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Regierungsrätin Silvia Steiner im Interview

«Studierende mit Praxiserfahrung sind im Vorteil»

Regierungsrätin Silvia Steiner spricht im Interview mit UZH-News über ihre Zeit als Jurastudentin, über ihre Doppelrolle als Bildungsdirektorin und Universitätsrats-Präsidentin sowie über das Verhältnis von UZH und Kanton.
Interview: David Werner

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Trat nach ihrer Wahl in den Regierungsrat im Frühjahr 2015 die Nachfolge von Regine Aeppli als Bildungsdirektorin an: Silvia Steiner. (Bild: zVg)

Frau Steiner, Sie haben 1984 Ihr Jurastudium an der Universität Zürich abgeschlossen. Denken Sie gerne an Ihre Studienzeit zurück?

Silvia Steiner: Es war eine gute Zeit. Besonders gerne erinnere ich mich an den intellektuellen Wettstreit, den sich meine Strafrechtsprofessoren Peter Noll und Jörg Rehberg lieferten. Sie pflegten ihre fachlichen Differenzen mit Verve und Hingabe. Wie sie in ihren Vorlesungen mit spitzen Bemerkungen aufeinander anspielten, war nicht nur unterhaltsam, sondern vor allem auch sehr anregend.

Wie hat sich die UZH seit Ihrer Studienzeit verändert?

Meine Tochter hat wie ich Jura studiert, ich kann daher die damalige Situation gut mit der heutigen vergleichen. Heute bekommen Studierende viel mehr Rückmeldungen zu ihren Studienleistungen. Das sehe ich als einen Vorteil. Ein Nachteil des heutigen Systems ist, dass die Freiräume kleiner geworden sind. Als Studentin fand ich diese Freiräume wichtig – nicht zuletzt deshalb, weil ich während meines ganzen Studiums erwerbstätig war.

Was arbeiteten Sie denn als Studentin?

Ich war Mädchen für alles im Radio-TV-Geschäft meiner Eltern: Buchhaltung, Inkasso, Verkauf, Service. Teilweise habe ich das Geschäft sogar selbst geführt. Ausserdem habe ich Spitzensport betrieben, Handball.

Würden Sie das heute wieder so machen?

Sofort!

Und weshalb?

Aus zwei Gründen: Erstens bekam ich durch meine Nebenbeschäftigung einen lebendigen Bezug zu meinem Studienfach, da ich es mir zur Gewohnheit machte, alles, womit ich im Geschäft meiner Eltern in Berührung kam,  unter juristischen Gesichtspunkten nochmals zu durchdenken. Zweitens erleichterte mir die Tatsache, dass ich schon Praxiserfahrung hatte, den Berufseinstieg.

Manche sind der Ansicht, Studierende sollten ihre Zeit nicht mit unqualifizierten Arbeiten vertrödeln, sondern ihr Studium rasch durchziehen, um noch möglichst jung ihre Berufskarriere zu beginnen.

Bei angehenden Forschenden mag es sinnvoll sein, so zu argumentieren. Doch die Universität bildet nicht nur Forschende aus. Die meisten Studienabsolventinnen  und -absolventen verlassen die Universität nach dem Studium. Wir sollten realistisch genug sein und uns eingestehen, dass sie zu diesem Zeitpunkt noch längst nicht ausgelernt haben. Beim Berufseinstieg müssen sie nochmals ganz von vorne anfangen. Sie müssen sich – wie Lehrlinge – erst noch in die Praxis einarbeiten. Wer schon während des Studiums praktische Erfahrungen gemacht hat, ist da im Vorteil.

Macht es bei Bewerbungen nicht den besseren Eindruck, wenn man belegen kann, dass man das Studium effizient durchgezogen hat?

Ich glaube, dass es einen mindestens so guten Eindruck macht, wenn man Praxiserfahrungen nachweisen kann. Problematisch ist dagegen, wenn Studierende erst nach langer Zeit merken, dass ihnen das Studium nicht entspricht. Wir müssen dafür sorgen, dass dies möglichst selten vorkommt. Studienberatung ist schon auf Gymnasialstufe wichtig. Und an den Hochschulen sollten die Studierenden möglichst frühzeitig ein Feedback darüber erhalten, ob sie für das von ihnen gewählte Fach geeignet sind oder nicht.

«Am unmittelbaren Nutzen kann man den Ertrag von Bildung nicht messen», sagt Silvia Steiner. (Bild: zvG)

Sie standen als Chefin der Kriminalpolizei bereits voll im Berufsleben, als Sie beschlossen, noch eine Dissertation zu schreiben. Wie kam es dazu?

