Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

Intensivmedizin

Ethik für den Notfall

Auf einer Intensivstation stellen sich medizinethische Fragen besonders akut. Entscheidungen müssen oft in kürzester Frist fallen. Meist geht es dabei um Leben und Tod. Wie im In- und Ausland damit umgegangen wird, zeigte am Mittwoch eine Konferenz am Universitätsspital Zürich. Tanja Krones, Leitende Ärztin für Klinische Ethik am USZ, hat die Konferenz organisiert.
Adrian Ritter

Frau Krones, Sie sorgen am Universitätsspital Zürich dafür, dass ethische Fragen vermehrt Beachtung finden. Inwiefern unterscheidet sich dabei eine Intensivstation von anderen medizinischen Bereichen?

Tanja Krones: Ethische Fragen stellen sich auf einer Intensivstation besonders häufig und dringlich. Patienten liegen dort oft längere Zeit ohne Bewusstsein und ohne kommunizieren zu können. Sie besitzen praktisch keine Privatsphäre und sind fremden Menschen ausgeliefert. Eine Extremsituation, in der sich zeigt, dass der Mensch im ernsthaften Krankheitszustand ein anderer ist. Seine Verletzlichkeit und Schutzbedürftigkeit werden offenkundig. Es ist kein Zufall, dass medizinethische Richtlinien zuerst im Bereich Intensivmedizin entstanden sind.

Was bedeutet das aus ethischer Sicht?

Sind die Mitarbeitenden der Intensivstation nicht genügend sensibilisiert, besteht die Gefahr, dass Menschenrechte und Würde der Patienten ernsthaft verletzt werden. Das Personal hat oft und unter Zeitdruck ethisch schwerwiegende Entscheidungen zu treffen, auch wenn diese vielleicht nicht als solche wahrgenommen werden.

Diese Entscheidungen reichen von der Frage, ob überhaupt Kapazitäten vorhanden sind, einen Patienten aufzunehmen, über den «Bettendruck», ihn baldmöglichst wieder zu verlegen, bis zur Frage der Organspende im Todesfall.

Sie sprechen finanzielle Aspekte an. Welche Rolle spielen diese auf der Intensivstation?

Die Intensivmedizin verursacht einen erheblichen Anteil der Kosten im Gesundheitswesen – in vielen Ländern und auch in der Schweiz liegt der Wert bei über zehn Prozent. Einerseits ist dies gut zu rechtfertigen, da die Intensivmedizin immer professioneller und erfolgreicher wird. Heute verlassen über 90 Prozent der Patienten die Intensivstation lebend. Patienten würden viele Operationen und Unfälle ohne den heutigen Stand der Intensivmedizin nicht oder nicht gut überleben.

Anderseits gibt es Patienten, bei denen die Chance sehr gering ist, dass sie überleben und eine akzeptable Lebensqualität haben werden. Für sie kann die Intensivbehandlung dann eine sinnlose Leidensverlängerung sein, die zudem etwa der medizinischen Grundversorgung Ressourcen entzieht.

Intensivstationen sind erfolgreich. Das zeigt sich in steigenden Patientenzahlen. Genügen die Kapazitäten noch?

Es kommt mittlerweile nicht selten vor, dass Notärzte verschiedene Krankenhäuser anfragen müssen, bis ein Patient einen Platz in der Intensivmedizin erhält. Geschieht einmal ein grösserer Unfall, kommen Intensivstationen schnell an ihre Grenzen.

Ethische Fragen aufgrund ökonomischer Begrenzungen stellen sich auch in anderem Zusammenhang. Verschiedene Medikamente und Massnahmen, die auf Intensivstationen eingesetzt werden, sind sehr teuer, haben aber nur einen mässigen Nutzen. Inwiefern und für welche Patienten sie eingesetzt werden sollen, ist eine heikle Frage.

Die ethisch wohl schwierigste Frage ist aber, wann das Ziel einer maximalen Lebensverlängerung zugunsten einer palliativen, schmerzlindernden Behandlung aufgegeben werden soll. Oder wann eine künstliche Beatmung beendet werden soll.

Welche Aspekte spielen dabei eine Rolle?

