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Der ehemalige Rektor der Universität Zürich, Hans Heinrich Schmid, verstarb am 5. Oktober im Alter von 77 Jahren. Schmid leitete die UZH von 1988 bis 2000 und wurde zum «Vater der Universitätsreform». Er gab den Anstoss für dieses fast ein Jahrzehnt dauernde Projekt, das die Universität Zürich im Jahr 1998 schliesslich in die Selbständigkeit geführt hat. Die Abdankung ist am 23. Oktober, 14.30 Uhr, in der Kirche St. Peter in Zürich.
Schmid war Professor für alttestamentliche Wissenschaft und allgemeine Religionsgeschichte, er war ein vielseitiger Wissenschaftler und ein wegweisender Rektor.
Wir lassen ihn im folgenden selbst zu Wort kommen und veröffentlichen eine gekürzte Fassung eines Aufsatzes aus dem Jahr 2002, den Schmid für einen akademischen Freundeskreis schrieb. Darin zeichnet er seinen Lebensweg mit Humor und Wortwitz nach und beschäftigt sich mit vielen Fragen, die die UZH auch heute noch umtreibt.
«Hans Heinrich Schmid, geboren an 22. Oktober 1937 (noch ‹Vorkriegsware›, mit noch mancherlei eigenen Erinnerungen an die Zeit des Krieges),
aufgewachsen in Oberwinterthur, Zürich-Oerlikon und Zürich-St. Peter, in einem weltanschaulich, politisch und religiös ausdrücklich liberalen Milieu,
verheiratet mit Christa Schmid, geb. Nievergelt, Lehrerin, Mutter, Hobby-Pianistin, vier erwachsene Kinder (…),
Vater: Gotthard Schmid, Pfarrer; ‹freisinniger› Theologe, begabter Prediger, guter Lehrer, Didaktiker, Publizist und Seelsorger, engagierter Feldprediger (…), Dr. h.c. Universität Zürich, Workaholic (mit 59 Jahren verstorben),
Mutter: Erika Schmid, geb. Hug, Pfarrfrau im wahrsten Sinne des Wortes.»
«Sollte mir der Weg zur Theologie in die Wiege gelegt worden sein, so habe ich es jedenfalls während längerer Zeit nicht gemerkt. Lehrer wollte ich werden, und ich habe in unserem Primarschulhaus mehrfach als Fünft- oder Sechstklässler in unteren Primarklassen unterrichtet. So zog es mich denn überhaupt nicht ans Gymnasium … Es war mein Primarlehrer, der die Weichen anders stellte. Er erklärte mir, dass ich durchaus ans Gymnasium sollte. (…)
Der Vater konnte sich mit Anstand im Hintergrund halten und hatte doch die Freude, einen seiner Sprösslinge in seine Stapfen stapfen zu sehen. Was lag für mich da näher, als auch noch zu promovieren und zu habilitieren. Dies ging fast automatisch: Mit 29 Jahren war ich Privatdozent, und noch vor meinem 30. Geburtstag stand ich in der auch manchen anderen bekannten Situation, ob man sich schon als Assistenzprofessor ‹Professor› nennen dürfe, könne, solle oder müsse.»
«Die Schleudersitz-Situation der Assistenzprofessur dauerte nicht lange: Nach anderthalb Jahren waren wir nach Bielefeld umgezogen, und ich hatte Katheder und Büro als C4-Professor an der Kirchlichen Hochschule Bethel b. Bielefeld. Die Jahre, die wir da verbrachten, waren wirklich Lehr- und Wanderjahre: Ich war frei von den vielerlei Beziehungen und Belastungen, in denen ich in Zürich verhaftet war, und ich konnte und musste selbständig arbeiten. Gleichzeitig erlebte ich die 68er Jahre nicht nur aus der Ferne, sondern aus nächster Nähe (und am eigenen Leib). (…)
Engagiert habe ich mich in dieser Zeit des Kalten Krieges auch in der Brückenbildung zwischen Ost und West, und als (einjähriger) Rektor an der Hochschule Bethel konnte ich schon einiges vorauslernen, was mir später sehr zupass kam.»
«Es war mir fast etwas zu früh, als ich schon nach sieben Jahren den Ruf zurück nach Zürich erhielt. Ich hätte es gut und gern noch etwas länger in Deutschland ausgehalten – und wäre ich damals nicht zurück, hätte es mich vermutlich nach Hamburg verschlagen. Doch in Zürich standen beide Alttestamentler vor der Emeritierung, was nach menschlichem Ermessen für meine Rückkehr bedeutete: jetzt oder nie. Und ich wählte – noch nicht einmal 40-jährig – das ‹Jetzt›, auch wenn mich die Perspektive etwas beschäftigte, während der kommenden 25 Jahre auf ein und demselben Lehrstuhl sitzen zu müssen.»
«Doch das Schicksal hatte auch von Zürich aus noch etwas mit mir vor. Nein, (noch) nicht das Rektorat, sondern zuerst noch eine Aufgabe an der scientific community.
Gott allein weiss (jedenfalls im einzelnen), wie es dazu kam, dass gerade ich während sechs Jahren die grösste wissenschaftliche Theologische Gesellschaft mit all ihren Einzeldisziplinen präsidieren und drei grosse Kongresse massgeblich mitgestalten konnte (Zürich 1984, Wien 1987, Dresden 1990). Ich gebe jedenfalls zu, dass mir diese Aufgabe Spass gemacht hat. Dass ich dabei einmal öffentlich als ‹höchster protestantischer Theologe Europas› apostrophiert wurde, war zwar nett, aber doch wohl eher humoristisch gemeint. (…)
«Mit dem Dresdner Kongress von 1990 gab ich das Präsidium der Gesellschaft ab. Inzwischen war ich allerdings bereits seit zwei Jahren Rektor der Universität Zürich.»
