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100 Jahre UZH-Hauptgebäude

«Herrlich vollendet ragt der Tempel empor»

Den musikalischen Höhepunkt der Jubiläumsveranstaltungen 100 Jahre UZH-Hauptgebäude bildet das Konzert in der Tonhalle vom 24. April: Aufgeführt wird auch die Festkantate, die eigens zur Zürcher Hochschulweihe von 1914 komponiert worden war.
Alice Werner

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Die Uraufführung der von Friedrich Hegar selbstdirigierten Festkantate am 18. April 1914. (Bild: Universitätsarchiv)

Die «Einweihung der neuen Universität Zürich» von 1914 war ein wichtiger Moment in der Universitätsgeschichte, der mit einer speziellen Festkantate gefeiert werden wollte. Zugleich dokumentiert die Einweihung auch einen historischen Moment gutbürgerlichen Selbstbewusstseins kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Als Kind seiner Zeit erscheint der nach Plänen des Architekten Karl Moser entworfene Universitätsneubau in seiner steinernen Pracht und seinem krönenden Sitz oberhalb der Altstadt wie für die Ewigkeit erbaut.

Blumengeschenke aus Den Haag

Mit entsprechendem Stolz beging man denn auch die Einweihung des Gebäudes. Zur «imposanten Feierlichkeit», wie es im universitären Jahresbericht 1914/15 heisst, war in erster Linie geladen, wer Rang und Namen hatte. Die «Kommission zur Prüfung der Liste der Einladungen und Übermittlung der Festschriften an die Teilnehmer» konnte exakt 646 offizielle Zusagen zum Fest verzeichnen.

Wer bedauerlicherweise nicht persönlich anwesend sein konnte, schickte zumindest Geschenke – so wie die zwölf ehemaligen Studierenden aus dem holländischen Haag, die «mit künstlerischer Adresse einen prächtigen Blumenkorb» übersandten.

Weiheakt im Lichthof

Die beeindruckende Gästeliste war auch dem dreieinhalbtägigen Festprogramm geschuldet, für das sich das eigens bestellte «Wirtschafts- und Unterhaltungskomitee» ordentlich ins Zeug gelegt hatte. Die Programmpunkte reichten vom abendlichen Fackelzug der Studentenschaft bis zum akademischen Morgengottesdienst in der Fraumünsterkirche, von öffentlichen Besichtigungstouren der neuen Universitätsinstitute bis zur Dampfbootsfahrt auf dem Zürichsee.

Den erklärten Glanzpunkt der Festtage bildete der eigentliche «Weiheakt im Lichthof des neuen Kollegiengebäudes der Universität Zürich am Samstag, 18. April, vormittags 9½ Uhr präzis». Glaubt man der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) vom nächsten Tag, zeigte sich sogar das Wetter in bester Laune: «Prächtigster Sonnenschein lachte über die Stadt, als sich kurz nach 9 Uhr der Zug der Delegationen in Bewegung setzte, um unter dem feierlichen Geläute sämtlicher Glocken die Künstlergasse hinauf zum Universitätsgebäude zu ziehen.»

Lob für die Festkantate

Pünktlich auf die Minute setzte zur Begrüssung der eintreffenden Gäste das Tonhalle-Orchester mit der Jubelouvertüre des deutschen Komponisten Carl Maria von Weber ein, in der, nach einem Triangelschlag, die auch in der Schweiz als patriotisches Lied bekannte Hymne «Heil dir im Siegerkranz» ertönt. Als Nächstes folgten verschiedene, «mit besonderem Beifall» bedachte Reden, bevor der Festakt schliesslich in der eigens für diesen Anlass komponierten «Festkantate zur Zürcher Hochschulweihe, op. 42, für Soli, Männerchor und Orchester» gipfelte.

