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Im Nachgang der Finanzkrise mussten sich nicht nur Banken, Börsenhändler und Ratingagenturen, sondern auch die Wirtschaftswissenschaften einige Kritik anhören. Ihre mathematischen Modelle seien realitätsfremd, das Menschenbild sei zu einseitig und die Forschung habe den Risiken von Finanzprodukten zuwenig Beachtung geschenkt.
Bisweilen wird den Universitäten auch vorgehalten, sich einseitig an der Denkweise der Chicago School – der Staat soll möglichst nicht ins Marktgeschehen eingreifen – zu orientieren. In den Wirtschaftswissenschaften an der UZH findet die Forschung und Lehre schon länger an der Schnittstelle von Ökonomie, Neurowissenschaften und Psychologie statt – der Mensch wird nicht ausschliesslich als rationaler Homo oeconomicus betrachtet.
Das Studium soll zudem die ethische Reflexion der Studierenden fördern, hält das Leitbild der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät fest: «Die Absolvierenden eines Wirtschaftsstudiums sind sich ihrer verantwortungsvollen Rolle in einer globalisierten Wirtschaft bewusst und berücksichtigen bei ihren Entscheidungen die ökonomischen, gesellschaftlichen und ökologischen Auswirkungen.»
Eine Gelegenheit zur vertieften Reflexion und Diskussion solcher Fragen bot im vergangenen Semester die erstmals angebotene Ringvorlesung «Verantwortung in den Finanzmärkten: Eine interdisziplinäre Perspektive».
Organisiert hat die Veranstaltung unter anderem der Lehrstuhl von Professor Marc Chesney, Vizedirektor des Instituts für Banking und Finance und das Center for Responsibility in Finance (CRF), geleitet von Psychologieprofessorin Carmen Tanner (vgl. Kasten). Das 2011 gegründete CRF betreibt interdisziplinäre Forschung und Lehre an der Schnittstelle von Ökonomie, Psychologie und Ethik.
Interdisziplinär ausgerichtet war auch die Ringvorlesung, die sich an Bachelorstudierende richtete: Wirtschafts- und Rechtswissenschaftler sowie Ethiker der UZH und anderer Universitäten waren ebenso als Dozierende beteiligt wie Praktiker aus dem Bankwesen.
Sie diskutierten mit den Studierenden unter anderem, inwiefern die Logik des Finanzsektors den Prinzipien des Liberalismus widerspricht und wer im Finanzmarkt welche moralische Verantwortung trägt.
Die rund 80 Studierenden waren sich einig, dass die Finanzwelt vermehrt Aspekte der Verantwortung diskutieren und berücksichtigen sollte. Was dies in der Praxis genau bedeutet, wurde kontrovers diskutiert.
Bernadette Scharfenberger, BWL-Studentin im vierten Semester, ist unter anderem ein Zitat des Autoherstellers Henry Ford in Erinnerung geblieben: «Eigentlich ist es gut, dass die Menschen unser Banken- und Währungssystem nicht verstehen. Würden sie es nämlich, so hätten wir eine Revolution vor morgen früh», soll Ford gesagt haben.
Schon den «Urkapitalisten» sei klar gewesen, wie komplex unser Finanzsystem sei, so die Schlussfolgerung von Bernadette Scharfenberger. In der Veranstaltung sei aufgezeigt worden, wie kaum mehr verständliche Finanzprodukte zur Wirtschaftskrise beitrugen, indem sie nicht nur für die Absicherung von Krediten, sondern auch für Wetten eingesetzt wurden. «Wir haben Lösungsansätze diskutiert, wie derartige Probleme behoben werden könnten - zum Beispiel durch eine Zertifizierung von Finanzprodukten durch unabhängige Institutionen», so Bernadette Scharfenberger.
Die Anreize im Finanzsystem seien nach wie vor falsch gesetzt, indem Verantwortungslosigkeit belohnt wird, ist die Studentin überzeugt: «Wer als Manager übertriebene Risiken eingeht, soll auch selber dafür haften. Neben dem Bonus braucht es auch den Malus.»
