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Herr Hotz-Hart, in den 70er Jahren haben Sie Ihre wissenschaftliche Laufbahn begonnen. Was war typisch für diese Zeit?
Beat Hotz-Hart: Prägend für diese Zeit war die einsetzende Diskussion um die Grenzen des Wachstums – Stichwort Meadows 1972. Die Energie- und speziell die Ölkrise von 1973 und 1979/80 brachten eine Phase starken Anstiegs der Rohölpreise mit gravierenden gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen. Geopolitisch war es eine Demonstration der Macht der OPEC-Staaten. Jeder bekam es zu spüren und zu sehen, z.B. am 25. November 1973, dem ersten autofreien Sonntag in der ganzen Schweiz. Viele sahen eine objektive Notwendigkeit für einen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft.
Ich selber konnte am Projekt «Wege aus der Wohlstandsfalle. Der NAWU- Report. Strategien gegen Arbeitslosigkeit und Umweltkrise» (1978) mitarbeiten. Es war der Beginn einer Skepsis gegenüber dem ungezügelten Wirtschaftswachstum. Für viele gab es allmählich ernsthafte Zweifel am immanenten Trend in Wirtschaft und Gesellschaft. Die Optimisten setzten auf eine «Durchbrecherstrategie»: Mit Hilfe des technischen Fortschritts lassen sich alle Grenzen überwinden. Die Skeptiker argumentierten für den Ausweg über ein qualitatives Wachstum: Das Leben, die Versorgung, die Wirtschaftsleistung soll in ihrer Qualität besser werden. Als Ziel in Politik und Wirtschaft sind neu und ausdrücklich einzubeziehen die natürliche und gestaltete Umwelt, die Qualität der Arbeit (Humanisierung der Arbeitswelt, HdA) und die Nachhaltigkeit. Für Unternehmen wurden Modelle der ökologischen Buchhaltung vorgelegt; das BIP sollte mit Sozialindikatoren zur Erfassung der Wohlfahrt ergänzt werden.
Es herrschte eine Aufbruchstimmung, verbunden mit einer grossen Neugierde, mit Interesse und Bereitschaft, über Neues nachzudenken und es in Lehre und Forschung anzugehen. Es entwickelte sich eine wachsende Überzeugung, dass neue Wege gefunden werden müssen. Dies war mit einem Optimismus verbunden, dass Verbesserungen möglich sind und gelingen werden. Nur: wie konnte dies erreicht werden?
Typisch für diese Zeit war die Diskussion über die Gestaltbarkeit von Wirtschaft und Gesellschaft etwa unter dem Stichwort «politische Planung»: Die (Gesamt-)Planungseuphorie Mitte der 60er bis Mitte der 70er Jahre mit all ihren Übertreibungen wich einer Ernüchterung, Skepsis, ja einem Desinteresse an den Möglichkeiten einer längerfristigen politischen Planung. Erst später wurde politische Planung wieder aufgenommen, aber mit einem wesentlich geringeren Anspruch, dezentraler, mit verstärkter Partizipation der Betroffenen und damit pluralistischer: Planung in der schweizerischen Demokratie, Bern (1979 zusammen mit Wolf Linder und Hans Werder).
Welches war für Sie das schönste Erlebnis in Ihrer Zeit als Professor an der UZH?
Beat Hotz-Hart: Als Professor im Nebenamt zusätzlich zu meiner Haupttätigkeit in der Direktion des Bundesamtes für Konjunkturfragen und später für Berufsbildung und Technologie waren die schönsten Erlebnisse an der UZH die Diskussionen und Debatten mit den Studierenden. Erfrischend war, wie sie weitgehend unbefangenen, gelegentlich auch naiv, argumentierten und kommentierten. Dies war wiederholt ein befreiender Kontrast zu den wohlabgewogenen taktisch-vorsichtigen Argumenten, wie sie in der Verwaltung vorgeherrscht haben.
Gefreut haben mich einige Karten und Briefe von Studierenden, die ihre Anerkennung und Freude an meinem Unterricht zum Ausdruck brachten und mitteilten, wie wichtig meine Veranstaltung für sie persönlich gewesen sei. Ein schönes Erlebnis war die gute Zusammenarbeit mit Mitarbeitern an der UZH, die ich z.T. durch glücklichen Zufall gefunden habe und deren Leben sich dadurch entscheidend verändert hat. Ich hatte den Eindruck, einen positiven Beitrag für die berufliche und persönliche Entwicklung vom Mitmenschen geleistet zu haben.
Auf welche zukünftigen Entwicklungen in ihrem Fach sind Sie besonders gespannt?
Beat Hotz-Hart: Die Ökonomie als Wissenschaft ist für die reale Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft durchaus relevant. Nach der wirtschaftspolitischen Revolution durch Thatcher und Reagan basierend auf Lehren von Friedmann, Laffer und anderen ist das jüngste Beispiel dafür die Finanzkrise 2008. Die Theorien der Mainstream-Ökonomie haben Begründung und Rechtfertigung für die Ordnung geliefert, deren Resultate uns an den Abgrund geführt haben; ihre Theorien sind Teil des Problems. Der Marktfundamentalismus kann dynamische Prozesse, wie sie zur großen Finanzkrise geführt haben, nicht verstehen. Die Finanzkrise hat viele Annahmen und Grundsätze der Mainstream-Ökonomie radikal in Frage gestellt.
Ökonomie ist als Sozial-, als Gesellschaftswissenschaft zu verstehen und soll sich mit dem Phänomen des gesellschaftlichen Zusammenlebens von Menschen und Gruppen von Menschen in Organisationen und Institutionen mit ihren unterschiedlichen Interessen, Machtpositionen und Ansprüchen theoriegeleitet und empirisch befassen. Zu analysieren sind Strukturen und Funktionen sozialer Verflechtungen von Institutionen und Systemen und deren Wechselwirkungen. Wirtschaftsentwicklung ist zu verstehen als die Abfolge von Schocks und Ungleichgewichten und deren Verarbeitung, als das Resultat von damit verbundenen konfliktreichen Auseinandersetzungen zwischen Gruppen und Interessen unter dem prägenden Einfluss von Institutionen und Organisationen.
Ökonomie soll deshalb interdisziplinär mit Politikwissenschaften, Psychologie und Soziologie sein. Sie ist nicht als (noch unvollständig entwickelte) Ingenieurwissenschaft zu verstehen, die in Analogie Modelle aus der Physik z.B. der Schwingungslehre anwendet, wie mir in meinem eigenen Grundstudium anfangs 1970er Jahre vorgetragen worden ist. Das kann im Einzelfall formal elegant und attraktiv sein, trägt zum Verständnis der Essenz der Ökonomie, zu denen Interessen, Konflikte, Organisationen und Inkonsistenzen gehören, aber wenig bei.
Gespannt bin ich deshalb, wie sich die Ökonomie als so verstandene Gesellschaftswissenschaft (weiter) entwickeln kann und wird. Wie reale Probleme und reale Problemlösungsrichtungen von ihr künftig identifiziert, interpretiert und angegangen werden. Ob Ansätze der heterodoxen Ökonomie, also Ansätze und Schulen der ökonomischen Theorie, welche außerhalb des ökonomischen Mainstream liegen, leistungsfähig werden und sich einbringen können. Ob es z.B. je wieder einen starken Bereich der politischen Ökonomie geben wird.
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