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Briten und US-Amerikaner sind nicht zu beneiden; sie sind zu einer kleinen Minderheit geworden. Gerade noch einen Fünftel machen diese Muttersprachler unter den Englischsprechenden dieser Welt aus; vier Fünftel sprechen Englisch als Zweitsprache, zum Teil sehr gut, zum Teil gebrochen und zum Teil ziemlich kreativ – also in manchen Ohren schlicht falsch.
Dieses neue Phänomen untersucht die finnische Linguistikprofessorin Anna Mauranen von der Universität Helsinki in ihrem Projekt «English as a Lingua Franca in Academic Settings». Sie will wissen, wie sich das Englisch verändert und was daraus für den Englischunterricht gefolgert werden kann. Dazu hat sie 650 Menschen mit 51 verschiedenen Muttersprachen beim Englischsprechen auf den Mund geschaut und eine Million Wörter aufgenommen.
Ihre Erkenntnisse: Die verschiedenen Englisch-Versionen sind gar nicht so verschieden. Die häufigsten Formulierungen zum Beispiel sind dieselben bei Muttersprachlern wie bei Zweitsprachlern: «I don't know», «you have to» oder «a little bit». Die Unterschiede aber sind spannend und führen dazu, dass Englisch heute an den Universitäten anders unterrichtet wird als noch vor zehn Jahren. Wer das Englische als Instrument erlernt, um sich im akademischen Alltag durchzuschlagen, will nämlich vor allem verstanden werden.
Anna Mauranen folgert daraus für den Englischunterricht, dass nicht die individuelle Leistung aus der Perspektive des Muttersprachlers, sondern die effektive Kommunikation getestet werden sollte. «Die Umgebung, in der Englisch gesprochen wird, ist heute viel weniger vorhersehbar als früher», sagt Mauranen.
Sie findet daher, dass man sich beim Lernen darauf konzentrieren sollte, was für das Verständnis wirklich wichtig ist. Dazu gehört, dass man die verschiedenen Akzente verstehen lernt. Mauranen: «Die Wahrscheinlichkeit, dass man einen Inder Englisch sprechen hört, ist in naturwissenschaftlichen Fächern sehr gross und die Wahrscheinlichkeit, dass man ihn zuerst nicht versteht, ebenfalls.»
Am Sprachenzentrum der Universität Zürich und der ETH Zürich, das die finnische Wissenschafterin kürzlich für einen Vortrag eingeladen hat, werden diese Erkenntnisse im Unterricht bereits umgesetzt. Das Angebot an Englischkursen ist breit und stark auf den akademischen Gebrauch ausgerichtet: zum Beispiel aufs Zuhören und Verstehen in einer Vorlesung oder auf das Schreiben einer Arbeit in Englisch.
Nachdem immer mehr Masterprogramme ausschliesslich in Englisch durchgeführt werden, steigt auch die Zahl jener markant, die sich im Sprachenzentrum auf ihre englische Masterarbeit vorbereiten. «Die Bedürfnisse haben sich gewandelt», sagt Patricia Pullin, Fachschaftsleiterin Englisch, «vor fünf Jahren kamen viele Studierende, um das Englisch für die Ferien aufzubessern, heute geht es ganz gezielt um den akademischen Gebrauch.»
Auch die Zahl der Kursteilnehmenden hat zugenommen; 2005 waren es 1600, heute sind es 2200 in rund 110 Englischkursen pro Jahr. Hinzu kommen massgeschneiderte Kurse an Instituten oder für Einzelpersonen.
Hinter diesen linguistischen und didaktischen Fragen des Englischunterrichts stehen die politischen Fragen nach der Dominanz des Englischen und der Pflege der Landessprachen. Mauranen warnt davor, das Englische zu verteufeln: «Wenn Sprache das Denken beeinflusst, dann kann es nicht schaden, mehrsprachig zu sein, um sich von einem einzigen Denksystem zu befreien.»
Voraussetzung dafür ist eine solide Basis in der eigenen Sprache: «Alle Kurse in Englisch zu unterrichten ist Unsinn, und mit Blick auf die Zitierindices alles in Englisch zu publizieren ebenfalls», sagt Mauranen.
Ähnlich die Position des Sprachenzentrums: «Wir brauchen eine Sprachenpolitik mit klaren Kriterien, welche Veranstaltungen und Programme in welcher Sprache unterrichtet werden sollen», sagt die Leiterin Sabina Schaffner. «Man muss sich gut überlegen, was die Studierenden lernen sollen.» Keinesfalls dürften die nationalen Sprachen aufgegeben werden.
Die Universittä Zürich will allerdings zu den Sprachen keine übergreifenden Vorgaben machen. Das sei nicht sinnvoll, findet Otfried Jarren, Prorektor Geistes- und Sozialwissenschaften. Die Universität Zürich sei als international ausgerichtete und gut profilierte Forschungsuniversität nicht primär auf eine Sprache fokussiert, sondern pflege die Mehrsprachigkeit.
«Klar ist aber, dass Deutsch und Englisch aus je unterschiedlichen Gründen eine besondere Position haben.» Deutsch sei als Sprache der Lehre auf allen Studienstufen zentral. «Umgekehrt ist auch klar, dass Englisch als Sprache des Austausches in internationalen Wissenschaftsnetzen für die wohl meisten Fachrichtungen unbestritten die wichtigste Sprache geworden ist.» Deshalb biete man am Sprachenzentrum auch eine Vielzahl von Sprachen an.
Das Englische könnte allerdings in Zukunft auch wieder an Wichtigkeit verlieren, glauben Pullin und Schaffner vom Sprachenzentrum. Nicht weil es als Lingua franca bald schon ausgedient hätte, sondern weil die Studierenden schon mit einem höheren Englischniveau an die Universität kommen und andere Sprachen an Bedeutung gewinnen werden.