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Ortstermin Aula. Hinter dem Rücken des Redners, dort, wo über pfeilerhoher Marmorverkleidung die Wandflächen beginnen, steht, um ein offenes Wasserbassin versammelt, eine Gruppe Frauen in lose fallenden Gewändern. Unbeeindruckt von den Worten des Vortragenden scheinen die antiken Damen ihren eigenen Gedanken nachzuhängen. Wie gelassen sie dastehen, in rotem und blassblauem Tuch, das die grazilen Körper züchtig umhüllt, um sich vor aller Augen Tagträumereien hinzugeben!
Der Redner im Saal verschwimmt zu einem diffusen Schatten; den Kopf im Nacken, saugt sich der Blick fest am rechten oberen Bildrand: Einige Jünglinge haben sich hier im Hain versammelt, nackt, bleiben abseits, als gehörten sie nicht zum Kreis der Frauen. Was haben sie in dieser weiblichen, auf Innerlichkeit und Stille angelegten Szenerie zu suchen?
Wer schon einmal eine Veranstaltung in der Aula, im halbzylindrischen Eingangsbau der Universität Zürich, besucht hat, dem mag diese Frage durch den Kopf geschwirrt sein. Vielleicht aber hat ihn das Wandfresko auch nur am Rand des Bewusstseins gestreift – oder gar nicht tangiert, da es sich – hinter Leinwand und Power-Point-Präsentation versteckt – dem Auge des Betrachters entzog. Wie auch immer: Zum Semesteranfang rücken wir das schmucke Wandbild in der Aula für einmal in den Fokus.
Es trägt den schönen, für eine Universität kuriosen Titel «Nicht-Wissen» oder auch «Nicht-Wissen-Können» – beide Varianten erschienen dem Maler zutreffend. Denn seine anmutigen, auf durchscheinenden weissen Kalkgrund gepinselten Damen haben sich nicht etwa auf der Waldlichtung versammelt, um Wissenschaft und Lehre zu lauschen, nein: Andächtig geben sie sich ganz einem Moment sinnlichen Erlebens, einem Moment feierlicher Idylle hin.
Paul Bodmer (1886-1983), der das stimmungsvolle Werk 1933 im Auftrag der Universität schuf, nimmt hier eines seiner grossen Themen auf: die Versunkenheit im Hinhören auf Botschaften und Ahnungen, die sich dem Menschen erst auftun, wenn er sein Handeln unterbricht. Der gelernte Theatermaler, der sich zum Arbeiten in sein Atelier auf dem Zollikerberg zurück zog, machte sich mit Fresken in öffentlichen Gebäuden einen Namen. Für den Kreuzgang des Zürcher Fraumünsters etwa schuf er Wandzyklen, die Szenen zur Gründungslegende der Abtei darstellen: Figürliche Kompositionen in zeitlosen, lichten Landschaften, die in ihrem lyrischen Stimmungsausdruck an das Tafelbild im Festsaal der Universität erinnern.
Tatsächlich erhielt Bodmer den Auftrag zur Gestaltung der Aulawand ein Jahr nachdem seine Arbeiten im Fraumünster als wichtiger Beitrag zur Erneuerung der protestantisch-religiösen Malerei der Schweiz anerkannt worden waren. Zur Jahrhundertfeier der Universität Zürich machte sich der Künstler ans Werk – wurde in seinem Elan aber bald gebremst: Seine ersten Entwürfe zeigten nur wenige Frauengestalten, allein oder in losen Gruppen versammelt, und dazwischen einzelne nackte Knaben. Später erweiterte der Künstler den Kreis der Frauen und verzichtete dafür auf die Jünglinge – sehr zum Missfallen der universitären Fachkommission, die das Auftragswerk zu begutachten hatte.
Vor allem Heinrich Wölfflin, damals Professor für Kunstgeschichte an der Universität und einer der bedeutendsten Schweizer Kunsthistoriker, bemängelte das Fehlen männlicher Gestalten auf einem für den prominenten Festsaal vorgesehenen Bild. So füllte Bodmer – wohl widerwillig – die Szenerie mit einer ganzen Horde an Knaben – keineswegs zum Vorteil von Bildgedanken und Komposition. Sei es aus Trotz oder Stolz: Der Maler integrierte die jungen Männer nicht ins Geschehen, als wollte er das geistige Band, das die Frauen vereint, nicht verletzen; sie bleiben bei Bodmer nackte Staffage – die Gedankenfreiheit übernehmen bei ihm die Frauen.
Bei aller Luzidität aber bleibt ein Geheimnis: Wer hat die Orchideen im rechten unteren Bildrand gemalt? Paul Bodmer, so das Gerücht, war es nicht, die Blumen-Deko kam erst nachträglich aufs Bild. «Einer dieser Schlingel ist dafür verantwortlich.» Walter Tobler vom Veranstaltungsdienst, der mit seinem grossen Schlüsselbund die Aula-Tür geöffnet hat, glaubt Bescheid zu wissen: «Denn auf dem modernen Gemälde ein Stockwerk tiefer – diese nackten Männer – da hat auch mal jemand ordentlich nachgebessert.» Ganz schnell sei damals ein Maler organisiert worden, das «Kunstwerk» zu vertuschen. Das aber ist eine andere Geschichte. Die Orchideen jedenfalls blühen weiter.