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Am Anfang war der Joint. Und geraucht hat ihn Cédric Wermuth. Warum das eine Nachricht ist? Weil Wermuth diesen Joint vor den auf ihn gerichteten Fernsehkameras auf der SP-Delegiertenversammlung rauchte und damit für die Freigabe von Hanfkonsum warb. Das war 2008. Aber der Joint war nur der Anfang. Der Vizepräsident der SP Schweiz (Jahrgang 1986) hat es seitdem nicht nur verstanden, mit vielerlei provokanten, öffentlichen Aktionen die Medienaufmerksamkeit auf sich zu ziehen – am 23.Oktober kandidiert er auch für den Nationalrat.
Und eben dieser Politiker erklärt nun, dass er die Personalisierung in der Politik und die mediale Selbstinszenierung eigentlich ablehnt. Eingeladen war er zum Medientalk von NZZ Campus und dem Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich. Und da das Thema lautete «Wahlkampf in der Medienarena» und es um das veränderte Verhältnis von Medien und Politikern ging, stand die Person Cédric Wermuth ganz im Mittelpunkt der Diskussion. Denn die Gesetze des Wahlkampfes ändern sich.
Mediale Dauerpräsenz sei ein wichtiges Kriterium für den Erfolg von Politikern, erklärt Politikberater Mark Balsiger. Und diese Medienpräsenz erreiche man gleichermassen durch Provokationen wie durch den langfristigen Aufbau von Fachkompetenz zu bestimmten Themen. Wichtig sei es, den «Switch zu schaffen vom Aktionspolitiker zu einem mit profunder Dossierkenntnis».
Allerdings droht der Weg über die Profilierung mittels Sachkenntnis, Ideen und Argumenten im aktuellen Medienwahlkampf in den Hintergrund zu treten. So beklagt Kurt Imhof, Professor für Publizistikwissenschaft und Soziologie der Universität Zürich, eine «Barbarisierung der politischen Auseinandersetzung»: Politik stehe unter dem Druck, sich dem Medienformat des «Human Interest» anzupassen. Zudem sei eine thematische Profilierung in der Schweiz nur noch mit Elementen aus dem Bereich Identitätspolitik möglich. «Das Kreuz des Populismus», nennt dies Imhof, wenn es in politischen Debatten nur noch um die populistische Ausschlachtung der Gegensätze zwischen Oben und Unten und zwischen Draussen und Drinnen geht, zum Beispiel beim Dauerthema Einwanderung.
Wie aber kommt es, dass Politiker aktiv an der Schraube stetig intensivierter Selbstinszenierung der Politik drehen, obwohl sie es doch «eigentlich» gar nicht wollen? Imhof konstatiert einen «Zerfall der Medienqualität» und eine Anpassung des politischen Personals an diese Entwicklungen.
Auch Martin Senti, Redaktor der Neuen Zürcher Zeitung, beobachtet, wie die Logiken der Medien die politischen Debatten prägen: «Konflikt ist spannender als Konsens. Ranglisten von Politikern aufzustellen, ist spannender als über Inhalte zu berichten.»
Diese Entwicklungen werden, so die Analyse von Imhof, vor allem von Privatradios, Boulevard- und Gratismedien angetrieben. Schuld daran seien auch nicht die einzelnen Journalisten, sondern die medienwirtschaftlichen Strukturen und die Arbeitsbedingungen, unter denen sie politische Berichterstattung produzieren. «Wenn wir nichts machen, wird sich der Qualitätsschwund fortsetzen», fürchtet Imhof. Journalismus sei bisher nicht als systemrelevanter Faktor erkannt: «Insbesondere die direkte Demokratie braucht aber Journalismus und Transparenz.»
Gerade die Gratismedien können aber auch demokratisierende und belebende Wirkungen für den Journalismus haben. So weist Cédric Wermuth darauf hin, dass gerade die Gratisblätter nicht-etablierten politischen Akteuren wie den Jusos ein Forum geboten haben, das sie in den etablierten Medien nicht gefunden hätten. Und auch Martin Senti von der Neuen Zürcher Zeitung beobachtet, dass die Verfügbarkeit von Pendlerzeitungen junge Leute dazu bringt, überhaupt erst einmal eine Zeitung aufzuschlagen.
So bleibt einerseits die Hoffnung, dass die Gratisleser irgendwann Lust auf Qualitätsjournalismus bekommen, und dass die Wähler nicht nur mediale Selbstinszenierung, sondern auch Fachkompetenz belohnen. Dann würde die Mediendemokratie langfristig wieder ins Gleichgewicht finden. Andererseits fürchtet Kurt Imhof, dass auch in der Mediengesellschaft die Mechanismen des Drogenmarktes gelten: «Wenn die Ware schlecht ist, weil Mehl oder Puderzucker beigemischt wird, dann hat das oft nur den Effekt: Die Leute gewöhnen sich dran.» Und das gilt möglicherweise auch für schlechten Journalismus.