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Herr Puhan, am 1. August haben Sie die Leitung des Instituts für Sozial- und Präventivmedizin von Professor Felix Gutzwiller übernommen. Welche Herausforderungen warten auf Sie?
Ich möchte die für das Haus typische Kombination aus Forschung, Lehre und Dienstleistung weiterführen und weiter entwickeln, insbesondere in den Bereichen Epidemiologie, Biostatistik und Public Health. Dafür müssen wir aber neue finanzielle Ressourcen erschliessen, die Lehre auf Doktoratsstufe fördern und in nationalen und internationalen Netzwerken arbeiten.
Sie sind Professor für Epidemiologie und Public Health. Unter Public Health versteht man laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) Konzepte, die zur Verbesserung von Gesundheit, Lebensverlängerung und Erhöhung der Lebensqualität abzielen. Das ist ein hehres Ziel, wie wollen Sie das für Zürich erreichen?
In der Schweiz ist das Gesundheitswesen, vor allem die Akutversorgung, sehr gut. Herausforderungen sehe ich eher in der Prävention, Langzeitversorgung und der Dauerbetreuung von zum Beispiel chronisch Kranken.
Warum?
Chronische Krankheiten nehmen stark zu. In der Schweiz vor allem durch die demografische Entwicklung – die Menschen werden immer älter und bekommen im Alter verschiedene Krankheiten. Weltweit gesehen sind immer mehr Menschen übergewichtig, bewegen sich zu wenig und rauchen, alles Risikofaktoren, um an Diabetes, Lungenkrankheiten oder Krebs zu erkranken.
Sie haben für den Public Health Kongress, der Mitte August in Zürich stattfindet, ausgewiesene Expertinnen und Experten eingeladen. Was erwarten Sie vom Kongress?
Weder die medizinische Grundversorgung noch die Public Health-Behörden und -Organisationen können allein die Aufgaben rund um Prävention und Behandlung von chronischen Krankheiten bewältigen. Nur, wenn die verschiedenen Fachbereiche verstärkt zusammenarbeiten, werden sich diese Aufgaben künftig meistern lassen. Deshalb ist auch die internationale Zusammenarbeit in diesem Bereich so wichtig. Ich bin sehr froh darüber, dass wir so bekannte Forscher, wie Wolfgang Gaissmaier vom Max Planck Institut für Bildungsforschung oder John Wilbanks von der Kauffmann Foundation als Referenten gewinnen konnten. Wir diskutieren sowohl die Vorsorge als auch die Versorgung von Patienten mit chronischen Krankheiten. Und es geht um innovative Forschungsansätze und die Nutzung persönlicher Alltagsdaten.
Wie kann man persönliche Alltagsdaten für die Forschung nutzen?
Persönliche Alltagsdaten sind eine Forschungsressource. John Wilbanks plädiert dafür, Patientendaten zu sammeln. Diese Daten stellen die Patienten den Forschern freiwillig zur Verfügung, so kommt man relativ schnell zu einer grossen Datenmenge, zum Beispiel über Lebensgewohnheiten aber auch über genetische Daten, die für die Forschung und gegebenenfalls für die Entwicklung neuer Medikamente wichtig werden könnten. Allerdings müssen wir eine gute Mischung zwischen solchen neuen Methoden der Datengewinnung und bewährten Methoden der Epidemiologie und Biostatistik finden, damit verlässliche Daten und valide Erkenntnisse gewonnen werden.
Ich bin auch froh, dass Dave deBronkart einen Vortrag hält. DeBronkart bekam vor einigen Jahren die Diagnose Nierenkrebs und man teilte ihm mit, dass er nur noch kurze Zeit zu leben hätte. Er machte sich dann im Internet auf die Suche nach Lösungen und fand ein Medikament, das ihm geholfen hat, zu überleben. Es ist natürlich schwierig zu sagen, ob es wirklich dieses Medikament war, das ihm geholfen hat. Aber es zeigt, dass es Patienten wie Dave deBronkart gibt, die sich aktiv in den medizinischen Entscheidungsprozess einbringen, eine Ressource, die aus verschiedenen Gründen sicher noch zu wenig genutzt wird.
