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Volksinitiative: Staatsverträge vors Volk

Wie viel direkte Demokratie ist gesund?

Stärkt oder schwächt die Volksinitiative «Staatsverträge vors Volk» unser demokratisches System? Diese Frage nahm «foraus», das Forum für Aussenpolitik, zum Anlass für eine politische Soirée. Nach einem einführenden Referat von Bundesrätin Simonetta Sommaruga kam es zu einem politischen Schlagabtausch zwischen Kathy Riklin (CVP), Markus Hutter (FDP), Christoph Mörgeli (SVP) und Hans-Ueli Vogt (SVP). 
Maurus Immoos

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Bundesrätin Simonetta Sommaruga: «Eine Annahme der Vorlage würde dem Werkplatz Schweiz schaden.»

An politischem Interesse scheint es definitiv nicht zu mangeln. So war der Hörsaal KOH B 10, trotz sommerlicher Temperaturen, fast bis zum letzten Platz gefüllt. Jung und Alt wollten es sich scheinbar nicht entgehen lassen, die Bundesrätin Simonetta Sommaruga einmal live zu sehen. Dies schien jedoch nicht der einzige Grund gewesen zu sein: Wie die engagierten und teils emotional geäusserten Fragen im Anschluss an ihr Referat zeigten, bestand ein reges Interesse an der Vorlage «Staatsverträge vors Volk», über die das Schweizer Volk am 17. Juni 2012 abstimmen wird.

Die im zweiten Teil stattfindende Podiumsdiskussion zum Thema sorgte für einen zusätzlichen Temperaturanstieg. National- und Universitätsrätin Kathy Riklin (CVP), Nationalrat Markus Hutter (FDP), Nationalrat und Geschichtsprofessor Christoph Mörgeli (SVP) und der Zürcher Kantonsrat und Rechtsprofessor Hans-Ueli Vogt (SVP) lieferten sich teilweise ein hitziges Gefecht – sehr zum Amüsement des Publikums. Durch die Diskussionsrunde führte Ivana Pribakovic vom SR DRS.

Ein gut funktionierendes System

«Kann man eigentlich gegen eine Initiative sein, die unsere direkte Demokratie und die Mitgestaltung in aussenpolitischen Belangen stärken will?» Diese Frage bildete den Ausgangspunkt von Bundesrätin Sommarugas Rede. Dabei betonte sie, wie sehr sie das schweizerische Demokratiemodell schätze und dass viele Menschen aus anderen Ländern uns für unsere Mitsprachemöglichkeiten in diversen komplexen Sachfragen beneiden würden.

Zunächst erörterte die Bundesrätin die Mitbestimmungsrechte, welche dem Schweizer Volk in Bezug auf Staatsverträge bereits gegeben sind, nämlich das obligatorische Referendum bei Verträgen mit fundamentaler Tragweite für unser Land, wie beispielsweise dem Beitritt zu supranationalen Organisationen, und das fakultative Referendum, das jeweils bei unkündbaren und unbefristeten Verträgen zu Stande kommt, sofern dieses mit 50'000 Unterschriften von Stimmbürgern oder durch acht Kantone verlangt wird. Die restlichen Verträge liegen im Kompetenzbereich des Bundesrates oder des Parlaments.

Bundesrätin Sommaruga zog den Schluss, dass das Schweizer direktdemokratische System gut funktioniere, denn bei wesentlichen Verträgen sei die Mitsprache entweder obligatorisch oder eben fakultativ gewährleistet. Die Vorlage des Initiativkomitees gehe ihr unter anderem deshalb zu weit, weil es bei ihrer Annahme auch bei völlig unbestrittenen Staatsverträgen zwingend zu einer Volksabstimmung kommen müsse, was zu erheblichen Mehrkosten auf Seiten des Staates führe.

Kathy Riklin und Markus Hutter: Als Gegner der Volksinitiative glauben sie nicht, dass diese zu einer besseren Demokratie führen würde.

