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Manche übergeben sich, andere laufen zur Toilette. Die körperlichen Reaktionen sprechen für sich. Wenn ich vor einer grossen Menschenmenge etwas vortragen soll, bin ich immer aufgeregt. Das ist meine übliche Reaktion auf eine unübliche Situation. Das Einzige, was mir bisher gegen Lampenfieber geholfen hat, ist eine perfekte Vorbereitung. Ich muss meinen Text gut kennen, sonst werde ich unsicher. Ich schaue mir den Raum, ich dem ich sprechen werde, genau an und kläre alle Unwägbarkeiten ab: Funktioniert der Beamer, schreiben die Filzstifte?
Kurz vor Beginn des Vortrags ist die Aufregung am schlimmsten: trockener Mund, hochschnellender Puls und zusammengeschnürter Hals. Um darüber hinweg zu kommen, lerne ich die ersten zehn Sätze auswendig. Das zeugt nicht gerade von Spontanität und ist sicher nicht das beste Mittel, um das Publikum für mich zu gewinnen.
Kann es nicht auch anders gehen? Die Fachstelle für Weiterbildung, Fokus Laufbahn, bietet an der Universität Zürich einen Stimmkurs an. Er dauert zwei Halbtage und kostet für Forschende hundert und für Doktorierende fünfzig Franken. Ein Versuch ist es wert.
Wir treffen uns im Hauptgebäude der Universität in einem Seminarraum zum ersten Nachmittag mit der Stimmtrainerin. Maja Hermann ist Mezzosopranistin und hat eine wundervolle Stimme, sie scheint auch Lampenfieber nicht zu kennen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops stehen alle ab und zu vor Publikum, als Kursleiter, Dozierende, Ärzte oder Assistierende. Sie alle wollen wie ich lernen, besser und sicherer zu sprechen.
Zunächst einmal lernen wir richtig zu stehen. Dazu ziehen wir die Schuhe aus. Lediglich bestrumpft spüren wir den Boden, erden uns, versuchen, den ganzen Fuss zu belasten. Wir senken die Schultern, strecken den Nacken und suchen eine gute Haltung: nicht angespannt, aber auch nicht schlaff. Eine lockere Aufrichtung strahlt Selbstbewusstsein und Souveränität aus. Durch Gähnen versuchen wir den Kiefer zu lockern.
Ziel der Übungen ist es, eine klang- und modulationsfähige Stimme zu entwickeln. Jeder Mensch hat seinen Eigenton. Im Idealfall pendelt sein Sprechen um diesen Eigenton herum. In dieser mittleren Sprechstimmlage, auch Indifferenzlage genannt, spricht es sich mühelos und am natürlichsten. Setzen wir jedoch unsere Stimme künstlich herauf oder herab, wirkt das Sprechen angestrengt und nicht authentisch.
Unsere Kursleiterin zeigt uns nun, wie wir die Indifferenzlage erfahren können. Dazu berührt die Hand das Brustbein. Wir stellen uns unser Lieblingsessen vor, atmen den feinen Duft ein und sagen entspannt: Mmmmmh!
«Gerade wenn es darum geht, für etwas einzustehen, Menschen von etwas zu überzeugen oder Sicherheit auszustrahlen, ist das Sprechen in der mittleren Sprechstimmlage enorm wichtig», sagt Maja Hermann.
Am nächsten Kurstag wird es ernst. Die Gruppe ist geteilt, nur zu fünft verbringen wir den Vormittag mit unserer Trainerin in einem Hörsaal. Jeder wird etwas vortragen und versuchen, seine Stimme so zu modulieren, dass der Vortrag gelingt.
Doch als ich nach vorne gehe, stellt es sich prompt wieder ein, das verwünschte Lampenfieber. Ich schreite tapfer zum Pult und halte meinen Vortrag so, wie ich es immer tue: Ich spreche zu schnell, atme hastig. Nach fünf Minuten werde ich etwas ruhiger. Maja Herman erklärt, was sie an meiner Darstellung vermisst. Ich spreche den Text nochmals, achte auf meinen Stand, atme bewusst aus und stampfe mit dem Fuss vor jedem Satz auf. So wird es besser.
Bei den Vorträgen der anderen Kursteilnehmer höre ich die grossen Unterschiede im Ton. Beat, ein Ökonom, spricht zunächst mit etwas hoher Stimme und lässt beim Aufblicken den Blick zwar übers Publikum schweifen, doch das hat etwas Routiniertes.
Maja Hermann leitet ihn an, den unteren Rücken zu entspannen, den Nacken zu strecken und die Hände rechts und links sanft gegen das Pult zu drücken, damit die Schultern herunterkommen. Ausserdem soll er das Publikum wirklich anschauen, das verleiht seinem Vortrag mehr Glaubwürdigkeit. Der Unterschied ist für uns Zuhörenden erstaunlich: Die Stimme wirkt sonor und der Auftritt souverän. Erstaunlich, wie viel die Arbeit an kleinen Details bewirkt.
Dann geht der Gong. Ich habe gelernt etwas besser mit der Angst umzugehen. Es ist wie beim Springen vom 3-Meter-Brett. Das Gefühl danach ist einfach grossartig!