Mich reizte es, einmal empirisch zu forschen und die entsprechenden Methoden kennenzulernen. Ich hatte in meinem damaligen beruflichen Spezialgebiet, der häuslichen Gewalt, viel mit Statistiken zu tun. Sie waren meist ziemlich dilettantisch gemacht, was mich ärgerte. Ich beschloss, die vorliegenden Daten selbst zu analysieren, um daraus präventive Massnahmen für die Polizeiarbeit abzuleiten.

Eine Dissertation zu schreiben ist mit viel zeitlichem Aufwand verbunden. Hat sich der Aufwand für Sie gelohnt?

Nun, in eine höhere Lohnklasse wurde ich wegen meines Doktortitels nicht befördert (lacht). Aber so war Ihre Frage ja wohl nicht gemeint. Bildung funktioniert doch so: Man wächst an der Mühe, die man investiert. Am unmittelbaren Nutzen kann man den Ertrag von Bildung nicht messen. Mich hat es beruflich enorm beflügelt, mein Tätigkeitsfeld einmal wissenschaftlich zu durchdenken. Die Arbeitstechniken, die ich mir damals aneignete, kommen mir heute noch zugute, und auch sonst war meine Doktorarbeit für mich in verschiedenster Hinsicht ein grosser Gewinn.

Im Frühjahr 2015 wurden Sie in den Regierungsrat gewählt. Hatten Sie damit gerechnet, dass Sie das Bildungsressort erhalten würden?

Ich hatte mit überhaupt nichts gerechnet. Aber ich bin sehr glücklich, dass ich die Bildungsdirektion habe übernehmen dürfen.

Sie waren bis zu Ihrer Wahl zur Bildungsdirektorin Staatsanwältin. Nun haben Sie es auf einmal nicht mehr mit Richtern und Straffälligen zu tun, sondern mit Rektoren, Studierenden und Schülern. War das ein grosser Sprung?

Die Blickrichtung ist eine andere. Die Justiz blickt rückwärts, sie beschäftigt sich mit Fehlverhalten in der Vergangenheit. Im Bildungswesen schaut man vorwärts und gestaltet die Zukunft.Trotzdem war die Umstellung für mich weniger gross, als man von aussen gesehen vielleicht annehmen würde. Ich muss ja nicht selbst unterrichten, sondern für gute Rahmenbedingungen im Bildungswesen sorgen. Das Wissen und Können, das man für die politische Arbeit und das Führen von Menschen benötigt, ist in allen Ressorts etwa dasselbe.  

Es gab also nicht so viel, was Sie in Ihrem neuen Amt überraschte?

Doch, natürlich. Ich habe im Laufe der letzten Monate unzählige neue Einblicke in die Welt der Bildung erhalten. Ich lerne praktisch jeden Tag dazu.

Welches war bisher Ihre wichtigste Erkenntnis?

Die für meine eigene Funktion wichtigste Erkenntnis war, in welchem Ausmass die Koordination des Bildungswesens im Kanton Zürich von der Bildungsdirektion abhängt. Ich bin als Bildungsdirektorin die einzige gemeinsame Schnittstelle aller Organisationen und Institutionen im Kanton, die etwas mit Bildung zu tun haben. Es liegt also zu einem guten Teil an mir, die verschiedenen Player miteinander ins Gespräch zu bringen.

Als Bildungsdirektorin sind sie auch Präsidentin des Universitätsrats. Wie sehen Sie Ihre Rolle als Präsidentin des Universitätsrats?

Der Universitätsrat ist das strategische Organ der Universität und füllt diese Rolle in Zusammenarbeit mit der Universitätsleitung aus; daneben nimmt der Universitätsrat die unmittelbare Aufsicht über die UZH wahr. Als Präsidentin des Universitätsrats stehe ich an der Scharnierstelle zwischen Universität und Kanton und stelle sicher, dass der Kanton in die strategische Meinungsbildung und in die Aufsicht der UZH eingebunden ist. Ich werde diese Rolle mit Zurückhaltung wahrnehmen, werde gute Entwicklungen fördern und zudem Transparenz und die ordnungsgemässe Durchführung der Prozesse einfordern. In operative Geschäfte der UZH werde ich mich aber nicht einmischen.

