Navigation auf uzh.ch
Der Bildhauer Alberto Giacometti wuchs im Tal auf, die Maler Giovanni Segantini und Willy Guggenheim (Künstlername Varlin) wählten es als Schaffensort: Das Bergell hat über Jahrhunderte eine Vielzahl von Künstlern und Intellektuellen hervorgebracht und angezogen.
«Das Bergell ist ein faszinierendes Tal», schwärmt auch UZH-Rechtsprofessor Andreas Kley. Die landschaftliche Schönheit und der kulturelle Reichtum haben es ihm schon lange angetan. Regelmässig nimmt Kley die viereinhalb Stunden Reisezeit auf sich und nähert sich per Bahn und Bus über Chur, St. Moritz und den Malojapass dem italienischsprachigen bündnerischen Grenztal zu Italien.
Wenn Andreas Kley ins Bergell reist, liegt sein Ziel oft nur wenige Meter von der italienischen Grenze entfernt: Die «Villa Garbald» im 200-Seelendorf Castasegna. Die Villa dient als Denklabor und Seminarzentrum für Gruppen insbesondere aus Wissenschaft und Kultur. Die denkmalgeschützte Villa und der 2004 zusätzlich erstellte Neubau verfügen über 12 Einzelzimmer, zwei Doppelzimmer und einen Seminarraum für maximal 20 Personen. Neben der hauseigenen Bibliothek sorgt das Internet auch im hintersten Winkel des Bergells für den Zugang etwa zum Verbund der Hochschulbibliotheken.
«Die Villa Garbald ist ein eigentliches Konzentrat dieses anregenden Tales», sagt Kley. Die Aussage erstaunt nicht, wenn man einen Blick auf die Geschichte des Hauses wirft. Erbaut wurde die Villa Garbald 1864 von Gottfried Semper, dem Architekten auch des Hauptgebäudes der ETH Zürich.
Der Auftrag an Semper – damals schon ein berühmter Architekt – zeugt von den hohen kulturellen und künstlerischen Ambitionen seiner Auftraggeber: der Zollbeamte Agostino Garbald und seine Frau Johanna Garbald-Gredig. Agostino Garbald war nicht nur Zöllner, sondern nebenbei auch leidenschaftlicher Forscher. Er richtete eine meteorologische Station ein, betrieb botanische Studien, war Imker und war Mitglied der Naturforschenden Gesellschaft der Schweiz.
Seine Frau Johanna Garbald-Gredig erlangte unter dem Pseudonym Silvia Andrea als Schriftstellerin nationale Bekanntheit. Die starken Frauenfiguren in ihren Romanen überschritten immer wieder die damals eng gezogenen Grenzen der weiblichen Rolle.
Die «Villa Garbald» wurde schnell zu einem Treffpunkt nicht nur der Bergeller Kunst- und Wissenschaftsszene. Die Kinder von Agostino und Johanna Garbald führten das Haus 1955 in die Stiftung «Fondazione Garbald» über, um den Familiensitz als Zentrum für Kunst, Wissenschaft und Handwerk im Bergell zu erhalten.
Seither nutzen insbesondere Gruppen aus Bildung, Kultur, Politik und Wirtschaft die Villa Garbald als Begegnungs- und Seminarort. Für das Bündner Kunstmuseum in Chur ist die Villa eine «Aussenstation» für eigene Werke.
Andreas Kley weilte im Frühling mit 15 Studierenden und Doktorierenden für ein Seminar im Castasegna. Die Gruppe setzte sich mit Zaccaria Giacometti (1893-1970), Rechtswissenschaftler, zeitweiliger Rektor der Universität Zürich und Neffe von Giovanni Giacometti auseinander. In Vorträgen und auf Exkursionen gingen die Teilnehmer den Grundproblemen des öffentlichen Rechts im Werk Giacomettis nach.
Angehörige der ETH Zürich gehören seit 2004, Forschende und Studierende der UZH seit 2008 zu den regelmässigen Gästen in der Villa Garbald. Um die Verbindung zur Universität Zürich noch zu stärken, hat UZH-Prorektor Otfried Jarren Ende 2012 im Stiftungsrat der «Fondazione Garbald» Einsitz genommen.
Auch das «Collegium Helveticum», ein transdisziplinäres Wissenschaftsforum von ETH und Universität Zürich, nutzt die Villa regelmässig für Veranstaltungen. «Die Villa Garbald und das Collegium Helveticum verfolgen ähnliche Ziele», sagt Collegium Helveticum-Leiter Gerd Folkers. Das Denklabor eigne sich etwa gut für Begegnungen zwischen Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften und Kunstschaffenden.
Mit dem Denklabor Villa Garbald sollen zudem Zentren und Randregionen vernetzt werden. Entsprechend haben die Projekte des Collegium Helveticum in der Villa Garbald immer einen Bezug zum Bergell.
«Die Villa Garbald kann aber auch Begegnungen an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik ermöglichen», sagt Folkers. So finden seit 2011 in der Villa auf Einladung der Fondazione Garbald und des Collegium Helveticum die «Garbaldgespräche» statt.
Leitungspersonen von Schweizer Fachhochschulen und Universitäten treffen sich dabei im informellen Rahmen, um gemeinsame Positionen zu umstrittenen Fragen zu erarbeiten. In der NZZ publizierten sie kürzlich mit den «Sechs Thesen zur Hochschultypologie» (vgl. PDF in der rechten Spalte) die Resultate der ersten Gesprächrunde – unter anderem zur Frage, inwiefern in Zukunft auch Fachhochschulen Doktortitel vergeben sollen.
Charlotte Gubler, Stiftungsrätin der «Fondazione Garbald», ist überzeugt, dass es einen solchen neutralen Ort der Begegnung braucht: «Der vertrauliche Rahmen ermöglicht es, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, was für die weitere Zusammenarbeit sehr wichtig ist.» Die Villa Garbald eigne sich deshalb hervorragend als Plattform, um die zukünftigen Herausforderungen etwa im Bereich Bildung und Wissenschaft zu diskutieren.
Mit der Villa Garbald steht den Hochschulen eine einzigartige Begegnungs- und Rückzugsmöglichkeit zur Verfügung. «Es ist ein Raum, der ruhiges Arbeiten und Reflektieren ermöglicht», so das Fazit von Rechtsprofessor Andreas Kley. Speziell nützlich sei dies etwa, wenn es darum gehe, Projekte neu aufzugleisen oder neu zu überblicken.
«Die Villa Garbald ist ein Modell, wie Zentren und Randregionen im Zeitalter der mobilen Arbeit neu verbunden werden können», ist Gerd Folkers überzeugt. Der Gewinn liegt dabei auf beiden Seiten. Da die Villa Garbald als Treffpunkt immer beliebter wird und mehr Gäste anzieht als das Haus beherbergen kann, hat das Hotel Post im Dorf ebenfalls wieder geöffnet. Das Postauto ins Bergell verkehrt auch wieder häufiger. «Die Reise ist es wert», so Andreas Kley.