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Frau Attenberger, Sie sind Professorin an der Universität Heidelberg und als Gastprofessorin in diesem Semester an der UZH eingeladen, die Chancengleichheit in der Medizin zu fördern. Dazu einige Zahlen: 57 Prozent der Medizinstudierenden an der UZH sind weiblich – bei den Lehrstühlen und Klinikdirektionen beträgt der Frauenanteil nicht einmal 14 Prozent. Ist das in Deutschland auch so?
Ja, auch an deutschen Universitätskliniken gibt es vergleichbare Statistiken. Frauen übernehmen signifikant weniger Leitungsfunktionen. Es gibt wenig Klinikdirektorinnen oder Professorinnen mit einem Lehrstuhl. Von insgesamt 34 Lehrstühlen in meinem Fachgebiet – der Radiologie – sind derzeit nur zwei Lehrstühle von Frauen besetzt. Das spricht Bände. Gerade Leitungspositionen sind enorm wichtig, weil hier Weichen in der strategischen Ausrichtung von Forschung, Lehre und Krankenversorgung gestellt werden.
Was ist zu tun, um das Missverhältnis auszugleichen?
Wir benötigen mehr erfolgreiche Rollenmodelle, um jüngere Kolleginnen zu motivieren, eine akademische Laufbahn einzuschlagen und bis zur Professur durchzuhalten.
Sie haben eine beeindruckende Vita. Mit nur 36 Jahren sind Sie bereits auf dem Weg zur Ordinaria. Was haben Sie anders gemacht?
Ich habe früh beobachtet, dass es für Mütter mit kleinen Kindern deutlich aufwendiger ist, die Facharztausbildung abzuschliessen als für Männer. Die Habilitation wird mit Kindern nochmals aufwendiger und ein Stück weit unwahrscheinlicher. Für mich war schon als Studentin klar, dass ich erst meine Facharztweiterbildung abschliessen wollte, bevor ich an Familiengründung denke. Zum anderen habe ich beobachtet, dass die Habilitation die Eintrittspforte für eine Leitungsfunktion – und damit einen grösseren persönlichen Gestaltungsraum – an einer Universitätsklinik ist. Ich bin da ganz strategisch vorgegangen.
Sie haben sich früh auch für eine Karriere in der akademischen Medizin entschieden. Warum?
Mit etwa Mitte 20 wusste ich, dass ich nicht rein klinisch arbeiten, sondern als Wissenschaftlerin die Entwicklung meines Fachgebietes mitgestalten wollte. Mein wissenschaftliches Interesse war der Motor meiner akademischen Karriere. Mir war dabei immer klar, dass ich als Medizinerin nicht mit absolut geregelten Arbeitszeiten rechnen kann. Das habe ich bereits von Kind an gesehen. Mein Vater ist Arzt und es war für mich normal, dass an Wochenenden, Feiertagen und auch nachts gearbeitet werden muss und das Ende eines Arbeitstages nicht immer strikt planbar ist. Ich denke auch, dass man – um eine Chefposition verantwortungsvoll ausfüllen zu können – sehr belastbar sein muss.
Als Gastprofessorin sind Sie nun an der UZH und wollen Medizinerinnen anleiten, Führungsaufgaben zu übernehmen. Wie gehen Sie vor?
Als Anna Fischer-Dückelmann-Gastprofessorin habe ich die Gelegenheit, mich intensiv mit dem Thema Frauenförderung in der Medizin zu befassen. An der UZH und dem Universitätsspital wurden bereits wichtige Förderungsprogramme umgesetzt. Mich interessieren nun weitere Facetten: die Sicht der Klinikdirektionen, die der Leitenden Ärztinnen und Oberärztinnen und der Assistenzärztinnen. Es geht darum, noch genauer die Ursachen für die «Leaking Pipeline» zu erfassen; Kinderbetreuung ist meines Erachtens nur eine Komponente eines komplexen Gesamtbildes.
