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Akademien der Wissenschaften

«Pioniere muss man sichtbar machen»

Heinz Gutscher ist Ordinarius für Sozialpsychologie an der Universität Zürich und Präsident der Akademien der Wissenschaften der Schweiz. Bald ist sein erstes Amtsjahr zu Ende. Eine der Aufgaben der Akademien ist die Politikberatung. Gutscher plädiert für die öffentliche Zugänglichkeit von Expertisen – speziell dann, wenn die Resultate kontrovers sind.
Interview: David Werner

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Herr Gutscher, können Sie in zwei Sätzen erklären, worin Ziel und Zweck der Akademien der Wissenschaften Schweiz bestehen?

Heinz Gutscher: Wir vernetzen die Wissenschaften unabhängig von Fächern und Institutionen und vertreten sie gegenüber Staat und Gesellschaft. Wir stellen unser Wissen der Politik und der Gesellschaft zur Verfügung – und dies auf der Basis eines äusserst kostengünstigen Milizsystems.

Sozialpsychologe Heinz Gutscher: «Die inter- und transdisziplinäre Zusammenarbeit ist oft
mühsam.»

Viele Leute wissen gar nicht, dass es die Akademien der Wissenschaften überhaupt gibt, geschweige denn, wozu sie da sind.

Wir arbeiten daran, die Sichtbarkeit der vier Schweizer Wissenschafts-Akademien zu erhöhen. Als ersten Schritt in diese Richtung wurden sie vor drei Jahren unter einem Dach vereinigt. Ich möchte als Präsident die Zusammenarbeit vertiefen.

Welche Ziele verfolgen Sie ausserdem?

Als meine Hauptaufgabe sehe ich, den fachübergreifenden Dialog in Gang zu halten und zu verstärken. Wir wissen alle, dass wir die Herausforderungen der Zukunft nur multiperspektivisch meistern können. Doch die inter- und transdisziplinäre Zusammenarbeit ist oft mühsam.

Was erschwert den Dialog?

Die fehlenden Grundkenntnisse und das mangelnde Interesse an anderen Fächern. Wie soll ein interdisziplinäres Gespräch etwa über Risiken der Stromproduktion in Gang kommen, wenn die beteiligten Geistes- oder Sozialwissenschaftler zum Beispiel kaum wissen, dass Radioaktivität ein natürliches Phänomen ist, oder dass wir mit den Rüebli immer auch radioaktives Kalium-40 aufnehmen? Man braucht schon ein gewisses Minimalwissen, um ernst genommen zu werden.

Wie steht es umgekehrt mit den kulturwissenschaftlichen Kenntnissen von Naturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern?

Meiner Erfahrung nach etwas besser. Beeindruckt hat mich zum Beispiel der Protest der britischen Mediziner gegen die Kürzungen in den Geisteswissenschaften. Sie argumentierten, es sei Unsinn, einseitig in medizinische Technologien zu investieren, um die Lebenszeit von Patienten zu verlängern, und gleichzeitig beispielsweise die Kultivierung des Umgangs mit der Sterblichkeit des Menschen zu vernachlässigen. Das ist grosszügig und weitsichtig gedacht: das Gegenteil von blindem Fach-Egoismus.

Zu den Aufgaben der Akademien der Wissenschaften Schweiz gehört die Politikberatung. Dazu wurde kürzlich ein Leitlinien-Papier veröffentlicht. Worauf sollte man Ihrer Erfahrung nach bei der Beratung besonders achten?

Man muss aufpassen, dass man sich nicht vereinnahmen lässt und die Grenzen der eigenen Kompetenz nicht überschreitet. Man muss vor der Beratung den Zweck genau abklären und auf öffentliche Zugänglichkeit der Expertise pochen, speziell dann, wenn die Resultate kontrovers sind.

Hört die Politik auf die Wissenschaft? Und tut sie es auch dann, wenn die Expertise einmal nicht den jeweiligen Interessen entspricht?

Das Schweizer Politiksystem räumt mit seinen Vernehmlassungsverfahren der wissenschaftlichen Expertise ziemlich grosse Bedeutung ein, was auch notwendig ist angesichts der Komplexität unserer Welt. Wie stark die Expertisen dann in den Entscheiden auch berücksichtigt werden, ist unterschiedlich. In der voreiligen Reaktion des Bundesrates auf Fukushima war es meiner Meinung nach kaum der Fall.

Sollten wissenschaftliche Experten politisch möglichst neutral sein?

Ich bin dafür, dass man klar unterscheidet, wann man als Wissenschaftler spricht und wann als Staatsbürger. Als Staatsbürger hat man seine Meinungen und Wertpräferenzen, die Wissenschaft aber entscheidet nicht über Ziele. In welche Richtung sich die Gesellschaft bewegen will, muss die Gesellschaft selbst entscheiden. Die Wissenschaft sagt nur, ob und unter welchen Bedingungen und Risiken die Ziele zu erreichen sind. Sie kann beispielsweise sagen: Wenn wir unsere Verantwortung künftigen Generationen gegenüber wahrnehmen wollen, dann sollten wir unsere Lebensweise ändern.

Glauben Sie, dass die Menschen dazu zu bewegen sind, freiwillig und langfristig ihr Verhalten zu ändern, auch wenn es unbequem ist?

Ich glaube es nicht nur. Ich kann Ihnen aufgrund von Studien zeigen, dass dies möglich ist. Man wird immer Leute finden, die aus Überzeugung das Richtige tun. Diese Pioniere muss man sichtbar machen. Das bewirkt Nachahmereffekte. Wenn neben die soziale Anerkennung auch noch ökonomische Anreize und eine entsprechende Gesetzgebung treten, wird vieles möglich.

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Ein Paradebeispiel war die erste Schweizer Aids-Präventionskampagne. Man analysierte zuerst genau das Problem, dann stellte man gezielt Leute ins Rampenlicht, die Mut zum unkonventionellen Handeln zeigten, Tabus brachen und damit einen Wandel in der Kommunikationskultur und den Verhaltensgewohnheiten herbeiführten. Die Tagesschau-Sendung, in der Moderator Charles Clerc sich 1987 vor laufender Kamera ein Kondom über den Finger stülpte, war sensationell. Solche Signale braucht es jetzt im Bereich Nachhaltigkeit.

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