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Über Erbrechen und Übelkeit klagten schon die Chinesen im ersten Jahrhundert vor Christus, als sie den «Kopfschmerzberg» über einen «Fieberanstieg» erklommen. Erst 1878 erkannte der Franzose Paul Bert nach Ballonexperimenten, dass der niedrige Sauerstoffgehalt der Höhenluft für die Symptome der Höhenkrankheit verantwortlich ist. Der italienische Forscher Angelo Mosso untersuchte 1893 auf der Signalkuppe in den Walliser Alpen erstmals die für die Höhe typische «periodische Atmung», eine unregelmässige Atmung mit vielen Pausen. 1894 fand der Schweizer Hugo Kronecker heraus, dass passiver Transport in die Höhe vom menschlichen Körper besser toleriert wird.
«Das war dann schon genug, um den Bundesrat zu überzeugen und die Jungfraujochbahn zu bauen», erzählte Professor Marco Maggiorini an einer Veranstaltung Zürcher Zentrums für Integrative Humanphysiologie am vergangenen Montag an der Universität Zürich. Maggiorini ist Titularprofessor für Innere Medizin und Leiter der Intensivstation des Universitätsspitals Zürich. Er ist seit vielen Jahren in der höhenmedizinischen Forschung tätig. Heute unterscheiden die Mediziner zwei Arten der Höhenkrankheit, führte Maggiorini aus: die akute Bergkrankheit und das Höhenlungenödem. Beide können auch in Kombination auftreten.
Jeder, der schon mal eine Bergtour in grösseren Höhen unternommen hat, kennt die Symptome der akuten Bergkrankheit: Erschöpfung, Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerz. Dazu treten äusserliche Merkmale auf, wie blaue Ohren, Lippen oder Wangen, ein geschwollenes Gesicht und im fortgeschrittenen Stadium Fieber, Bewusstseins- und Bewegungsstörungen.
«Sie müssen kein Arzt sein, um diese Symptome zu erkennen, da benötigen Sie nur einen guten Beobachtungssinn», meinte Maggiorini. Kopfschmerzen plus eines der beschriebenen Symptome werden schon als akute Bergkrankheit diagnostiziert.
In grösseren Höhen werden vermehrt Hormone produziert, die den Druck auf die Blutgefässe im Gehirn erhöhen. Der dadurch gesteigerte Blutfluss kann die Gefässe durchlässig machen und es kommt zu leichten bis schweren Einblutungen und Wassereinlagerungen – sogenannten Ödemen - im Gehirn, was zu den beschriebenen Symptomen führt. Bei fachgerechter Behandlung normalisiert sich der Zustand aber wieder und es bleiben in der Regel keine Schäden zurück.
Die zweite, schwere Form der Höhenkrankheit, das Höhenlungenödem, zeigt etwas andere Symptome. Wie schon der Name sagt, ist hier nicht das Gehirn, sondern die Lunge betroffen. Es werden vermehrt die Lungenblutgefässe durchlässig, wodurch Blut und Flüssigkeit in die Lungenbläschen eindringen können. Ödeme bilden sich und Entzündungen entstehen. Dies führt zu Atemnot, Rasseln in der Lunge, blutigem Husten, Fieber und verminderter körperlicher Leistungsfähigkeit. Diese Sauerstoffunterversorgung erkennt man auch an einer blauen Zunge und blauen Fingern.
Über 2800 Metern zeigen schon etwa die Hälfte aller Bergsteiger milde Symptome der akuten Bergkrankheit, was jedoch ihre Leistungsfähigkeit nicht wesentlich einschränkt. Ab 4500 Metern treten aber schon bei jedem fünften akute Symptome auf und jeder zehnte Alpinist muss in der Hütte im Bett bleiben.
Ein Höhenlungenödem tritt dagegen eher selten auf, nur bei einem von zwanzig Gipfelstürmern. Hält man sich jedoch nicht an die Regeln eines langsamen Aufstiegs, kann es mehr Bergsteiger treffen. «Wer schon einmal ein Höhenlungenödem hatte, ist dabei umso gefährdeter», sagte Maggiorini.
Grundsätzlich gilt: Jeder kann höhenkrank werden. Die beste Prophylaxe sei die Akklimatisierung, sagte Maggiorini. Man sollte nie die empfohlene Anstiegsgeschwindigkeit von 300 bis 600 Metern pro Tag überschreiten und vor der Tour möglichst viele Nächte in einer Höhe über 2500 Metern verbringen. Nur in besonderen Fällen sollte auf Medikamente zur Prophylaxe ausgewichen werden.
Früher fanden viele Bergsteiger aufgrund ungenügender Behandlungsmöglichkeiten den Tod. «Geben wir zur Behandlung etwas Kokain und Marsala, dann kommt das schon gut», ist in einem Bericht von Angelo Mosso aus dem 19. Jahrhundert zu lesen. Dies half allerdings nicht viel, der Patient wurde zwar kurzzeitig euphorisch, verstarb jedoch kurze Zeit später.
Heutzutage empfehlen Mediziner neben dem raschen Abstieg vor allem zwei Medikamente zur Behandlung der beiden Formen der Höhenkrankheit: Cortison und Viagra. Beide bewirken eine Entspannung der Blutgefässe, was den Blutfluss und somit die Sauerstoffzufuhr in die Organe erhöht. Ausserdem wirken sie Ödemen entgegen. Das Cortisonpräparat Dexamethason wird zur Behandlung der akuten Bergkrankheit eingesetzt. Da es aber sehr langsam wirkt, ist es für die Behandlung der schwereren Form, wie dem Höhenlungenödem, ungeeignet, wie Maggiorini und sein Forschungsteam herausfanden. Deshalb wird beim Höhenlungenödem auf das schnell wirkende Viagra zurückgegriffen.
Schon das Ausbrechen der beiden Krankheitsformen soll jedoch möglichst verhindert werden. Ist eine Akklimatisierung aus irgendwelchen Gründen nicht möglich, kann Viagra auch als Prophylaxe gegen das Höhenlungenödem eingenommen werden. Da die Geschwindigkeit der Wirkung bei der Prophylaxe nicht so essentiell ist und Dexamethason zusätzlich noch entzündungshemmend wirkt, ist es zur Vorbeugung des Höhenlungenödems auch geeignet.
Als beste medikamentöse Prophylaxe gegen die akute Höhenkrankheit hingegen hat sich Diamox erwiesen. Es senkt den pH-Wert des Blutes und es kommt zu einer «inneren Versäuerung». Der Körper versucht dies durch eine gesteigerte Atmung zu kompensieren, um den pH-Wert wieder zu erhöhen. Die erwünschte Nebenwirkung dabei ist, dass die Sauerstoffzufuhr gefördert wird. Allerdings schmecke dann das Bier in der Hütte etwas sauer, meinte Maggiorini am Endes seines Vortrages schmunzelnd.