Sind chronisch kranke Patienten besonders schwierig zu behandeln?
Ja, weil sie verschiedene Krankheiten zur gleichen Zeit haben. Nehmen wir zum Beispiel eine 65jährige Patientin, die beim Hausarzt über Herzstechen klagt, die unter Atemnot und starken Rückenschmerzen leidet, hinzu kommt eine leichte Depression. Der Hausarzt diagnostiziert eine koronare Herzerkrankung, eine Lungenkrankheit – die Patientin hat lange geraucht – und rheumatische Beschwerden.
Typisch für diese chronischen Krankheiten ist es, dass sie nicht heilbar sind. Die Patientin muss also für alle vier Leiden einen Spezialisten aufsuchen, der ihr diejenigen Medikamente und Behandlungen verschreibt, die auf jede einzelne Krankheit ausgerichtet ist und die sie unter Umständen bis zu ihrem Lebensende einnehmen muss.
Das Problem ist nun, dass die Patientin schnell einmal mehr als zehn Tabletten am Tag schluckt. Wir wissen heute noch recht wenig darüber, wie mehrere Krankheiten und die Medikamente, welche verschrieben werden, zusammen im Organismus wirken.
Sind solche Medikamenten-Cocktails gefährlich?
Das kann man so pauschal nicht sagen. Fakt ist aber, dass bis jetzt in der medizinischen Forschung Medikamente entwickelt werden, die auf eine einzelne Krankheit ausgerichtet sind. So werden für klinische Studien ausschliesslich Studienteilnehmer zugelassen, die nur diese eine Krankheit haben. Solche Patienten sind jedoch Sonderfälle. Die Regel haben vor allem ältere Patienten mehrere Krankheiten, die mehrere Medikamente einnehmen müssen.
Deshalb setze ich mich für ein Umdenken ein: Wir benötigen dringend Studien mit Patienten mit mehreren chronischen Krankheiten, in denen wir erforschen können, wie solche Medikamentencocktails wirken.
Wie kann die Patientin, von der sie sprachen, ihr Problem heute angehen?
Ganz wichtig ist ein Ansprechpartner, der koordiniert. In dieser Rolle sehe ich den Hausarzt, der alle Informationen der Spezialisten einholt und mit der Patientin bespricht. Ganz wichtig ist es dann, herauszuhören, welches Problem für den Patienten am grössten ist. Wenn es die Rückenschmerzen sind, sollte der Mediziner dies berücksichtigen und mit der Patientin gemeinsam Für und Wider der Behandlungen besprechen. So entwickeln sie gemeinsam einen Therapieplan, der den Präferenzen der Patientin entspricht.
Der Arzt bestimmt also nicht einfach, was zu tun ist. Er entscheidet gemeinsam mit dem Patienten. Dies kennt man auch bei Krebspatienten. Hier muss genau zwischen Medikamenteneinnahme, die das Leben vielleicht etwas verlängern, und der Lebensqualität, die durch allfällige Nebenwirkungen beeinträchtigt wird, abgewogen werden. Ich bin davon überzeugt, dass das zur Zufriedenheit der Patienten beiträgt.
Das kostet aber für den Mediziner Zeit, Gespräche werden schlecht vergütet.
Das stimmt. Die Vergütung für Gesprächsleistungen sind knapp bemessen. Bei anderen medizinischen Dienstleistungen, wie etwa einer Röntgenuntersuchung, wissen die Krankenkassen genau, was der Mediziner geleistet hat. Gespräche und deren Erfolg sind weniger genau zu erfassen.
Und doch sollte man dem Gespräch mit dem Patienten mehr Gewicht einräumen und das auch besser vergüten. Dies gilt übrigens besonders für den Bereich der Vorsorge, wo es ganz wichtig ist, dass genügend Information über Früherkennung- und Vorsorgemassnahmen vermittelt wird. Nur dann kann sich der Gesunde auf einer soliden Grundlage für oder gegen bestimmte Massnahmen entscheiden.