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Versetzen wir uns in eine andere Zeit und schauen uns um an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich im Wintersemester 1943. Zwölf Professoren betreuen insgesamt etwa 100 Studierende. Das Studium ist nicht reglementiert, jeder besucht die Vorlesungen, die er interessant findet oder als notwendig erachtet, als Abschluss ist nur das Doktorat vorgesehen – eine einzige grosse Prüfung steht damit ganz am Ende des Studiums. Die Professoren haben keine Besprechungszimmer, sie arbeiten zu Hause und dort empfangen sie auch ihre Studierenden zur Sprechstunde.
Einer der Dozierenden ist Zaccaria Giacometti. Er ist ein strenger Dozent, berühmt aber auch gefürchtet und ein Charakterkopf. Und er hat einen zurückhaltenden Charme. Dorothea Henauer studiert als eine von fünf Frauen ihres Jahrgangs in Zürich Recht. Sie besucht erst seit einigen Wochen seine Vorlesungen und trifft unvermutet den Professor an der Bahnhofstrasse. Er erkennt sie und grüsst höflich. Was sie besonders beeindruckt: Giacometti trägt immer eine rote Rose im Knopfloch. Anders Giacomettis Schüler Werner Kägi: Er beschreibt seinen Lehrer als schmucklos und nüchtern Vortragenden, der sich jedoch ganz der Sache hingeben konnte.
Wie die Anekdoten von Dorothea Henauer und Werner Kägi gibt es viele Geschichten über den berühmten Staatsrechtler und Dozenten Zaccaria Giacometti. Versammelt sind sie in einem neuen Buch, das Andreas Kley, Ordinarius für öffentliches Recht an der UZH, unter dem Titel: «Von Stampa nach Zürich. Der Staatsrechtler Zaccaria Giacometti, sein Leben und Werk und seine Bergeller Künsterfamilie» veröffentlicht hat.
Fragt man Andreas Kley, warum er eine umfangreiche Monographie über Zaccaria Giacometti (1893-1970) verfasst hat, nennt er die Faszination, die der grosse Staatsrechtler auf ihn ausgeübt habe. Giacometti sei gradlinig und nicht korrumpierbar gewesen. In der Zeit, als das autoritäre Denken auch in der Schweiz viele Sympathisanten hatte, blieb er ein Verfechter des Liberalismus und des Rechtsstaates, der gegen jede autoritäre Herrschaft skeptisch eingestellt war und stets die Demokratie verteidigte.
«Seine Person verkörpert für mich ein Ideal», sagt Kley und vermutet, dass Giacometti heute noch mehr anecken würde, als er das in seiner Zeit getan hat, weil er stets eine liberale Denkweise vertreten hat. «Im Unterschied zu seinen Professorenkollegen an den Rechtfakultäten machte die Treue zum eigenen Denken aus ihm einen Nonkonformisten.»
Kley würdigt in seinem Buch den Rechtsgelehrten Giacometti, geht aber auch ausführlich den Spuren seiner Herkunft im Bergell nach. Zaccaria war der Cousin des bekannten Künstlers Alberto Giacometti. Giovanni Giacometti, ebenfalls ein Künstler, war ein Cousin zweiten Grades und angeheirateter Onkel von Zaccaria. Der Architekt Bruno Giaocmetti war ebenfalls ein Cousin wie auch der Designer Diego Giacometti. Als Waise (ab 11 Jahren) wuchs er mit seinen Cousins zusammen auf und stand Giovanni und Alberto immer wieder Modell. Kein Staatsrechtslehrer der Welt ist von so berühmten Künstlern so häufig gezeichnet und gemalt worden.
Am kommenden Montag findet am Rechtswissenschaftlichen Institut die öffentliche Buchvernissage statt: 19. Mai 2014, 18.15 Uhr, Rämistrasse 74, Hörsaal G 041 im 1. Stock.
Eine weitere Buchvernissage findet im Bergell statt.