Die Personalunion von Bildungsdirektorin und UR-Präsidentschaft sehen manche kritisch. Eine Einzelinitiative, die im Kantonsrat noch hängig ist, will durchsetzen, dass der Universitätsrat künftig nicht mehr von einem Mitglied des Regierungsrates präsidiert werden kann und dass die Bildungsdirektion nur noch mit beratender Stimme im Universitätsrat vertreten ist. Was sagen Sie dazu?

Ich glaube, der Kantonsrat wird sich überzeugen lassen, dass die Kritik, die an der Doppelfunktion von Bildungsdirektion und UR-Präsidentschaft geübt wird, unbegründet ist. Die Doppelfunktion ist sinnvoll, weil so der direkte Kommunikationsfluss zwischen Universität und Kanton am besten gewährleistet ist, aber auch, weil so die Koordination mit den anderen Bildungsstufen gewährleistet werden kann.

Gibt es keine Interessenkonflikte zwischen Ihrer Rolle als Bildungsdirektorin und derjenigen als Präsidentin des Universitätsrats?

Nein, es gibt keine Interessenkonflikte, und zwar deshalb nicht, weil die Interessen, die ich in den beiden Rollen vertrete, deckungsgleich sind.

«Ich bin überzeugt, dass an der Universität Zürich die Forschung zu spezifisch schweizerischen Themen nicht zu kurz kommt», sagt Bildungsdirektorin Silvia Steiner.

Die UZH hat vor drei Jahren in den Strategischen Zielen 2020 festgelegt, in welche Richtung sie sich entwickeln will. Sollte Ihrer Meinung nach etwas an diesen Zielen geändert werden?

Nein. Ich stehe voll hinter diesen Zielen. Sie sind so formuliert, dass überprüfbar ist, ob sie erfüllt wurden oder nicht, das finde ich sehr gut. Ausserdem finde ich es richtig, dass sich die UZH diese Ziele selbst vorgegeben hat. Selbstgesetzten Zielen kommt eine Institution mit viel mehr Überzeugung nach als solchen, die von aussen vorgeschrieben wurden.

Wie sind nach Ihrem Dafürhalten die Beziehungen zwischen der UZH und dem Kanton?

Die UZH hat einen ganz hohen Stellenwert für den Kanton. Sie ist ohne Zweifel unser Kronjuwel. Die Kantonsrätinnen und -räte  sind stolz auf die UZH, das merke ich in jeder Sitzung. Erst kürzlich wieder hat eine Wertschöpfungsstudie gezeigt, wie wichtig die Universität für den Standort Zürich ist. Der Kanton hat höchstes Interesse daran, dass die UZH ihr hervorragendes Niveau bewahrt. Nicht ganz so unbestritten ist die Autonomie der UZH. Ich stelle immer
wieder fest, dass manche Kantonsrätinnen und -räte es gerne sähen, wenn der Kanton sich stärker in die operativen Belange der Universität einmischen würde.

Was ist Ihre Meinung dazu?

Ich bin überzeugt, dass die UZH sich als autonome Institution am besten entfalten kann. Die Bedingung für funktionierende universitäre Autonomie ist allerdings, dass die Universität als Ganzes stark genug ist, um ihre Gesamtinteressen gegenüber Einzelinteressen durchzusetzen. Die Universität soll kein Verein von Kleingärtnern sein, die nur darauf achten, wie sie ihre Parzellen am besten beackern können. Die Angehörigen der UZH sollten gemeinsame Ziele verfolgen. Rektor Michael Hengartner fördert diesen Geist an der UZH ausgezeichnet auf seine kommunikative Art. In meinen Augen ist es überhaupt die wichtigste Aufgabe von Führungspersönlichkeiten, die Mitarbeitenden dazu zu bringen, miteinander zu sprechen und gemeinsame Interessen anzuvisieren.

Wie stellt der Kanton als grösster Geldgeber der UZH eigentlich fest, ob die UZH die Erwartungen erfüllt oder nicht? Achten Sie zum Beispiel auf  Rankingergebnisse?

Ich gebe nicht so viel auf Rankingresultate. Ich nehme sie zur Kenntnis, aber mit kritischem Vorbehalt. Wie die Resultate ausfallen, ist immer eine Frage der Erhebungsmethode. Klar: würde die Uni plötzlich in den Rankings 50 Plätze zurückfallen, müsste man den Gründen nachgehen. Es gibt aber für mich wichtigere Indikatoren als Rankings. Zum Beispiel interessiert mich sehr, ob die Wirtschaft mit den UZH-Absolventinnen und –Absolventen zufrieden ist. Bisher habe ich von dieser Seite eigentlich nur Positives gehört. Auch die Zufriedenheit der Studierenden ist mir wichtig.