«Die Komposition von Festkantaten», merkte der Musikkritiker der NZZ damals in seinem Beitrag fachkundig an, «gehört zu den heikelsten musikalischen Aufgaben.» Umso gewichtiger fiel sein abschliessendes Lob aus: Dem Komponisten Friedrich Hegar – Direktor des Zürcher Konservatoriums für Musik und seit 1889 Ehrendoktor der Universität Zürich – sei es vorzüglich geglückt, die schwierigen Vorbedingungen einer würdigen Festkantate zu erfüllen. «Sie spricht die Sprache der Zeit, in der der Komponist aufgewachsen und zu seiner Bedeutung erstanden ist; zugleich aber hat diese Sprache ihre feine Würze erhalten durch die musikalischen Errungenschaften der grossen früheren Epochen.» Im Klartext: ein Meisterwerk – wenn auch nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit.

Zur Zeit von Stravinskis Sacre du Printemps

Laurenz Lütteken, Professor am Musikwissenschaftlichen Institut der UZH, ist ein Kenner der Zürcher Musikgeschichte und damit auch des Werks Friedrich Hegars. «Das von ihm gewählte Genre der Chorballade für Orchester und grossen Männerchor war typisch für diese feierliche Form der Auftragskomposition. Es ist eine musikalische Erscheinungsform des mittleren bis späten 19. Jahrhunderts, die aber ab dem Ersten Weltkrieg keine Rolle mehr spielte.»

1914, spätestens seit der skandalösen Uraufführung von Igor Strawinsky Ballettmusik «Le Sacre du Printemps» mit ihren zahlreichen Dissonanzen und ungewöhnlichen Rhythmen, war man in der Musikgeschichte schon einen ganzen Schritt weiter. «Nicht vergessen darf man aber», sagt Karl Scheuber, Dirigent und Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste, dem zusammen mit Anna Jelmorini, der Leiterin des Akademischen Chors, die musikalische Gesamtleitung des Jubiläumskonzerts obliegt, «dass Friedrich Hegar zum Zeitpunkt der Universitätsweihe ein Mann von 73 Jahren war. Zudem schrieb er ein Chorwerk, das mit Laien aufgeführt werden sollte, mit dem Lehrergesangsverein Zürich in Verbindung mit dem Studentengesangsverein – da wollte er sicherlich keine moderne, ungewohnte Musiksprache anschlagen.»

Populärer Ton, pathetischer Text

Hegar selbst schien mit seiner Komposition übrigens zufrieden zu sein, vor allem mit dem «vielfach populären Ton, der deutliche Anklänge an studentische Lustigkeit enthält». Ihn ängstigte jedoch, so schrieb er einem Freund, die Länge des ganzen Werks: «Es wird beinahe eine Stunde dauern, woran aber ich nicht schuld bin, sondern der Dichter.» Gemeint ist Adolf Frey, Professor für Deutsche Literatur an der Universität Zürich.

Was er dem Chor und den Solopartien ins Textbuch schrieb – allen voran Ulrich Zwingli als Symbolfigur für akademische Bildung, des Weiteren den vier Frauenstimmen, die die einzelnen Fakultäten repräsentieren, und den vier Männerstimmen, die die Ehrendoktoren Gottfried Keller, Conrad Ferdinand Meyer, Arnold Böcklin und Rudolf Koller darstellten –, erscheint uns heute pathetisch und schwülstig: «Herrlich vollendet ragt der Tempel empor, den sich das Volk gespendet und zur Geisterklause erkor.»

Vor 100 Jahren aber konnte man dem historisierenden Stil der Dichtung noch allerhand abgewinnen: Der Text, so schrieb die NZZ, würde «echteste und edelste poetische Werte» in sich bergen, «hohe Gedanken» und «tiefgefühlte Stimmungen». Vielleicht trafen Dichter und Komponist auch deswegen den richtigen Ton, weil sie quasi aus den eigenen Reihen stammten? «Wahrscheinlich ist dem so», mutmasst Laurenz Lütteken, «und das akademisch gebildete Publikum fand sich im Werk adäquat repräsentiert.» Ob dem heute auch noch so ist, kann beim Jubiläumskonzert nun jeder für sich selbst heraushören.