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Im April 1992, etwas mehr als ein halbes Jahr vor der denkwürdigen Abstimmung über einen EWR-Beitritt der Schweiz, nimmt das Europa Institut an der Universität Zürich (EIZ) seinen Betrieb auf. Nicht zuletzt mit Blick auf den EWR-Beitritt der Schweiz sollte das Institut zum Kompetenzzentrum für europäische Angelegenheiten werden und juristische Weiterbildung anbieten (vgl. Kasten).
20 Jahre später steckt die Europäische Union in einer tiefen Krise. Gleichzeitig fordert die Union von der Schweiz neue institutionelle Strukturen und Verfahren, welche die Umsetzung der bilateralen Abkommen sicherstellen.
Grund genug für das EIZ, im Rahmen seiner Jubiläumsfeier vom Dienstag nicht nur Würste zu braten – nach dem Festmotto «Europa ist uns nicht Wurst» –, sondern an einem Kolloquium auch über das Verhältnis der Schweiz zur EU nachzudenken.
Dazu aufgefordert waren unter anderem drei «Gründerväter» des Instituts: die Rechtsprofessoren Daniel Thürer (Völkerrecht), Roger Zäch und Rolf H. Weber (beide Privat-, Wirtschafts- und Europarecht). Nach einer Einleitung durch Weber zeigten Thürer und Zäch in Referaten auf, wie der bilaterale Weg zwischen der Schweiz und der EU in Zukunft aussehen könnte.
Thürer sieht insbesondere zwei Modelle, wie er sie auch in einem Gutachten an den Bundesrat aufgezeigt hatte: Die Schweiz schafft entweder eine unabhängige nationale Behörde, die über die Umsetzung der bilateralen Abkommen wacht – oder diese Aufgabe wird künftig von EFTA-Organen wie der Überwachungskommission (ESA) oder dem EWR/EFTA-Gerichtshof wahrgenommen.
Der Bundesrat hat sich im vergangenen April für das Modell der nationalen Behörde entschieden und will diese Lösung der EU im Rahmen der laufenden Verhandlungen über ein Stromabkommen unterbreiten. «Das scheint mir politisch und psychologisch richtig zu sein», so die Einschätzung von Thürer.
Roger Zäch zeigte in seinem Referat auf, dass in der innenpolitischen Diskussion das Verhältnis zwischen der EU und der Schweiz fälschlicherweise oft auf die «automatische Übernahme von neuem EU-Recht» reduziert werde. Korrekterweise beziehe sich die Frage aber nur auf neue Ausführungsbestimmungen zu bereits bestehenden bilateralen Abkommen.
Zäch präsentierte folgenden Lösungsvorschlag: Die Schweiz könnte solches «Folgerecht» automatisch übernehmen, sofern damit kein Konzeptionswechsel verbunden und die Mitwirkung der Schweiz an der Ausarbeitung garantiert ist. Im Falle gewichtiger Änderungen sollte die Schweiz versuchen, eine Ausnahme auszuhandeln: «Da solche Fälle selten sind, könnte die EU zustimmen. Der Versuch würde sich lohnen.»
Als optimalen Weg zur dauerhaften Regelung des institutionellen Verhältnisses der Schweiz zur EU sieht Zäch allerdings den vor 20 Jahren abgelehnten Beitritt zum EWR: «Weil die EFTA inzwischen nur noch aus Island, Liechtenstein und Norwegen besteht, wäre die Schweiz im EFTA-Pfeiler des EWR heute wohl tonangebend.»
Nach den beiden Referaten debattierten Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft und Politik an einem Podium über die schweizerische Europapolitik und insbesondere über die Frage, inwiefern die aufgezeigte Annäherung an EFTA und EWR sinnvoll wäre.
«Wir haben heute keinen Mut, uns einer Europa-Debatte wirklich zu stellen», bilanzierte Christa Markwalder, FDP-Nationalrätin und Präsidentin der «Neuen Europäischen Bewegung Schweiz» (NEBS), die einen EU-Beitritt der Schweiz anstrebt.
Die Schweiz muss sich erst klar werden, wie sie sich europapolitisch grundsätzlich ausrichten will, waren sich die Podiumsteilnehmer einig. Christine Kaufmann, Professorin für Staatsrecht und Völkerrecht an der UZH, verglich die Aufgabe mit dem Bau eines Hauses: «Im Moment diskutieren wir über Türschlösser und Mäuerchen, haben aber kein Bild davon, wie das Haus insgesamt aussehen soll.»
Die Mitwirkung und Einflussnahme der Schweiz zu verstärken, an diesem Ziel sollte sich die Aussenpolitik orientieren, betonte Franz von Däniken, ehemaliger Staatssekretär im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA).
Am besten lasse sich dies auf europäischer Ebene mit einem EU-Beitritt erreichen, gab er sich überzeugt. Wenn das nicht gewünscht sei, müsse eben weiterhin bilateral zwischen Schweiz und EU nach Lösungen für einzelne Fragen gesucht werden.
Ob die im April vom Bundesrat vorgelegten Grundsätze dazu aber tauglich sind, darüber gingen die Meinungen auseinander. Kaufmann und Markwalder bezweifelten es, von Däniken und Roland Mayer, Leiter des Bereichs Aussenpolitik der Konferenz der Kantonsregierungen (KDK), äusserten sich verhalten positiv.
Kaufmann sieht in den EFTA-Mechanismen einen gangbaren Weg zur institutionellen Absicherung der bilateralen Abkommen. Ob dies in der Form eines EWR-Beitritts erfolge oder indem nur die EFTA-Mechanismen der Streitbeilegung genutzt werden, sei zweitrangig. Auch für Weber bietet sich der EFTA-Gerichtshof als transparentes Streitschlichtungsorgan an.
Für Kantonsvertreter Mayer hingegen kommen die EFTA-Mechanismen als Lösung nicht in Frage: «Wenn man den EU-Beitritt als zu supranational ablehnt, machen auch norwegische Richter, die über schweizerische Angelegenheiten entscheiden, keinen Sinn.»
Nach Ansicht von Markwalder würde ein EWR-Beitritt der Schweiz zwar den Marktzutritt gewähren, die Mitwirkung wäre allerdings sehr eingeschränkt. Die EU-Mitgliedschaft ist für die «Neue Europäische Bewegung Schweiz» daher die einzige realistische Alternative zum bilateralen Weg. Realistisch betrachtet sei der EU-Beitritt allerdings gerade in der jetzigen EU-Schuldenkrise in der Schweizer Bevölkerung unpopulär, sagte Markwalder. Diese Woche in den Medien veröffentlichte Meinungsumfragen geben ihr Recht.
Alt-Regierungsrat und EIZ-Vereinspräsident Markus Notter nahm in seinem Schlusswort das Bild vom Hausbau auf und plädierte für ein starkes Mittun der Schweiz in Europa: «Lieber als Miteigentümer des Hauses beim Bau des Daches mitbestimmen, als erst als Mieter ohne Mitsprache in das fertige Gebäude einziehen.»