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Dass die Naturwissenschaften auch fürs Theater taugen, haben grosse Dramatiker längst bewiesen: In Deutschland Bertolt Brecht mit «Galileo Galilei», in der Schweiz Friedrich Dürrenmatt mit «Die Physiker» und in England Michael Frayn mit seinem Erfolgsstück «Copenhagen» über das geheimnisumwitterte Treffen zwischen den Atomforschern Werner Heisenberg und Niels Bohr während des zweiten Weltkriegs. Was aber passiert, wenn «echte» Wissenschaftler fürs Theater schreiben – über Naturwissenschaften?
Dann zeigen sich selbst literarische Grössen wie der italienische Nobelpreisträger Dario Fo beeindruckt: «Dank dieser Komödie weiss ich nun alles über Sauerstoff und Luft. Eine intelligente, handwerklich hervorragende und lehrreiche Arbeit» – so sein Urteil über die Chemie-Komödie «Oxygen». Geschrieben haben das Stück zwei Chemiker von Weltrang: der «Vater der Pille», Carl Djerassi, und Roald Hoffmann, Nobelpreisträger für Chemie 1981. Seit der Welturaufführung 2001 in San Diego feiert «Oxygen» auch im deutschsprachigen Raum Erfolge: an Theatern, Schulen, Universitäten und naturwissenschaftlichen Museen.
Jay Siegel, Direktor des Organisch-chemischen Instituts, hat das Schauspiel nun nach Zürich geholt, als Kulturhighlight im Jahr der Chemie 2011. Die historische Geschichte über die Anfänge der modernen Chemie kommt am 19. und 20. November im Theatersaal der UZH, Campus Irchel, als szenische Lesung auf die Bühne.
Herr Siegel, in «Oxygen» bildet das wechselvolle Leben dreier bekannter Chemiker des 18. Jahrhunderts den enzyklopädischen Hintergrund einer wichtigen Fussnote der Chemiegeschichte: der Entdeckung des Sauerstoffs.
Tatsächlich ist die Ausbildung der modernen Chemie als empirische Wissenschaft eng mit jenen drei Forschern verknüpft, die in «Oxygen» die Hauptrollen spielen: Carl Wilhelm Scheele, ein schwedischer Apotheker, Joseph Priestley, ein englischer Geistlicher und der Franzose Antoine Laurent Lavoisier. Diese drei gehören zu den Pionieren auf dem Gebiet der chemischen Naturwissenschaft, die im Zuge der Aufklärung um 1780/90 aus den naturphilosophischen Erkenntnissen der Alchimisten geboren wurde.
Im Stück entbrennt ein Streit zwischen den Wissenschaftlern, wem Ehre und Ruhm als Entdecker des farblosen Gases gebührt. Demjenigen, der etwas grundlegend Neues wagte? Der die richtigen Schlüsse daraus zog? Oder der die Erkenntnisse zuerst publizierte? Was aber bedeutet das überhaupt: Erster sein? Und wie definiert sich eine wissenschaftliche Entdeckung? – Sind diese Fragen, die auch die moralischen und menschlichen Dimensionen des Wissenschaftsbetriebs beleuchten, heute noch aktuell?
Ja, durchaus. Was wir unter einer wissenschaftlichen Entdeckung verstehen, ist nicht zuletzt kulturabhängig: In Europa gilt als Entdecker, wer als Erster ein Patent angemeldet oder seine Idee als working paper ins Internet gestellt hat. In den USA dagegen gelten auch unveröffentlichte Aufzeichnungen etwa handschriftliche Skizzen als Dokumente und Beweise der Urheberschaft. Und natürlich geht es dem Wissenschaftler damals wie heute nicht nur um Erkenntnisgewinn, sondern ebenso um Ansehen, Status und die «persönliche Rankingnummer» innerhalb seines Fachgebiets.
Sozialethische Fragen, wie sich Forscher auf der Suche nach Anerkennung und Erfolg zu benehmen haben, Fragen nach Ehrlichkeit und Fairness im Wissenschaftsbetrieb, sowie nach der moralischen Haftung jedes einzelnen innerhalb der akademischen Community – das alles beschäftigt uns nach wie vor.
Einer ist doch aber immer der Erste: Scheele, Priestley oder Lavoisier? Wer hat den Sauerstoff denn nun wirklich entdeckt?
Ich behaupte: alle drei. Scheele beobachtete beim Erhitzen von Braunstein die Entstehung eines Gases, das den Verbrennungsvorgang förderte, und taufte seine Entdeckung folglich auf den Namen «Feuerluft». Priestley konnte zwei Jahre später gezielt Sauerstoffgas herstellen, indem er Quecksilberoxid erhitzte. Als Anhänger der sogenannten Phlogistontheorie zog er allerdings die falschen Schlüsse: Er glaubte, dem brennbaren Körper ein Phlogiston, eine Substanz entzogen zu haben, die bei Erwärmung wieder eindringen könne. Seine Erkenntnisse publizierte er 1774, Scheele veröffentlichte sein Buch «Chemische Abhandlung von der Luft und dem Feuer» drei Jahre später. Damit war der chemische Stoff O2 zwar entdeckt, seine Bedeutung bei der Verbrennung aber noch nicht geklärt.
Hier kommt Lavoisier ins Spiel: Er konnte experimentell beweisen, dass bei der Zerlegung von Quecksilberoxid in Metall und «dephlogistierte Luft» die Masse konstant bleibt, dass also aus verbrennenden Körpern kein Stoff austritt, sondern im Gegenteil Luft hinzukommt. Im Stück «Oxygen» bleibt die Entdeckerfrage übrigens offen. Das Publikum darf am Ende selbst entscheiden.