewiesen worden, erzählt sie. Dieser lautet: «Und setzet ihr nicht das Leben ein / Nie wird euch das Leben gewonnen sein.»
Haas ging der Sache nach und fand heraus, dass es sich dabei um einen Wahlspruch der Nationalsozialisten handelt, den diese in ihrer Propaganda verwendeten. Schillers Reiterlied wurde – wie Schiller selbst – von der NSDAP vereinnahmt. Das Lied wurde in ihre Liederbücher aufgenommen und zum Soundtrack für militärische Propagandafilme. Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels belobigte Schiller als Revolutionär, der, wenn er denn in der Zeit des Nationalsozialismus gelebt hätte, «ein dichterischer Vorkämpfer » der Nazi-Revolution geworden wäre.
Haas, Professorin für Forensische Psychologie an der UZH, kam zum Schluss, dass sich Schillers Reiterlied als Fallbeispiel für eine von ihr entwickelte Analysemethode eignet. Die Analyse von Schillers Text zeigt, wie Propaganda funktioniert und wie Gewalt legitimiert wird. Die Reiter werden als Helden dargestellt, als furchtlose freie Männer, die dem Tod ins Angesicht schauen und den Kampf nicht scheuen: «Drum frisch, Kameraden, den Rappen gezäumt / Die Brust im Gefechte gelüftet!». Sie werden für ihren Mut reichlich belohnt – vom Himmel fällt ihnen zu «ein lustig Los», sie leben in Saus und Braus – und müssen nichts mit Müh erstreben, auch nicht die Gunst der Frauen – sie nehmen sich, was ihr Herz begehrt. Ganz anders sieht es für die Verlierer aus, die armseligen «Fröner», die Frohn-Arbeiter, die zeitlebens graben und schaufeln, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen. Wie die Nazis erkannt haben, ist Schillers Lied eine Blaupause für militärische Propaganda, die vor allem eines tut: sie appelliert an den männlichen Stolz und macht grandiose Versprechen.
«So funktioniert Verführung», sagt Henriette Haas, «und dies über alle Zeiten hinweg bis heute.» Dies, obwohl die ursprüngliche Absicht wohl eine andere war. Wenn man Schillers Lied im Kontext des «Wallenstein» betrachtet und seinen eigenen Werdegang als Militärarzt kennt, wird klar, dass er den im Reiterlied dargestellten leichtfertigen Enthusiasmus nicht teilte. «Das Theaterstück ist – wie Goethes Faust – eine Warnung an die Jugend, ihr Leben nicht unnütz zu vertun», sagt Haas, «Schiller kritisiert mit seinem Drama die Söldner und entlarvt ihren Lebensentwurf als verfehlt.»
Die Nazis haben mit der heroischen Inszenierung des Reiterlieds die Menschen manipuliert, die Dschihadisten im 21. Jahrhundert versprechen den jungen Männern nicht nur Lebenssinn, Ruhm und Ehre, sondern auch Wohlstand und Frauen. Eine Botschaft, die heute offenbar genauso verfängt wie vor 200 Jahren. Die Propaganda ist gleich und gleich einfach gestrickt, von den Nazis bis zu den Dschihadisten. Allen gemein ist, dass man sich nehmen kann was man will, wenn man zur Gruppe der Auserwählten gehört. Es gilt das Recht des Stärkeren.
Doch weshalb sind Menschen empfänglich für solche Botschaften? Weshalb lassen sie sich verführen? Für Haas hat das viel mit den Fantasien zu tun, die man mit dem eigenen Leben verbindet. «Wenn ich grandiose Vorstellungen davon habe, wer ich bin oder sein möchte, werde ich nur zufrieden sein, wenn ich etwas ganz Besonderes bin und von den anderen bewundert werde.» Wer findet, er müsste eigentlich ein König sein, dem dürfte das, was das ordinäre Leben zu bieten hat, nicht genügen. «Solche Leute sind deshalb chronisch beleidigt », erklärt Haas. Wer unterfüllte Fantasien von Grösse hat, bei dem verfangen solche Versprechen.
«Deshalb fühlen sich nicht nur Zukurzgekommene von solchen Botschaften angesprochen, sondern auch Mittelschichtkinder mit intakten Lebenschancen.» Doch die Versprechen sind hohl, die Konsequenzen verheerend – zuerst für die Opfer, schlussendlich auch für die Täter. Die meisten von Schillers Kameraden, die eben noch hochgemut auf dem Ross sassen, finden den Tod auf dem Schlachtfeld; die Weltherrschaftsphantasien der Nazis haben nicht nur Millionen Menschen umgebracht, sondern sie haben auch ihr eigenes Land und ihre eigene Psyche zerstört. «Faszinierend an Schillers Drama ist, dass es die Innen-Perspektive der enthusiastischen Mörder zeigt», sagt Haas, «als verführte Jugendliche und im fortgeschrittenen Alter. Sie sterben zuletzt als innerlich gespaltene, heuchlerische und verbitterte Männer.» Den Dschihadisten droht das gleiche Schicksal.