Navigation auf uzh.ch
Lehre ist mehr als Bologna. Das zeigte der zum zweiten Mal durchgeführte «Tag der Lehre» an der Universität Zürich. An verschiedenen Instituten und Seminarien fanden gestern über ein Dutzend Veranstaltungen statt. Etwa an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät ein Round Table über «Lernen mit Computer, Handy und Podcasts» oder am Deutschen Seminar ein Diskussionsforum zum Thema «Lesen».
Höhepunkt des Tages war die «Abschlussveranstaltung: Studierende im Fokus» in der Aula der Universität Zürich. Das Podium leitete Gabi Reinmann, Professorin für Lehren und Lernen mit Medien an der Universität der Bundeswehr München, mit einem Input-Referat ein. Der Titel: «Studierendenorientierung: Wege und Irrwege eines facettenreichen Begriffs».
Mit auf dem Podium diskutierten unter der Moderation von Otfried Jarren, Prorektor Geistes- und Sozialwissenschaften, Gwendolyn Marx, Präsidentin des Studierendenrates, Martin Wasmer, Studierendenrat, Andrea Burmester, Vertreterin der Assistierenden in der Lehrkommission, und Michael Hengartner, Professor für Molekularbiologie und Lehrpreisträger 2010 der UZH.
Tja, was sind sie nun, die Studierenden, aus Sicht der Lehre? «Kunden», deren Bedürfnisse die Universität zufrieden zu stellen hat, «mündige Bürger», «selbstbestimmte Teilnehmer» am Lehrbetrieb oder einfach «Lernende», denen in erster Linie Fachkompetenz vermittelt werden sollte? Und braucht es überhaupt einen Entscheid, welche Rolle man Studierenden zuschreibt, oder muss man, wie Otfried Jarren als Einstieg ins Thema anführte, «mit den Unterschiedlichkeiten einfach leben»?
Die Pädgogin Gabi Reinmann, die sich mit einer Arbeit aus dem Bereich des Wissensmanagement habilitiert hat, stiess mit ihrer Forderung, den Begriff der «Studienorientierung» zugunsten des umfassenderen Begriffs der «Bildungsorientierung» zu ersetzen – als Leitidee für eine gute Lehre –, auf weitgehend offene Ohren.
Eloquent legte Reinmann dar, dass eine universitäre Lehre, die sich primär als «studierendenorientiert» versteht, die Studierenden immer über eine bestimmte Rolle definiert, mit je unterschiedlicher Zielsetzung. Der Nachteil dabei: Die Rollenzuschreibungen seien «tote Metaphern», nicht zuletzt weil sie aus Kontexten stammen würden, die der Hochschuldidaktik fern seien.
Reinmann führte an, dass die Rollenzuschreibungen je für sich durchaus Sinn machen könnten, als Ganzes jedoch der Lehrsituation von Studierenden nicht gerecht würden. «Kunde» sei ein Begriff aus der Ökonomie, «Bürger» aus der Politik. Klar, so Reinmann, sollten die Dienstleistungen einer Universität, die Mensa oder die Abläufe bei der Einschreibung kundengerecht sein. Und ebenso klar seien Studierende als mündige Bürger an Entscheiden zu beteiligen. «Aber für die Didaktik sind diese Rollenzuschreibungen ungeeignet.»
Als Beispiel führte Reinmann die Evaluation von Lehrveranstaltungen an. Würden die Studierenden sich selbst als «Kunden» sehen, wäre ihr Votum ein Gradmesser für die Zufriedenheit der Erfüllung ihrer Bedürfnisse, zum Beispiel für den Erhalt guter Noten. Sähen sie sich hingegen als «Bürger», sei die Evaluation ein Machtinstrument, mit dem man einem Dozenten allenfalls eins auswischen könnte. Beides sei wenig hilfreich, eine Lehrveranstaltung zu verbessern.
Gefragt sei stattdessen ein differenzierteres Verständnis von Evaluation als ein «Instrument zur Erfassung von Erfahrungen und Kompetenzen und zum Aushandeln von Interessen». Und genau dies könne eine bloss «studierendenorientierte» Lehre nicht leisten. Mit solch einem Ansatz ständen stets unfruchtbare Gegensätze und nicht Gemeinsamkeiten im Zentrum. Gegensätze etwa zwischen Lehrenden und Lernenden oder zwischen Inhalten und Prozessen.
Dabei sitzen alle im selben Boot und stehen in einer gemeinsamen Verantwortung. Eine Verantwortung, die sich mit der Hinwendung zur «Bildungsorientierung» besser wahrnehmen lasse. Dieser Perspektivenwechsel ist mit Arbeit verbunden. Denn: «Es geht nicht um Begriffe, sondern um Ideen. Es geht darum, eine wissenschaftliche Haltung zu entwickeln.» Die Schwierigkeit dabei: Eine solche Haltung lasse sich nicht messen. Über Erfolg oder Nichterfolg entscheiden allein die Anschlusssysteme, etwa ein künftiger Arbeitgeber oder Sponsoren von Stipendien.
Studierende als passive Kunden, Lernende oder Teilnehmer müssten vermehrt eigene Verantwortung wahrnehmen. Reinmann: «Sie müssen lernen, selber aktiv zu lernen. Inhalte dürfen nicht auf dem Tablett serviert werden.»
Als konkrete Massnahmen schlug Reinmann vor, die Curricula – vor allem auf Bachelor-Stufe – phasenbezogen auszugestalten und gleich auch ein Bekenntnis zum «Mut zur Lehre» abzugeben. Dozierende sollten klar kommunizieren, wie ihr Lehrfahrplan aussieht und welche Ziele sie verfolgen. Zum Beispiel, dass sie die Studierenden zum aktiven Selber-Lernen hinführen möchten und dazu am Anfang eher einen verschulten Zugang mit dem Einüben verschiedener Lernstrategien wählen, um in einer späteren Phase die Zügel zu lockern und Freiheiten zuzulassen.
Studierendenvertreterin Gwendolyn Marx warnte davor, die Studierenden nicht von der ersten Sekunde an als mündige Bürger wahrzunehmen. Man wolle «nicht an der Hand genommen werden, sondern mitentscheiden». Und Andrea Burmester wehrte sich dagegen, den Begriff der «Studierendenorientierung» ganz aufzugeben, stattdessen müssten sich Dozierende immer wieder fragen, welche Rolle sie den Studierenden selbst zuschreiben.
Nicht nur auf der didaktischen Ebene sind gemäss Reinmann Massnahmen angebracht, sondern auch «kulturell», sprich: Es gelte den Dialog zu intensivieren und unterschiedliche Wahrnehmungen aufzudecken, etwa in Bezug darauf, wie praxisrelevant ein Studium in welcher Phase sein müsse. Ein «Tag der Lehre» sei dazu ein gutes Mittel.