Auf rechtsverbindliche Beziehungen mit ausländischen Partnern angewiesen

Zwar verlange der Initiativtext, dass ein obligatorisches Referendum nur jeweils dann in Betracht käme, wenn es sich um «wichtige Bereiche» handle. Was genau ein «wichtiger Bereich» sei, habe bis anhin jedoch niemand erklären können. Weiter argumentierte Sommaruga, dass eine Annahme der Vorlage dem Werkplatz Schweiz schaden würde, denn die Schweizer Wirtschaft, welche jeden zweiten Franken im Ausland verdiene, sei auf stabile und rechtsverbindliche Beziehungen mit ihren ausländischen Partnern angewiesen.

Heute gewährleiste ein dichtes Netz an Staatsverträgen eben diese guten Rahmenbedingungen. Komme es hingegen zu langwierigen Verhandlungen und Volksabstimmungen, führe dies zu Rechtsunsicherheit. Sommaruga beantworte entsprechend die eingangs gestellte Frage, ob man gegen eine Initiative sein könne, die die direkte Demokratie stärken wolle, mit einem «Ja!» und gab damit die Meinung des Gesamtbundesrates und der Mehrheit des Parlamentes wieder.

Parteipolitischer Schlagabtausch

Die Podiumsgesprächsteilnehmer nahmen im Grossen und Ganzen die Themen von Bundesrätin Sommarugas Rede auf und mengten diesen ihre parteipolitischen Farbtupfer bei. Als  Befürworter der Initiative sprachen Christoph Mörgeli und Hans-Ueli Vogt, das Nein-Lager bestand aus Kathy Riklin und Markus Hutter.

Laut Christoph Mörgeli decken sich die Interessen zwischen der «Classe Politique», sprich dem Bundesrat und dem Parlament, nicht immer mit der Meinung der Bevölkerung. Deshalb sei es wichtig, dass bei künftigen wichtigen Staatsverträgen eben auch das Volk ein zwingendes Mitspracherecht erhalte.

Christoph Mörgeli (l.) und Hans-Ueli Vogt: Die Befürworter der Volksinitiative plädieren für das zwingende Mitspracherecht des Volkes bei wichtigen Staatsverträgen.

«Die Initiative führt dazu, dass nur über wenige ausgewählte Staatsverträge zusätzlich vom Volk abgestimmt wird», sagt Ueli Vogt. Für ihn gilt es aus rechtlicher Logik, dass man über jene Staatsverträge abstimmen können muss, die den Souverän in seinen Mitsprache- und Entscheidungsmöglichkeiten beschränken. Als Beispiel nennt er die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), bei der Volk und Stände keine direkte Mitbestimmung haben. Sie würde, so Vogt, viele Initiativen von vornherein unterbinden und somit den Schweizer Souverän aushebeln, was gemäss juristischen Prinzipien widersprüchlich sei.

Kaum Interesse an Vorlagen

Markus Hutter richtet das Augenmerk vor allem auf das Interesse der Wirtschaftsverbände, welche die Initiative geschlossen ablehnen. «Gesamthaft gesehen, haben die Staatsverträge eine hervorragende Grundlage für unsere wirtschaftlichen Beziehungen geschaffen. Die Wirtschaft ist darauf angewiesen, gerade bei technischen Belangen rasch zu verbindlichen Rahmenbedingungen zu kommen», meint Hutter. Ständige Diskussionen darüber, welche Staatsverträge nun wichtig oder unwichtig seien, würden solche Prozesse unnötig verzögern.

Kathy Riklin knüpft an dieses Argument an und betont, dass bei den langwierigen Verhandlungen, die die Initiative nach sich zöge, die Schweiz kaum mehr als verlässliche Partnerin wahrgenommen würde. Zudem sei bei der grossen Anzahl an Staatsverträgen, über die zwangsläufig abgestimmt werden müsste, keine seriöse öffentliche Debatte mehr möglich. Deshalb sei es fragwürdig, ob mehr Abstimmungen zwangsläufig zu einer qualitativ besseren Demokratie führen würden. Bereits jetzt zeige sich anhand der geringen Abstimmungsquoten, dass kaum ein Interesse an mehr Vorlagen bestehe.

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