Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

Nobelpreisträger Daniel Kahneman an der UZH

Schnelles und langsames Denken

Denken ist in den wenigsten Fällen rational. Der Psychologe Daniel Kahneman hat analysiert, was unser Denken und unsere Entscheidungen beeinflusst – und dafür den Wirtschaftsnobelpreis erhalten. Am Dienstag Abend sprach er auf Einladung des UBS International Center of Economics in Society über irrationale Entscheidungen und den wichtigen Rat von Freunden. 
Theo von Däniken
Zeigte auf, welchen mentalen Mustern wir folgen: Nobelpreisträger Daniel Kahneman.

Wie kein Zweiter hat sich der Nobelpreisträger Daniel Kahneman in seiner Forschung damit auseinandergesetzt, was eigentlich unser Denken und Entscheiden lenkt. Damit hat er weite Kreise in der Wissenschaft beeinflusst. Unter anderem entzauberte Kahneman den «homo oeconomicus», der sich bei genauerem Hinsehen keineswegs als der rational abwägende, alle Informationen berücksichtigende Mensch erweist, als den ihn die Wirtschaftswissenschaftler lange Zeit gern gesehen haben.

Kahneman sei einer «der wichtigsten und einflussreichsten lebenden Psychologen», erklärte UZH-Wirtschaftsprofessor Ernst Fehr in seiner Begrüssung zum Vortrag Kahnemans an der Universität Zürich. Als einer der wenigen Nichtökonomen erhielt Kahneman 2002 den Wirtschaftsnobelpreis für seine Erkenntnisse, wie sich Menschen entscheiden. Rationales und vernünftiges Denken ist dabei weniger bedeutend, als schnelles, assoziatives Denken, das zudem von irrationalen Neigungen gesteuert wird.

Mühelos und automatisch

Schnelles Denken, so erläuterte Kahneman, basiere auf Eindrücken und darauf folgende automatisierte Reaktionen des Gehirns. Ohne dass wir aktiv etwas dazu tun, steigen je nach Situation Worte, Assoziationen, Erinnerungen und Emotionen in uns hoch. Das schnelle Denken, das die Psychologen als «System 1» bezeichnen, passiert einfach so und fordert uns keine Mühe ab. In den meisten Fällen geben wir uns damit zufrieden, Eindrücke und Wahrnehmungen zu verarbeiten, auch wenn uns dazu eigentlich nur wenige Informationen zur Verfügung stehen. Solange sich diese kohärent in unsere Wahrnehmung einbinden lassen, sind wir bereit, diese Interpretation ohne weiteres Nachdenken zu akzeptieren.

Denn das langsame Denken, das «System 2», mit dem wir zum Beispiel die Reaktionen des «Systems 1» kontrollieren oder komplizierte Rechenaufgaben lösen, ist mit echter Anstrengung verbunden. Diese ist durchaus mit körperlicher Anstrengung vergleichbar. Und selbst wenn wir «langsam» oder nach «System 2» denken, so ist auch dieses wiederum vom schnellen Denken beeinflusst. Denn wir neigen dazu, darin vor allem jene Informationen und Einschätzungen zu berücksichtigen, die unseren ersten Eindruck stützen. Was nicht dazu passt, vernachlässigen wir.

Irrationale Neigungen

Nun wird insbesondere das schnelle Denken von einer ganzen Reihe von Irrationalitäten beeinflusst, denen Kahneman in seiner Forschung auf den Grund gegangen ist. So neigen wir etwa dazu, mögliche Verluste viel höher einzuschätzen als mögliche Gewinne. Haben wir die Gelegenheit, ein Geschäft zu machen, bei dem wir 200 Franken gewinnen können, bei dem aber auch mit gleicher Wahrscheinlichkeit ein Verlust von 100 Franken droht, werden wir es in der Regel nicht machen.

Diese Verlustaversion hat weitreichende Konsequenzen für unser Verhalten in vielen Bereichen. In Verhandlungen etwa werden eigene Konzessionen, die man dem Gegenüber macht, als Verluste empfunden und deshalb hoch gewertet. Die Konzessionen des Gegenübers hingegen stellen für einen selbst Gewinne dar, die jedoch nicht gleich hoch eingeschätzt werden.

Rat von Freunden

Die Verlustaversion spielt jedoch keine Rolle, wenn es um Gewinne oder Verluste von Anderen geht. Deshalb werden Politiker oder Wirtschaftsführer oft von den heftigen Reaktionen auf ihre Entscheide überrascht, weil sie die Gewinne und Verluste ganz anders einschätzen als die Betroffenen. Für diese haben die Verluste emotional ein anderes Gewicht. Deshalb, so riet Kahneman, sei es aber auch eine gute Idee, sich externen Rat, beispielsweise von Freunden einzuholen. Denn ein Aussenstehender kann mögliche Verluste und Gewinne objektiver abwägen.

In scheinbarem Widerspruch zu der Verlustaversion steht ein anderer irrationaler Faktor, der unser Denken verzerrt: der «übersteigerte Optimismus». Die Menschen sind gemäss Kahneman fast unverbesserliche Optimisten. Obwohl zum Beispiel der weitaus grösste Teil von neuen Unternehmen innert weniger Jahre wieder in Konkurs geht, lassen sich immer wieder unzählige Menschen von Neuem auf das Abenteuer Unternehmensgründung ein. Weil sie der festen Überzeugung sind, ihr Unternehmen werde es schon schaffen.

Antriebskraft des Kapitalismus

Dieser Optimismus sei die «Antriebskraft» des Kapitalismus, erläuterte Kahneman. Denn dadurch würden Menschen Innovation wagen, auch dann, wenn ein nüchterner Blick auf die Chancen zeigen würde, dass nur in den wenigsten Fällen ein wirtschaftlicher Erfolg zu erzielen ist. Für die gesellschaftliche und technologische Entwicklung ist dieser übertriebene Optimismus deshalb eine wichtige Voraussetzung.

«Planungen», so erklärte Kahneman, «sind immer zu optimistisch.» Dabei hilft nicht einmal die Einsicht in dieses Phänomen, um ihm nicht zum Opfer zu fallen. Das musste Kahneman selber erfahren, als er plante, sein Buch «Thinking, fast and slow» in achtzehn Monaten zu schreiben. Letztlich wurden viereinhalb Jahre daraus.