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Egon Bahr an der UZH

Europa zwischen Erfolg und Trauerspiel

SPD-Urgestein Egon Bahr äusserte sich gestern in einem Vortrag an der UZH skeptisch über die Grosse Koalition in Deutschland und über ein Europa, das in einem unguten Stillstand verharre. 
Marita Fuchs

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«Spionage ist das zweitälteste Gewerbe der Welt»: Egon Bahr in der Aula der UZH.

Gestern lauschte das zahlreich erschienene Aula-Publikum den Ausführungen des deutschen SPD-Politikers Egon Bahr, der auf Einladung des Europa-Instituts über die Auswirkungen der Grossen Koalition in Deutschland sprach. Bahr, Jahrgang 1922, zeigte sich als besonnener Redner und gewiefter Taktiker, indem er die innenpolitische Lage in Deutschland in gewohnt pointierter Art analysierte. Speziell ins Visier nahm er die Grosse Koalition, sie sei eine Herausforderung für Deutschland.

Die Öffentlichkeit habe die Grosse Koalition gewünscht, bilanzierte Bahr, auch wenn die Parteien das nicht so beabsichtigt hätten. Denn in einer Koalition schleife sich die Identität jeder Partei ab. Ein Beispiel: Die CDU, die vor den Wahlen proklamiert habe, Deutschland sei kein Einwanderungsland, gab nach den Verhandlungen mit der SPD zu, ein Zuwanderungsland zu sein.

Beide Partner der Koalition seien um Übrigen bestrebt, den andern bei Neuwahlen im Jahr 2017 wieder loszuwerden. Deshalb stünden beide Koalitionspartner unter Druck, ihr Profil bis dahin nicht allzu sehr zu verlieren. Der SPD-Parteichef Sigmar Gabriel attestierte Bahr grosses Verhandlungsgeschick. Bei der SPD-Mitgliederbefragung vor dem Entscheid zur grossen Koalition habe er den berühmten Spruch Willy Brandts im Kopf gehabt: «Die Partei lebt länger als jede Regierung». Zwar hätte man die Mitgliederentscheidung auch als Erpressung auslegen können. Doch: Es habe geklappt.

Törichte NSA

Bei aller Differenz hätten die beiden Koalitionspartner jedoch eine unbestrittene Gemeinsamkeit: die Empörung über die Abhörmethoden des NSA. Dabei dürfe man jedoch nicht naiv sein, Spionage sei das zweitälteste Gewerbe der Welt und so wie das älteste auch nur schwer zu bekämpfen. Bahr zeigte sich überzeugt, dass sich durch die digitale Revolution eine tiefgreifende Veränderung unserer Gesellschaft vollziehe. Was neben all der Empörung durch das Abhören von Handys aber kaum diskutiert werde, seien die militärische Nutzung und die Gefahren, die die neuen technischen Möglichkeiten mit sich bringen. Amerika zeige sich genauso verwundbar gegen Hackerangriffe wie die Nato oder Deutschland. Was wäre, wenn zum Beispiel plötzlich das Stromnetz lahmgelegt würde?

Die Entscheidung des NSA, alle abzuhören, die abgehört werden können, nannte Bahr töricht. Vor digitalen Angriffen könne man sich nur schützen, wenn man global Regeln aushandle, die alle Beteiligten schützen. Bahr zog hier den Vergleich zur Abschreckung durch Atomwaffen. Die Atomwaffensperrverträge hätten auch dazu geführt, dass ein Gleichgewicht der Kräfte entstanden sei.

Am Ende seines Vortrags äusserte sich Bahr zur Situation Europas. Auf der einen Seite sei die EU ein berauschender Erfolg, dieser Zusammenschluss habe einen Krieg in Europa unmöglich gemacht. Auf der anderen Seite aber sei es ein Trauerspiel, dass die Partner noch immer nicht mit einer Stimme sprechen würden. Europa komme nicht weiter, vor allem Grossbritannien sei kaum gewillt, sich den Mehrheitsentscheidungen zu beugen, das sei ein grosser Hemmschuh.

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