Entscheidende Punkte sind sicher der Wille des Patienten und die erwähnte Überlebenschance und zukünftige Lebensqualität – was nicht einfach einzuschätzen ist. Nicht zu vergessen ist auch, dass eine intensivmedizinische Behandlung wie jede medizinische Behandlung nicht nur nützen, sondern auch Schäden anrichten kann. Zum Beispiel Lungenschäden bei Beatmungen, Infektionen oder posttraumatische Belastungsstörungen.

Kommt es vor, dass Patienten selber entscheiden können, inwiefern sie intensivmedizinisch behandelt werden wollen?

Nach einer schweren Operation beispielsweise ist der Aufenthalt auf einer Intensivstation durchaus vorhersehbar. Dies ermöglicht es, Gespräche mit dem Patienten zu führen, seinen Willen zu erfragen und eine gegebene Patientenverfügung entsprechend anzupassen. Wobei gesagt werden muss, dass dies noch zu oft nicht geschieht.

Häufig ist ein Aufenthalt auf der Intensivstation nicht geplant. In der Schweiz haben noch sehr wenige Menschen eine Patientenverfügung. Somit stehen die Angehörigen plötzlich vor der Frage, was der Patient wohl zu seiner Situation sagen würde. Es geht also darum, den mutmasslichen Willen des Patienten zu ermitteln. Dazu kann es sinnvoll sein, eine Familienkonferenz auf der Intensivstation einzuberufen.

Die Familienkonferenz als ein Rahmen zur Erörterung ethischer Fragen. Gibt es weitere Strukturen oder Gefässe, die heute an Spitälern angewandt werden?

In den letzten Jahren wurden an vielen Spitälern Strukturen geschaffen, welche die ethische Reflexion erlauben. Dazu gehören am USZ unter anderem Gesprächsleitfäden, welche ethische Fragen beinhalten, regelmässige Fallbesprechungen im Team oder Ethikvisiten, bei denen speziell auch ethische Aspekte diskutiert werden. Alle Patienten, Mitarbeitenden und Angehörigen können die Unterstützung der klinischen Ethik in Anspruch nehmen. Im laufenden Jahr war dies bisher rund zweihundert Mal der Fall.

Wie reagieren die Ärzte und Ärztinnen auf die Konfrontation mit ethischen Fragen?

Ich erlebe viele Kolleginnen und Kollegen als sehr offen und interessiert. Erfreulicherweise ist die Medizinethik ja heute Teil sowohl der Pflegeausbildung als auch des Medizinstudiums. Ziel sollte es sein, dass die intensivmedizinischen Teams ethische Aspekte eigenständig und routinemässig berücksichtigen.

Gibt es einen ethischen Grundkonsens in der Intensivmedizin?

Ja es gibt eine hohe Übereinstimmung darin, was es heisst, ethisch zu handeln. Dazu gehört etwa, Entscheidungen auf Fakten und Erfahrungen aufzubauen, diese kritisch zu reflektieren und im Team einen Konsens bezüglich der sinnvollsten Therapieziele und Massnahmen herzustellen. Diese gilt es mit den Wertvorstellungen und Lebenszielen des Patienten abzugleichen.

Zur ethischen Haltung gehört sodann die Sensibilität für die Verletzlichkeit des Patienten. Ein Mensch will auch auf der Intensivstation als Subjekt mit einer eigenen Biographie, eigenen Bedürfnissen und Wertvorstellungen wahrgenommen werden.

An der Konferenz wurden unterschiedliche Vorgehensweisen im In- und Ausland verglichen. Wo steht das Universitätsspital Zürich?

Die Konferenz hat gezeigt, dass die grundsätzlichen Fragen in den USA, Deutschland und der Schweiz sehr ähnlich sind. Das USZ hat in der Bearbeitung von ethischen Fragen eine für europäische Länder und die Schweiz recht lange Tradition. Erste Aktivitäten gab es schon Ende der 1980er Jahre. Seitdem ist mit den erwähnten Strukturen einiges erreicht worden.

Es gibt aber noch viel zu tun. Kolleginnen und Kollegen aus den USA und Deutschland haben an der Konferenz berichtet, wie selbstverständlich bei ihnen alle Beteiligten – Pflegekräfte, Ärztinnen und Angehörige – eine Besprechung ethischer Fragen einberufen können.

So weit sind wir am Universitätsspital Zürich noch nicht. Immerhin, am USZ ist ein solches Vorgehen bereits in der Klinik für Neonatologie – Neugeborene – etabliert. Wir sind somit auf einem guten Weg.