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Der gestrige Vortrag von Alice Schwarzer an der Universität Zürich, die einer Einladung des Schweizerischen Instituts für Auslandforschung folgte, erwies sich als Besuchermagnet. Etwa 1300 Personen lauschten ihren Ausführungen über die Frage, was ein rechter Mann sei.
Die Debatte um so genannte «echte» Männer ist Mitte Januar dieses Jahres von einer jungen Redaktorin in der Wochenzeitung «Die Zeit» angestossen worden. In ihrem Artikel beklagte sich die Journalistin darüber, dass es keine echten Männer mehr gebe, die Männer heute wüssten nicht mehr, wann man küssen müsste und seien im Grunde Jammerlappen.
Dem folgte eine ausführliche Debatte in weiteren Medien. So beklagten sich Journalistinnen im «Stern», dass die heutigen Männer keine Karriere mehr machen wollten und überhaupt im Umgang mit dem anderen Geschlecht hilflos seien und auch nicht mehr wüssten, wo hinlangen. Die Klage gipfelte in der Aussage: Männer sind keine Grizzlybären mehr.
Die bald 70-jährige Alice Schwarzer blickt als Doyenne der deutschen Frauenbewegung auf 40 Jahre Frauenbewegung zurück und fragte, was die heutigen Frauen – die Töchter der Emanzipation – dazu treibe, nach dem so genannten «echten Mann» zu rufen. Sie würden sich nach alten Rollenbildern sehnen, weil sie ihre halbemanzipierten Mütter und ihre gestressten Väter im Kopf hätten. Doch von der Verzweiflung ihrer Grosssmütter wüssten sie nichts.
Man müsse sich vor Augen halten, dass in Deutschland noch 1976 ein Ehemann beim Arbeitgeber seiner Ehefrau eine Kündigung der Frau bewirken konnte, indem er das Argument anführte, dass sie aufgrund der Arbeit ihren Haushaltspflichten nicht mehr nachkomme.
Die jetzige neue Rollenverteilung zwischen Mann und Frau habe Veränderungen gebracht, die jedoch auch zu Irritationen unter den Männern führe, sagte Schwarzer. Das sei aber gut so. Aktuelle Studien hätten gezeigt, dass heute etwa ein Drittel der deutschen Männer auf Seiten der Emanzipation stünden, ein weiteres Drittel abwarte, wie sich der Winde drehe, und das letzte Drittel seien harte Gegner der Emanzipation.
Die Verunsicherung im Geschlechterverhältnis habe aber auch ihre Schattenseiten. Für manche Frauen sei sie gefährlich, denn verunsicherte Männer können mit Gewalt reagieren. So werden heute 80 bis 90 Prozent der Gewalttaten an Frauen und Kindern durch Männer verübt. Niemand verstehe weniger von den Frauen, als der so genannte echte Mann. Die Sehnsucht nach den harten Kerlen sollten Frauen lieber in einem Tangokurs ausleben. Und an die Männer richtete Schwarzer den Rat: «Liebe Männer, bleibt auf dem Weg und lasst euch nicht von den Machos und den Weibchen irritieren.»
Alice Schwarzer stellte sich nach dem Vortrag Fragen des Publikums. Auf die Frage, was sie denn von Margaret Thatcher halte, sagte sie: «Als Thatcher gewählt wurde, sagten viele: So, da hast du jetzt den Salat.» Doch die Vorbildfunktion von Politikerinnen sei sehr wichtig, unabhängig vom politischen Weltbild. Sie stelle sich vor, dass seit Thatcher kleine Mädchen vor dem Fernsehen hocken und sich überlegen: Soll ich Königin werden oder Premierministerin?
Auch Angela Merkel zeige, dass eine Frau Politik machen könne. Die Kanzlerin im Hosenanzug sei nämlich auch für kleine Mädchen ein Begriff. Beim letzten Besuch der Dorfkinder bei ihr zuhause hätten die Kinder in ihrem Garten Schneemänner gebaut. Plötzlich seien drei kleine Mädchen ganz aufgeregt zu ihr gekommen und hätten empört gerufen: «Alice, Alice, die Jungen machen unsere Schneemerkel kaputt!»