Zudem möchte ich als Mentorin Frauen fördern und sie motivieren. Mit bestimmten Aspekten der Führung tun sich Frauen, die eher auf Ausgleich und Harmonie ausgerichtet sind, schwerer als Männer. Wir starten deshalb im Rahmen der «Anna Fischer-Dückelmann Gastprofessur» ein neues Pilotprojekt: Betriebswirtschaftlerinnen in Führungspositionen betreuen als Mentorinnen Medizinerinnen. Damit eröffnen sich für die Medizinerinnen neue Sichtweisen auf Strategie, Auftreten und Führungswillen. Führungskompetenzen muss man erlernen und einüben.
Fehlt es am Willen, Führung zu übernehmen?
Vielen Medizinerinnen fehlt das Zutrauen, eine Leitungsposition zu übernehmen, selbst wenn sie exzellent ausgebildet sind. Hinzu kommt, dass Frauen zu spät eine Strategie für ihre Karriere entwickeln. Sie studieren zwar sehr fleissig und streben dann einen Facharzttitel an. Aber sie müssten bereits während der Facharztweiterbildung deutlich äussern: «Ich möchte Oberärztin, leitende Ärztin werden. Ich will eine akademische Karriere machen. Ich möchte eine Führungsposition übernehmen.»
Verhält sich auch die nachwachsende Medizinerinnen-Generation so zögerlich?
Studentinnen und junge Medizinerinnen sind oftmals zu wenig zielstrebig. Sie nehmen eine abwartende Haltung ein und beschliessen im Stillen, dass Karriere und Kinder sich ausschliessen. Männer dagegen äussern sich ganz klar und beanspruchen früh eine Karriere. Frauen sind oftmals zu selbstkritisch und zu perfektionistisch. Auch das behindert sie auf ihrem Weg.
An Chancengleichheit in der Medizin arbeitet man ja seit längerem, ohne dass sich die Situation entscheidend geändert hätte. Wäre es nicht besser, eine Frauenquote einzuführen?
Früher habe ich mich gegen eine Quote gewehrt. Keine Frau will eine sogenannte «Quotenfrau» sein und sich damit hinter vorgehaltener Hand vorwerfen lassen: «Die hat ja nur den Job, weil sie eine Frau ist und nicht weil sie dafür qualifiziert ist». Heute bin ich jedoch der Meinung, dass wir die Quote zumindest für eine gewisse Zeit benötigen. In den Berufungsverhandlungen darf es auf Dauer keinen Unterschied mehr machen, ob eine Frau oder ein Mann sich bewirbt. Die Skepsis, dass eine Frau führen kann, ist bei Berufungsverhandlungen oftmals spürbar, aber nicht greifbar und messbar. Vielleicht ist es Kommissionsmitgliedern auch gar nicht direkt bewusst.
Es gibt auch einen gewissen Anteil an Medizinerinnen, die später gar nicht als Ärztinnen arbeiten.
Ein Medizinstudium ist relativ teuer und eine Medizinerin, die gar nicht arbeitet, ist – salopp gesagt – eine Fehlinvestition. Es muss allen bewusst sein, dass mit dem Abschluss des Medizinstudiums auch ein gewisser gesellschaftlicher Auftrag zur Aufrechterhaltung der Krankenversorgung besteht – gerade im Hinblick auf den erwarteten demographischen Wandel. Wichtig ist, dass der einzelne Arzt oder die Ärztin sich der Investitionen, die die Gesellschaft für die Ausbildung aufbringt, bewusst ist und für die ärztliche Versorgung dann auch zur Verfügung steht.
Welche Anreize kann man schaffen, damit die Frauen nicht aus dem System kippen?
Es ist wichtig, Medizinerinnen, die in die Forschung wollen, über Förderprogramme eine gewisse Zeit für die Forschung freizustellen. Mit dem UZH-Förderprogramm «Filling the Gap» hat man diesen Weg bereits eingeschlagen. An der Universität Heidelberg gibt es unter anderem speziell für Frauen mit Kindern Habilitationsstipendien. Ich halte dies für ein sehr sinnvolles Instrument. Es ermöglicht Frauen nach Abschluss der Facharztweiterbildung eine Familie zu gründen und eine Habilitation zu schreiben.
Kinderversorgung und flexible Arbeitszeiten sind jedoch nur das eine. Solange es keine Selbstverständlichkeit ist, dass Frauen Führungspositionen anstreben und ausfüllen, sind wir von dem Ziel, die gläserne Decke zu durchbrechen, noch weit entfernt.