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«Ich weiss, dass ich nichts weiss» – schon Sokrates machte sich seine Gedanken, was «Wissen» eigentlich bedeutet. Ein sicheres Wissen, so sein Standpunkt, findet man beim Menschen grundsätzlich nicht – was heisst, dass auch das Wissen über das Nichtwissen ein Wissen ist, von dem man nicht sicher wissen kann. Auch heute hinterfragen und analysieren Geisteswissenschaftler die erkenntnistheoretischen, historischen und soziokulturellen Grundlagen des Wissens. Einen Einblick in die Zürcher Forschung bietet im Frühjahrssemester die interdisziplinäre Vorlesungsreihe «Einführung in die Geschichte und Philosophie des Wissens».
«Damit haben wir uns nicht wenig vorgenommen», eröffnet Michael Hagner, ETH-Professor für Wissenschaftsforschung und Direktor des Zentrums für Geschichte des Wissens (ZGW), die Einführungsveranstaltung. Denn Wissen spielt in allen Prozessen des menschlichen Denkens und Handelns eine fundamental wichtige Rolle – in der Wissenschaft ebenso wie in Kunst, Technik und Alltagskultur.
Wissen zirkuliert zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Sphären, wird laufend verändert oder aufgehoben, neues Wissen entsteht. Wissensforschung ist ein dementsprechend weites Feld: «Wir wollen bewusst disziplinäre Schranken unterlaufen und ganz unterschiedliche, auch konträre Formen, Praktiken und Dynamiken von Wissen aufzeigen», sagt Hagner.
Die Vorlesungsreihe ist nicht nach Fächern unterteilt oder nach Disziplingrenzen ausgerichtet, sondern in vier grosse Themenblöcke gegliedert: Welche Wissensformen und -ordnungen existieren? Wie kommt Wissen medial zum Ausdruck? Wer sind die Akteure und Institutionen des Wissens? Und: Wie lässt sich Wissen begründen und kritisieren?
Jede Woche wird ein anderes Mitglied des ZGW einem Aspekt dieser Kernfragen nachgehen. In der ersten Vorlesung etwa wird sich Michael Hampe, Professor für Philosophie an der ETH, mit dem Spannungsverhältnis von Alltag und Wissen beschäftigen. «Wissen umfasst akademische, aber auch die verschiedensten Formen von nicht-gelehrtem und populärem Wissen. Denken wir nur an die Konventionen und Erklärungsmodelle, mit denen wir im täglichen Leben umgehen. Theoretisches Wissen wird immer auch verwoben mit Erfahrungswissen aus der Lebenswelt.»
Philipp Sarasin, Professor für Allgemeine und Schweizer Geschichte der Neuzeit an der Forschungsstelle für Sozial- und Wirtschaftgeschichte der Universität Zürich, stellt die Frage nach den unterschiedlichen öffentlichen Räumen, in denen das Wissen zirkuliert und wie öffentliches Wissen wieder auf die Wissenschaft zurückwirkt. Und sein Kollege Jakob Tanner widmet sich der Frage, welche Rolle Wissen in der Ökonomie spielt.
Der ETH-Wissenschaftshistoriker Caspar Hirschi nimmt im Verlauf der Vorlesungsreihe die öffentlichen Rollen von Gelehrten der frühen Neuzeit unter die Lupe und liefert auch einen Ausblick auf die Gegenwart: «Kompetenz und Unbefangenheit sind zwei wesentliche Merkmale, die gestern wie heute den kritischen Experten charakterisieren.»
Im letzten Themenblock der Vorlesung setzen sich die ETH-Philosophen Lutz Wingert und Patricia Purtschert sowie Katia Saporiti, Philosophieprofessorin an der Universität Zürich, mit Fragen der Begründung und Kritik des Wissens auseinander: mit «Absolutheit und Relativität von Wissen», mit dem Verhältnis von «Macht und Wissen» und mit «Irrtum und Wahrheit».
Und wer sich die insgesamt Dutzend Vorlesungen zu Gemüte geführt hat, sollte danach «fähig sein, inhaltliche Querverbindungen zwischen Technik- und Wissenschaftsgeschichte, Philosophie, Ökonomie und Kulturwissenschaft zu knüpfen», umriss Michael Hagner das Ziel der Veranstaltungsreihe.