Eine Frage zur Lehre: Die UZH ist zur Zeit daran, die Studienbedingungen zu vereinfachen und transparenter zu gestalten. Wie stehen Sie dazu?

Ich unterstütze dies vorbehaltlos. Diese Massnahmen müssen wieder zu mehr Selbstverantwortung der Studierenden führen. Sie sollen mehr Flexibilität und auch mehr Mobilität bringen. 

Die UZH ist gegenwärtig daran, einige organisatorische Neuerungen einzuführen. Auch die Universitätsleitung selbst soll neu strukturiert werden. Ist sie damit auf dem richtigen Weg?

Ja. Wobei mir am wichtigsten scheint, dass am Ende alle Beteiligten noch mit im Boot sind. Ich finde es deshalb gut, dass die UZH eine breit abgestützte Vernehmlassung zu diesem Vorhaben durchgeführt hat. Dass dadurch die Neustrukturierung etwas länger dauert, kann man in Kauf nehmen.

Halten Sie es für richtig, die Fakultäten enger in die Universitätsleitung einzubinden?

Die Fakultäten sollten im wissenschaftlichen Bereich möglichst viele Freiheiten haben, zugleich aber sollten sie die gesamtuniversitären Entscheidungen und Strategien mittragen. Deshalb sollte man sie unbedingt möglichst gut in gesamtuniversitäre Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse einbeziehen.

Wie kann das Zusammenspiel von UZH, universitären Spitälern und ETH am Medizin-Standort Zürich am besten gestaltet werden?

Das Zusammenspiel zwischen diesen sehr verschiedenen Partnern ist bekanntlich höchst anspruchsvoll. Es braucht an der Schnittstelle eine starke Persönlichkeit mit vielfachen Bezügen zur Fakultät und zur Politik, damit dieses Zusammenspiel funktioniert. Ich halte daher den Beschluss für richtig, dafür innerhalb der Universitätsleitung eine neue Position zu schaffen – diejenige eines Direktors universitäre Medizin.

Die Standorte Zentrum und Irchel müssen stark ausgebaut werden, damit die Universität ihre Raumprobleme lindern kann. Wie viel Support erhält die Universität dafür vom Regierungsrat?

Sie erhält dafür den vollen Support. Ich glaube, das Vorhaben ist auf gutem Weg. Die Ziele, die UZH gesteckt hat, sind ehrgeizig, aber realisierbar.

Zur Strategie der UZH gehört es, in ausgewählten Bereichen der Forschung zur Weltspitze zu gehören. Warum soll an der UZH überhaupt internationale Spitzenforschung getrieben werden?

Weil es einen günstigen Effekt auf die Qualität der Gesamtuniversität hat. Starke Forschende ziehen weitere starke Forschende an. Starke Leistungen färben auf die Gesamtinstitution ab, weil andere sich daran orientieren.

Die UZH ist international ausgerichtet und zugleich lokal verwurzelt. Stimmt Ihrer Wahrnehmung nach die Balance?

In der Forschung stimmt die Balance, die Lehre sollte sich meiner Auffassung nach noch internationaler ausrichten. Die Studierenden müssen lernen, in globalen Zusammenhängen zu denken. Sie sollten vermehrt Auslandsemester absolvieren. Damit dies geschieht, sollten die Hürden zur Anerkennung der im Ausland erworbenen Credits heruntergesetzt werden.

Sehen Sie eine Notwendigkeit, zukünftig bei der Besetzung von Lehrstühlen darauf zu achten, dass in Forschung und Lehre thematisch ein gewisser Schweiz-Bezug sichergestellt wird?

Ich bin überzeugt, dass an der Universität Zürich die Forschung zu spezifisch schweizerischen Themen nicht zu kurz kommt. Die Kritik, die diesbezüglich in den Medien hin und wieder laut wird, empfinde ich als sehr selektiv. Meiner Beobachtung nach ist es an der UZH unbestritten, dass in Forschung und Lehre auch lokalspezifische Themen eine angemessene Rolle spielen sollen.

Sollten mehr Schweizerinnen und Schweizer auf Lehrstühle berufen werden?

Es sollten für die jeweiligen Lehrstühle die besten Leute berufen werden. Unabhängig davon, ob sie Schweizerinnen und Schweizer sind.

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