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UZH News: Herr Schlag, Sie kommen gerade von einer 17-tägigen Studienreise aus Südafrika zurück. Viele Kirchen Südafrikas haben die Apartheid unterstützt. Wie kam es dazu?
Thomas Schlag: Das hat historische Gründe: Die Niederländisch-Reformierte Kirche war eine der wichtigsten protestantischen Kirchen unter der afrikaanssprachigen weissen Minderheit. Viele der aus den Niederlanden eingewanderten Buren, die die Apartheid unterstützen, waren Mitglieder in den reformierten Kirchen und beeinflussten durch ihr Gedankengut das kirchliche Leben.
An einigen der Theologischen Fakultäten, die wir besucht haben – etwa in Stellenbosch und Potcheftsroom – wurde über Jahrzehnte hinweg eine «Theologie der Apartheid» vertreten. Dafür wurde die biblische Überlieferung und die reformierte Tradition rassistisch interpretiert und so funktionalisiert. Und die traurige Wahrheit ist, dass diese Kirchen die Politik der so genannten «getrennten Entwicklung» aktiv unterstützten: Sie praktizierten damit die Apartheid im kirchlichen Bereich – mit getrennten Gemeinden und Gottesdiensten für schwarze und weisse Christen.
Es gab allerdings auch von Anfang an reformierte Stimmen, die Widerstand gegen das Unrecht der Rassenteilung ausübten und dann auch das Ende dieser staatlichen Diskriminierungen mitbeförderten. Einige dieser mutigen Christen und Theologen haben wir auf unserer Reise kennenlernen können.
V or 20 Jahren kam Nelson Mandela frei, wenig später wurde die Politik der Rassentrennung in Südafrika durch eine neue demokratische Verfassung offiziell für beendet erklärt. Wie gehen die reformierten Kirchen heute mit ihrer nicht gerade rühmlichen Geschichte um?
Das war damals eine grosse Umbruchsituation für das Land und auch die Kirchen. Ihre Rolle zur Zeit der Rassentrennung wird vereinzelt historisch aufgearbeitet.
Man kann sagen, dass die reformierten Kirchen in Südafrika sich im Moment in einer Umbruchphase befinden. Die heutigen Herausforderungen bestehen in ihrer aktiven Mitwirkung an einem kultur- und religionsübergreifenden Zusammenleben.
Sind Sie nach Südafrika gereist, um diesen Prozess mit zu verfolgen?
Vor allem im Rahmen unserer Forschung am Zentrum für Kirchenentwicklung pflegen wir Kontakte zur Theologischen Forschung und auch zu den Kirchen in vielen Ländern der Welt. Wir möchten erfahren, wie deren Arbeit aussieht, um den Blick für die weltweiten Entwicklungen und Herausforderungen zu schärfen.
Ich habe schon seit einiger Zeit Kontakt zu südafrikanischen Theologen. Wir sind mit unserer Reise ihrer Einladung gefolgt, einmal hinter die Kulissen der kirchlichen und theologischen Arbeit in diesem Schwellenland zu schauen.
Wir haben uns intensiv mit Vertretern der Theologischen Fakultät von Stellenbosch, Pretoria und Potcheftsroom ausgetauscht. Die afrikanischen Theologen befassen sich heute mit dem gesellschaftlichen Beitrag der Kirchengemeinden, ihrem Selbstverständnis und ihrer Tradition.
Sie konnten auch mit dem anglikanischen Erzbischof Tutu sprechen?
Ja, wir besuchten eine Messe des Erzbischofs. Tutu nahm sich Zeit und lud während der Messe jeden von uns ein, sich vorzustellen und zu sagen, aus welchem Land er kommt. Nach dem Gottesdienst konnten wir mit Tutu sprechen, was sehr eindrücklich war. Er hat uns auf die grosse soziale Ungerechtigkeit zwischen Arm und Reich in Südafrika angesprochen und dafür auch globale Gründe genannt.
Warum ist die soziale Ungerechtigkeit in Südafrika so gross?
Was uns mehrfach bei unseren Gesprächen begegnet ist, ist eben das riesige Problem der Korruption in Südafrika. Und hier herrscht grosser Unmut und auch Wut über das neue schwarze Führungspersonal in lokaler und nationaler Regierungsverantwortung, die masslos in die eigene Tasche wirtschaften und ihren Reichtum – so die Wahrnehmung der Gesprächspartner – auf die sicheren Banken untern anderem in der Schweiz transferieren. Man sieht somit die Gefahr wie in vielen afrikanischen Staaten, dass der Reichtum des Volkes diesem eben gerade nicht mehr zukommt, sondern quasi als «Familien- oder Privatvermögen» deklariert ins Ausland transferiert wird.
Wir wurden verschiedentlich auf das Bankenwesen und Finanzgebaren der Schweiz angesprochen. Als wir Schulen in Townships besuchten und sahen, dass es zum Teil keine Schulbücher gab und eine unzureichende Ausstattung, wiesen uns die Lehrer leicht augenzwinkernd darauf hin, dass das fehlende Geld möglicherweise auf Konten in Europa und speziell in der Schweiz liegt.
Inwieweit haben die Studierenden von der Reise profitiert?
Die Studierenden wurden mit der sozial prekären Lage des Landes konfrontiert. Nur wenige 100 Meter liegen dort zwischen absolutem Reichtum und schierer hoffnungsloser Armut. Wir sind auch direkt durch das grosse Minengebiet Marikana gekommen, das ja gerade weltweit aufgrund der Gewalt und Streiks durch die Presse geht. Ein ziemlich eigenartiges Gefühl.
Diese Reise war auch ein Anstoss für die Studierenden, sich später in einem Pfarramt nicht nur mit innerkirchlichen Fragen zu beschäftigen. In Bachelor- und Masterarbeiten werden einige Studierende diese Eindrücke wissenschaftlich vertiefen. Eine weitere Zusammenarbeit mit Theologen in Südafrika ist jetzt eingefädelt und unsere Gegeneinladungen haben wir schon ausgesprochen.