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Im Theaterstück «Remember me» des belgischen Autors Jan Sobrie geht es um drei Jugendliche: Mira, Katrin und Cedric. Der in der Klasse bewunderte Cedric hält sich für unbesiegbar und unwiderstehlich, seine Worte und Taten beleidigen und verwunden. Mira kann sich ihm nicht entziehen, ihr Tagebuch wird Anlass für Spott und Mobbing. Aber Mira wehrt sich nicht. Es scheint, als ob sie alles geschehen lässt, wie es kommt und so rückt das Unvermeidliche immer näher. Als sie nach einem von Cedrics Bande verursachten Unfall ihr Gedächtnis verliert, hat sie keine Erinnerungen mehr, nicht an den Hergang, an die Verursacher, an ihr Leben davor. Sie schaut den Tätern in die Augen, und damit provoziert sie Cedric über sein früheres Verhalten nachzudenken.
Die Premiere des Stückes wird am 20. Oktober aufgeführt. Veranstalterin ist das «Junge Schauspielhaus Zürich». Im Vorfeld diskutierten Wissenschaftler geistes- und naturwissenschaftlicher Fachrichtungen am vergangenen Donnerstag über das Böse. Das Interesse am Thema war gross, vor allem junge Leute besuchten die Veranstaltung, die im Rahmen der Reihe «Uni Talk» vom Schauspielhaus Zürich organisiert wurde und an der Universität Zürich stattfand. UZH News fasst die Beiträge der Diskutanten zusammen.
Lutz Jäncke, Neuropsychologe an der UZH:
Im Grunde sei der Mensch ein brutales Wesen, meint Lutz Jäncke. Er könne seine biologische
Geschichte nicht verleugnen. «Viele Verhaltensweisen des Menschen basieren auf
seiner Vergangenheit als Homo Sapiens.» Der Mensch habe zwei Seiten: Auf der
einen Seite zeige er eine unglaubliche Brutpflege, er opfere sich für seine
Kinder auf. Auf der anderen Seite könne er eine – bei Tieren nicht beobachtbare
– Aggressivität zeigen. Dieser Gegensatz habe den Menschen in der evolutionären
Entwicklung wahrscheinlich viele Vorteile beschert.
Um zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, könne sich der Mensch nicht auf seinen Instinkt verlassen. Nur Kultur und die Auseinandersetzung mit Philosophie, Religion und Sprache könne die menschliche Aggression hemmen. Um das so genannte Böse kontrollieren zu können, sei das Erlernen von Moral unabdingbar. «Wir sollten unseren Frontalkortex mit Moral füttern.»
Steffen Lau, Oberarzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich:
Als forensischer Psychiater habe er zwar mit dem Bösen zu tun, sagte Lau, aber
er vermeide diesen Begriff. Stattdessen beschreibe er – möglichst neutral – was
Menschen tun oder getan haben. Erst in einem nächsten Schritt und in einem
anderen sprachlichen Kontext spreche man von Grausamkeit oder fehlendem
Mitgefühl als Aspekten des Bösen. Es gehe von jemandem aus, der sich bewusst
für grausame Taten entschieden habe, obwohl er auch hätte anders handeln
können. Doch es gebe auch krankheitsbedingte Ursachen: Personen, die keine Empathie
empfinden könnten; wie es zum Beispiel bei vielen Kindersoldaten Afrikas der
Fall sei. Einige dieser Kinder hätten Schreckliches erlebt. «Sie können das
Leiden anderer nicht mehr nachempfinden.»
Ingolf U. Dalferth, Direktor des Instituts für Hermeneutik und
Religionsphilosophie der UZH:
Das Böse sei Gegenstand seiner Wissenschaft und seiner Forschung, sagte
Dalferth. «Jemanden als böse zu bezeichnen, sagt auch immer etwas über
denjenigen aus der so spricht. Wenn man bei solchen Charakterisierungen nicht
gleichzeitig auch über sich selbst redet, sind sie höchst fragwürdig.» Es gebe
weder einen festen Begriff des Bösen noch einen des Guten, beide bedingen sich
gegenseitig und bilden sich in einem Wechselspiel heraus.
Man könne beispielweise erschöpfend erklären, wie sich ein Unfall ereignet habe, sagte Dalferth, aber die Frage, «weshalb gerade ich?» bleibe damit unbeantwortet. Es wäre ein Irrtum zu meinen, wir könnten alle Übel der Welt beseitigen oder prinzipiell vermeiden.
Paul Schmid-Hempel, Evolutionsbiologe an der ETH Zürich:
Der Begriff des Bösen sei in der Evolutionsbiologie nicht relevant, sagte Paul
Schmid-Hempel. «Wir sprechen jedoch von bösartigen Strategien des Verhaltens
und fragen uns, inwiefern diese biologisch sinnvoll sind». Dabei sei die
biologische Sicht nicht auf den Einzelfall ausgerichtet, sondern betrachte die
Wirkung in ihrer Gesamtheit. Bakterien zum Beispiel brächten mittels Bakteriziden artfremde
Bakterien und gleichzeitig sich selbst um. Sie «opfern» sich quasi für ihre Population. Das
Bakterium schade sich zwar auch, aber weniger als den anderen. Das sei die
Boshaftigkeit der Biologie. Aggression und bösartiges Verhalten habe seinen
Grund; die unterschiedlich starke Ausprägung sei erklärbar als Konsequenz der natürlichen
Variation. Das sei bei allen Lebewesen der Fall.