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Vormittags in einer Schulklasse in Herrliberg: Medizinstudent Gion Rüegg und seine Kollegin treten vor die Sekundarschüler und umreissen den Unterrichtsstoff für die nächsten vier Stunden. Einige Mädchen kichern, doch die Jungen zeigen den nötigen Ernst. Schliesslich geht es heute um Sex.
Die beiden Medizinstudenten sind in die Schule gekommen, um aufzuklären. Zwischen Vorlesung, Labor und Klinikpraktikum nehmen sie sich die Zeit, um Jugendliche über Sexualität und Geschlechtskrankheiten zu informieren und den Jugendlichen einen unverkrampften Umgang mit dem eigenen Körper beizubringen.
Gion Rüegg studiert im achten Semester Medizin. Er müsste eigentlich Krankheitsbilder büffeln, doch diesen Vormittag hat er sich freigehalten. Sein Engagement als ehrenamtlicher Sexualkundelehrer findet im Rahmen der Organisation «Achtung Liebe» statt. Unter diesem Namen haben sich dreissig Studierende der Universität Zürich zusammengefunden, die jeweils zu zweit in Schulen gehen und Aufklärungsunterricht anbieten.
Die Studierenden der Gruppe «Achtung Liebe» werden jeweils von den Lehrern angefragt. Viele Lehrpersonen nehmen das Angebot der Studierenden gerne auf, oft um den vom Lehrplan vorgeschriebenen Sexualkundeunterricht zu ergänzen. Manche Lehrer sind auch froh, wenn sie nicht vor der Klasse über Sex reden müssen. Die Medizinstudenten behandeln in den vier Unterrichtsstunden alles, was zur Aufklärung gehört: von der Pubertät über Verhütungsmittel und Menstruationszyklus bis zur Homosexualität.
«Die Aufklärungsstunden sind notwendig», findet Rüegg. Denn mit den lückenhaften Informationen, die sich die Jugendlichen von Freunden, aus Magazinen oder dem Internet holen, seien sie nicht umfassend informiert. Deshalb solle der Aufklärungsunterricht auch so früh wie möglich durchgeführt werden – bevor es zu spät sei.
Ausserdem sei der Unterricht mit jüngeren Schülern der fünften oder sechsten Klasse interessanter, weil diese Altersklasse vieles noch nicht wisse und den Informationen gegenüber sehr aufgeschlossen sei. Ältere Schüler würden eher dazu neigen, so zu tun, als wüssten sie schon alles.
Die Jugendlichen insgesamt seien in der Regel vertraut mit Safer-Sex-Regeln, vertieftes Wissen jedoch fehle, so Rüegg. Dass eine Chlamydien-Infektion sich durch die Übertragung beim Geschlechtsverkehr enorm schnell verbreiten kann und unbehandelt zu Unfruchtbarkeit führen kann, hat der Medizinstudent schon in mehreren Schulen klarstellen müssen. «Ein Dauerbrenner ist auch das Thema HIV. Die Schüler wissen dank der Aufklärungskampagnen, dass HIV gefährlich ist und wie man sich am besten schützt, doch sie wissen wenig darüber, was die Krankheit im Körper auslöst.» Auch hapere es am Wissen über weitere Geschlechtskrankheiten, so Rüegg.
Die Vorstellung vom Geschlechtsverkehr sei zum Teil kurios. «Im Internet finden die Jugendlichen zwar jede Menge Pornos, aber wenig brauchbare und verlässliche Information», bilanziert Rüegg. «Meiner Erfahrung nach können die Jugendlichen zwar zwischen der fiktionalen Darbietung von Dauersex im Internet und der Realität unterscheiden, doch gerade die Jungen vergessen dabei, dass Liebe nicht nur aus Techniken besteht.»
Viele Jungen machen sich Sorgen um die Länge ihres Penis. Solche Fragen werden meistens in den geschlechtergetrennten Unterrichtsstunden besprochen. Das habe sich bewährt, so Rüegg.
In den Einzelgruppen können auch kulturelle Unterschiede im Umgang mit sexuellem Verhalten besprochen und Fragen geklärt werden. Ein Zettelkasten dient dazu, auch anonym Fragen zu stellen. So kommen grundsätzliche Dinge zur Sprache, zum Beispiel warum wir überhaupt Sex haben.