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Prometheus brachte der Menschheit das Feuer und wurde dafür von den Göttern grässlich bestraft. Auch die prometheischen Gestalten der Renaissance litten Qualen: Der Ketzer Tommaso Campanella etwa wurde 25 Jahre in einem Kerker gefoltert, Giordano Bruno wurde samt seinen Schriften gerädert und verbrannt. Johannes Kepler starb da vergleichsweise glücklich. Aber auch der schwäbische Gelehrte zog auf der Suche nach Sicherheit durch halb Europa. Galileo Galilei schliesslich widerrief seine Erkenntnisse vor dem Papst mit einem Strick um den Hals. Das Feuer des Wissens hat eine Sprengkraft, die auch dem versiertesten Pyrotechniker gefährlich werden kann: Die grossen Denker der Renaissance brachten mit ihrem «Zeuseln» das antike Weltbild ins Wanken.
Der Historiker Bernd Roeck eröffnete am Mittwoch die zweite Insel des Archipels Prometheus zum Thema «Renaissance – Feuer, Wissen, Macht». Der Weiterbildungsstudiengang MAS Applied History hat in Zusammenarbeit mit den Zürcher Festspielen diese vierteilige Veranstaltungsreihe geplant. Sie will der Wirkmächtigkeit und der Metamorphosen des Prometheus-Mythos von der Antike bis zur Gegenwart nachgehen, dabei widmen sich vier Themeninseln unterschiedlichen Aspekten des Prometheus-Stoffes in verschiedenen historischen Epochen und bringen Musik, Literatur und Kunst miteinander ins Gespräch.
Am Mittwoch ging es um die Renaissance: Im 15. und 16. Jahrhundert war Europa in Bewegung. Die Renaissance brachte das bis anhin geltende Weltbild der Antike zum Einsturz. «Wir reden über die Anfänge unserer Welt», sagte Roeck. Damals emanzipierte sich das Wissen vom Glauben. Und mit der Medienrevolution durch Gutenberg erlebte Europa eine einzigartige Kulturblüte.
Schon in der Antike sei klar gewesen, dass die Menschen für den Fortschritt verantwortlich seien, nicht die Götter, sagte Roeck: «Der Fortschritt beruht auf Denken und Arbeiten.» Aber auch das Leiden gehöre zum Forschen. Die herausragenden Wissenschaftler der Renaissance seien als Leidende ihren Zeitgenossen suspekt gewesen, sagte Roeck. Er strich auch die individuelle Leistung der wissenschaftlichen Revolutionäre heraus. Als Johannes Kepler etwa die Umlaufbahn des Planeten Mars berechnete, stiess er auf eine Differenz, die aus heutiger Sicht vernachlässigbar scheint. Doch Kepler kämpfte mit dem Kriegsgott, knobelte während Jahren weiter und liess nicht locker, bis er den Fehler fand. Zum Lohn sah Kepler als erster die Umlaufbahn des Planeten Mars als Ellipse.
Die Schauspieler Thomas Sarbacher und Sigi Terpoorten liessen in ihrer Lesung die Denker der Renaissance aus ihren Schriften auferstehen. Tommaso Campanella verfluchte mit unflätigen Worten seine Folterer, um kurz danach in der Stille des Verlieses ein liebliches Sonett zu singen.
So hörte das Publikum im Museum Rietberg auch Giordano Bruno spotten: «Nur Kinder glauben, dass die Planeten am Himmel befestigt seien!» Gerade dies aber blieb bis weit ins 17. Jahrhundert die vorherrschende Meinung. Nur wenige Spitzenforscher hatten Zugang zum Wissen. Die Mächtigen hatten kein Interesse an einer Veränderung der Hierarchie. Entsprechend schwer hatte es das neue Weltbild von Kopernikus, das auf Mathematik und Vernunft baute. Erst in Isaac Newton fand Kepler den «Leser aller Leser», der seine drei Naturgesetze für das nahm, was sie waren: die ersten Naturgesetze der Weltgeschichte.
Zwischen den Vorträgen und Gesprächen spielte der Musiker Julian Behr auf seiner Laute Musik aus der Epoche. Unter anderem gab er auch ein Stück von Michelangelo Galilei zum besten, dem jüngeren Bruder des berühmten Physikers. Als während des Stückes der Regen auf das Dach des Sommerpavillons polterte und zeitweise die Musik übertönte, sagte Roeck, das passe zum Klima in der Renaissance: Die kleine Eiszeit sei durch verregnete Sommer geprägt gewesen, was man der Melancholie der Musik anhöre.
Zum Abschluss der Veranstaltung befragte Roeck den Physiker Daniel Wyler, den «nächstgelegenen Kollegen Galileis». Ob künftig radikale Umbrüche unseres wissenschaftlichen Weltbilds wie in der Renaissance zu erwarten seien? Ja, es gebe auch heute noch Paradigmenwechsel, sagte Wyler. Er nannte etwa die Quantenmechanik als bedeutenden grossen Schritt: «Der Fortschritt ist immer ein Wechselspiel zwischen der Beschreibung von Phänomenen und neuen technischen Methoden.»
Ob es heute noch unter den Forschenden unbequeme Querköpfe wie Kepler gebe, die unter ebenso unerfreulichen Bedingungen tüftelten, fragte Roeck. Wyler bejahte auch diese Frage. Deshalb unterstütze er das «Verrückte», sagte der Physiker. Und er verglich die Erfinder des Internets oder die Gründer von Google mit Gutenbergs Leistung: «Neue Techniken werden nach wie vor von Einzelpersonen entwickelt, während die Beobachtung der Phänomene heute eher Gruppenarbeit ist.» Das Gespräch des Historikers mit dem Physiker endete bei der Frage, die sich schon die alten Griechen gestellt haben: Haben nun die Götter die Menschen erschaffen oder eher der Mensch Gott?
Wyler betrachtet Gott wie ein Kunstwerk: «Für die Physik braucht es Gott nicht.» Die Wissenschaft sei in der Lage, auch auf die vielen offenen Fragen Antworten zu finden. Allein mit der Sprache der Natur, der Mathematik. Die Entdeckung des Higgs-Teilchen sei etwa eine wichtige Marke auf der Wanderung zum Gipfel der Wissenschaft, die oft genug im Nebel verlaufe. Auch der Zweifel an der göttlichen Ordnung liegt durchaus in der Tradition der Denker der Renaissance. «Das heisst aber nicht, dass ein Physiker ohne Moral und Werte auskommt», schob Wyler nach.