Für Jonathan Krakow – er hat soeben das Bachelorstudium in Volkswirtschaftslehre abgeschlossen – hat die Veranstaltung gezeigt, dass es nicht einfach ist, einen Konsens zu finden betreffend der Frage, wer auf dem Finanzmarkt welche Verantwortung trägt.
«Umso wichtiger ist es, dass die Marktteilnehmer ihr eigenes Handeln immer wieder hinterfragen», sagt Jonathan Krakow. Was das Geschehen auf den Finanzmärkten anbelangt, plädiert der Student zwar für möglichst viel Freiheit. Verantwortung können die Marktteilnehmer aber nur übernehmen, wenn transparent ist, welche Finanzprodukte als nachhaltig gelten können. Solche Aspekte zu erforschen und publik zu machen, sei Aufgabe der Wirtschaftswissenschaften.
Marc Chesney und Carmen Tanner freuen sich, dass die neue Veranstaltung auf so grosses Interesse gestossen ist. Mehrfach hätten Studierende nach einem geeigneten Rahmen gefragt, um sich mit der Finanzkrise zu beschäftigen. Carmen Tanner hatte 2012 ein Master-Seminar zur ethischen Entscheidungsfindung in der Wirtschaft aus psychologischer Sicht angeboten, das ebenfalls gut besucht war. Die neue Veranstaltung richtet sich an Studierende der Wirtschaftswissenschaften.
Für Tanner drängt sich die Auseinandersetzung mit Fragen der Verantwortung und Ethik in der Wirtschaft auf. Die Öffentlichkeit fordere zu Recht, dass die Hochschulen sich an der weltweit geführten Diskussion um ein nachhaltiges Wirtschaftssystem beteiligten: «Von den Universitäten wird ein wesentlicher Beitrag bei der Aufarbeitung der Finanzkrise erwartet.»
Das Bedürfnis, die eigene Zunft zu reflektieren, scheint zumindest bei einem Teil der Wirtschaftsstudierenden gross zu sein. Für Bernadette Scharfenberger ist klar: «Wir Ökonomen beeinflussen das Wohl der Gesellschaft so stark wie kaum eine andere Berufsgruppe. Da darf Ethik kein belächeltes Fremdwort auf unserem Lehrplan bleiben.»
Auch Jonathan Krakow wünscht sich, dass Mensch und Gesellschaft im Wirtschaftsstudium eine grössere Rolle spielen: «Ein Ökonomiestudium sollte Antworten auf die Frage liefern, wie ein Wirtschaftssystem aussieht, das mehr als die jetzige Marktwirtschaft zu verantwortlichem Handeln anregt.»
Die wirtschaftsethische Reflexion gehört für Bernadette Scharfenberger in alle Vorlesungen – vom Marketing bis zur Makroökonomie. Dem stimmt auch Carmen Tanner zu. Eine separate Veranstaltung findet sie zusätzlich aber sinnvoll, um die Thematik in einem interdisziplinären Rahmen vertiefen zu können.
Sollte eine solche Auseinandersetzung Pflicht für alle Studierenden der Wirtschaftswissenschaften sein? Einen Zwang, sich mit Fragen der Ethik und Verantwortung zu beschäftigen, erachtet Jonathan Krakow nicht als förderlich.
«Für eine Pflichtveranstaltung mit mehreren hundert Studierenden hätten wir die Ressourcen gar nicht», sagt Finance-Professor Marc Chesney. Als Wahlpflichtfach für Bachelorstudierende wird die Ringvorlesung aber in Zukunft jährlich angeboten. Im Herbstsemester 2014 soll zudem erstmals eine ähnliche Veranstaltung für Masterstudierende angeboten werden.
«Wichtig wäre neben der Lehrtätigkeit auch, mehr Forschung zu Fragen der Verantwortung zu betreiben», sagt Carmen Tanner. Es sei wissenschaftlich noch längst nicht geklärt, wie sich sozialverantwortliches Handeln erklären und in der Praxis auch fördern lässt.