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Der Rega-Rettungshubschrauber landet. Im Schockraum verfolgen die Ärzte der unfallchirurgischen Abteilung am Universitätsspital Zürich auf einem Bildschirm wie der Hubschrauber langsam aufsetzt. Sie wissen vom Rettungsarzt, dass eine etwa 50jährige Frau in den Bergen mehrere Meter tief auf einem Geröllfeld abgestürzt ist. Die Patientin ist nicht ansprechbar, hat wahrscheinlich Frakturen und innere Verletzungen.
In der Medizin spricht man von Traumata bei mehreren Verletzungen, die sowohl die Gliedmassen als auch die inneren Organe betreffen. Mediziner bedienen sich zur Einschätzung der Traumata Schwerverletzter eines Punktesystems (Injury Severety Score), das von 3 bis 75 Punkten reicht. Mehr als 16 Punkte bedeuten, dass Organsysteme lebensbedrohlich verletzt sind. Bei 75 Punkten wird der Patient sterben. Der Notarzt hat die Bergsteigerin mit 30 Punkten eingestuft.
Die Mediziner im Schockraum – hier werden ausschliesslich Schwerverletzte oder in Lebensgefahr schwebende Patienten versorgt – sind konzentriert. Gute Zusammenarbeit und zielgerichtetes Handeln sind notwendig, um Leben zu retten. Anästhesisten, Chirurgen und Radiologen sind sich bewusst, dass auf der Trage einer jener Patienten liegen kann, der das Team bis zum Äussersten fordert.
«Die Aufgabenbereiche sind bereits im Vorfeld genau festgelegt, um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten», sagt Hans-Peter Simmen, Professor für Unfallchirurgie an der Universität Zürich und Direktor der Klinik für Unfallchirurgie. Der Bündner hat viel Erfahrung, er bleibt ruhig. «Primär geht es im ersten Schritt darum, die Vitalfunktionen des Patienten aufrechtzuerhalten, indem wir versuchen, den Schockzustand zu beenden», sagt Simmen. Der Vorteil eines grossen Spitals: Spezialisten können stets zum richtigen Zeitpunkt hinzugezogen werden. Das wird vor allem dann nötig, wenn ganz spezielle medizinische Fragen auftauchen. «Bei der Unfallchirurgie arbeiten Generalisten und Spezialisten Hand in Hand», sagt Simmen.
Weil das anspruchsvoll ist, werden Schwerverletzte in der ganzen Schweiz lediglich in 12 Spitälern behandelt. Doch in keinem anderen Spital der Schweiz werden so viele Schwerverletzte versorgt wie am Universitätsspital Zürich. Genau sind es 350 Patienten pro Jahr mit einem Injury Severety Score von über 16 Punkten.
Die Bergsteigerin, die der Notarzt bereits in Narkose versetzt hat, ist klein und leicht, an die 50 Kilogramm. Die Ärzte vermuten innere Verletzungen. Nachdem sichergestellt ist, dass der Kreislauf stabil ist, wird sie in den Computertomographen (CT) geschoben, der direkt neben dem Schockraum steht. Für Simmen sind die modernen Computertomographen ein grosser Segen, denn ihre Gewebeschnitt-Bilder, die innert weniger Minuten verfügbar sind, verschaffen den Ärztinnen und Ärzten schnell eine sehr gute Übersicht über Art und Schweregrad der Verletzungen. Simmen erinnert sich noch an Zeiten der CT-Geräte der ersten Generation, als Schwerverletzte umständlich geröntgt werden mussten, bis sich die Mediziner ein Bild machen konnten.
Nach der Analyse der Aufnahmen zeigt sich, dass die Patientin ein Schädel-Hirn-Trauma, Beckenfrakturen und Blutungen in der Leber erlitten hat. Nach Absprache mit der Anästhesie wird die Therapie festgelegt.
Das Team der Unfallklinik arbeitet versiert und ist gut organisiert. Das wurde von offizieller Seite bestätigt. Die Klink für Unfallchirurgie erhielt im September 2011 das begehrte Zertifikat «Traumazentrum der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie».
Die Zertifizierung dient der Optimierung bestehender Prozesse und soll auch zur Kooperationen zwischen der Klinik für Unfallchirurgie und den Partnerdisziplinen beitragen. Das Trauma-Register der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie dient ebenfalls der Vergleichbarkeit der Spitäler untereinander. So zeigt es zum Beispiel, dass am Universitätsspital in der Unfallchirurgie bei einem überdurchschnittlichen Anteil der mehrfach verletzten Patienten auch der Schädel betroffen ist.
An den alle drei Jahre stattfindenden Audits beteiligen sich über hundert Kliniken aus Deutschland, Belgien den Niederlanden – zuletzt auch das Universitätsspital Zürich. Die Audits sind streng: Ausgewiesene Experten prüfen einen Tag lang alle Abläufe in der Klinik. Dabei werden Notfälle simuliert.
Am Universitätsspital gingen die Experten Punkt für Punkt durch, ob alles vorhanden ist, was Schwerverletzte benötigen. Im Detail wurden Dienstpläne gecheckt und Blutkonserven gezählt. Die Spezialisten suchten sogar die Chefin der Blutbank auf und schauten, ob genügend Blut für mehrere Patienten zur Verfügung stand. Sie überprüften die Operationsinstrumente und -techniken und die Effizienz der klinischen Abläufe.
Die Klinik für Unfallchirurgie steht gut da. Die Patienten werden bestens versorgt, was eine Zahl aus der Vergleichsanalyse zeigt: Im Universitätsspital können Schwerverletzte sogar etwas früher in die Rehabilitation entlassen als in vergleichbaren Kliniken. Auch die verletzte Bergsteigerin konnte rasch und wirkungsvoll behandelt werden. Inzwischen unternimmt sie wieder Spaziergänge – aber nicht mehr am steilen Hang.