«Das rasante Wachstum der Studentenzahlen seit den 60er Jahren hatte bis 1988, dem Jahr meines Amtsantritts als Rektor, bereits seine ersten Höhepunkte erreicht. (…)
Noch haben nicht alle, die sich mit der Universität befassen, realisiert, was in diesem Aufbruch eigentlich geschah, und noch nicht alle haben gemerkt, dass sich damit die Universität nicht unwesentlich veränderte.
War die Universität bisher doch eine in gewisser Weise ‹besondere Bildungsanstalt›, mit einem spezifisch akademisch-intellektuellen Auftrag, der lange auch als das verstanden wurde, ist die Universität inzwischen in manchen Bereichen schlicht zur Regelinstitution der höheren schulischen Bildung geworden. Der Schritt von Bildung zur Ausbildung ist sichtbar, die zunehmende Verschulung nicht minder. (…)
Der Aufschwung der Forschung spiegelt sich weiterhin in den immer grösser werdenden Forschungseinheiten, insbesondere in den instituts-, fakultäts- und sogar hochschulübergreifenden Kompetenzzentren. (…)
Eine besonders auffällige Weiterentwicklung vollzog sich in den Sozialwissenschaften, die sich immer mehr von den Geisteswissenschaften emanzipieren und (gerade deshalb?) für die Studierenden in den letzten Jahren an Attraktion erheblich gewonnen haben. (…)
In all diesen Vorgängen spiegelt sich, dass sich auch das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft verändert, und dieser Wandel wird an Bedeutung noch gewinnen.» (…)
«Wie schön wäre eine Universität ohne eine (externe) Hochschulpolitik! Als wir Anfang der 1990er Jahre die inzwischen dringlich gewordene Zürcher Universitätsreform in Gang setzten, wollte die Politik, vertreten durch Erziehungsdirektor Gilgen, davon nichts wissen. Die Professoren seien ja nicht in der Lage, sich selber zu leiten, sie seien doch letztlich alle Egoisten. Allerdings legte er uns auch keine Knüppel zwischen die Füsse; er ging davon aus, dass sich die ganze Sache ohnehin im Sande verlaufe.
Die Sache verlief sich nicht im Sand. Im Gegenteil: In einer breit abgestützten Projektarbeit analysierten wir die Verhältnisse und erarbeiteten die neuen Strukturen.
Der Senat unterstützte diesen Weg mit eindrücklichen Abstimmungsergebnissen. Als wir unser Gesetz formuliert hatten und nur noch den politischen Rückenwind brauchten, übernahm Ernst Buschor die Erziehungsdirektion und überzeugte die Regierung und den Kantonsrat von der Richtigkeit unseres Vorstosses. Am 1. Oktober 1998 trat das neue Zürcher Universitätsgesetz in Kraft.
Da eine Institution der Art und Grösse unserer Universität nicht mehr zentralistisch, von aussen und von politischen Instanzen geleitet werden kann, musste sie sich angesichts der sich immer schneller wandelnden Verhältnisse zwingend selbst organisieren und auch leiten können.
So wurde mit dem neuen Gesetz die bisherige enge Einbindung der Universität in die staatlichen Strukturen und Abläufe aufgelöst. Die Leitungsfunktionen, die bisher in der Hand der Regierung, des Erziehungsrates und der Erziehungsdirektion gelegen hatten, wurden an die Universität übertragen. Mehr noch: Die einzelnen Kompetenzen wurden stufenspezifisch den verschiedenen Organen der Universität zugewiesen, dem Universitätsrat, der Universitätsleitung, den Fakultäten und den Instituten.
Diese neue Kompetenzverteilung hat keineswegs nur organisatorischen Charakter. Sie impliziert vielmehr ein neues Verständnis der Universität: Verantwortlich für die Arbeit und die Qualität der Universität ist nicht mehr die Regierung, sondern die Universität selbst.
Dies war unser Konzept, und es hat sich bis jetzt gar nicht schlecht bewährt.» (…)
«In ihrer heutigen internationalen Vernetzung sind die Universitäten über das nationale Modell längst hinausgewachsen. Die Universitäten wählen sich ihre Partner nicht nach geographischen oder nationalen, sondern nach sachlichen und fachlichen Gesichtspunkten. Wir wollen, wie man heute sagt, Golbal Player sein. Und wenn schon eine nationale Hochschulpolitik, so muss sie auf Internationalität ausgerichtet sein.» (…)
Kurzum, ich glaube nicht, «dass eine ‹integrierte› gesamtschweizerische Hochschule das Richtige ist. Notwendig ist m. E. das Gegenteil: ein klare, je eigene Profilbildung sowohl der Universitäten und der ETHs als auch der Fachhochschulen. In den Umweltwissenschaften spricht man von Biodiversität. Wäre dieser Begriff nicht auch auf das Bildungswesen zu übertragen?
Es ist nicht die Vermengung von Universität, ETH und Fachhochschule, die unser Bildungssystem bereichert, sondern das lebendige Neben-und Miteinander gerade unterschiedlicher Institutionen, auf der Basis ihres je eigenen Auftrags und Profils. Da liegt die Bereicherung, und erst auf diese Weise wird die Zusammenarbeit und die Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen Hochschultypen wirklich fruchtbar.
Die Universität ist ein faszinierendes Unternehmen. Sie hat schon viel geleistet, und sie wird noch vieles leisten, für die Wissenschaft, die Bildung der Studierenden und für die Gesellschaft. Die Universität braucht nicht, wie einige meinen, neu erfunden zu werden. Sie ist in voller Fahrt und schon längst in Bewegung, und sie wird dies auch weiterhin bleiben.»