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Boni, goldene Fallschirme und «Abzockerei»: Spätestens mit der 2008 eingereichten Eidgenössischen Volksinitiative «gegen die Abzockerei» rückte die Revision des Aktienrechts ins Bewusstsein der Öffentlichkeit und auf die Agenda der politischen Parteien.
In der Folge entstand ein Wust an Entwürfen, Botschaften und revidierten Revisionsvorschlägen, wie Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf an der 7. Zürcher Aktienrechtstagung vergangene Woche darlegte. Der Stand: Der Nationalrat empfiehlt sowohl die Volksinitiative wie auch den direkten Gegenvorschlag (Verfassungsbestimmung) dem Volk zur Annahme.
Die Initiative verlangt, dass die Generalversammlung jährlich die Vergütung der Verwaltungsräte und der Geschäftsleitung festgelegt. Und auch der Verwaltungsrat müsste jährlich wiedergewählt werden.
Der Gegenvorschlag sieht vor, dass die Aktionäre börsenkotierter Unternehmen jährlich über den Gesamtbetrag der Vergütungen an den Verwaltungsrat abstimmen. Die Statuten dürften eine Frist bis zur Wiederwahl von maximal drei Jahren vorsehen.
Das Geschäft geht nun zurück an den Ständerat. Dieser hatte bereits einen indirekten Gegenvorschlag verabschiedet, womit eine Differenz zum Nationalrat besteht.
Widmer-Schlumpf bedauerte, dass die Revision des Aktienrechts zum «Spielball politischer Manöver im Bezug auf die Volksinitiative gegen Abzockerei» wurde. Dies könne nicht im Sinne des Wirtschaftsstandortes Schweiz sein, der ein sachgerechtes, stabiles Aktienrecht benötige.
«Es darf keine Renaissance der Marktgläubigkeit geben, aber auch keine Renaissance des Staatsinterventionismus.» Nötig seien pragmatische Lösungen mit einer Mischung aus staatlichen Regulierungen und Selbstregulierung.
Klar ist, dass mit der Aktienrechtsrevision die Einflussnahme der Aktionäre gestärkt werden soll. Peter Forstmoser, emeritierter Professor für Privat-, Handels- und Kapitalmarktrecht an der Universität Zürich (UZH), versuchte in seinem Referat mit einigen Missverständnissen zur vielbeschworenen «Aktionärsdemokratie» aufzuräumen.
Der Begriff der Demokratie lasse sich nicht unbesehen von der Politik auf eine Aktiengesellschaft übertragen. Die Aktionärsdemokratie sei eine «Kapitaldemokratie». Es gelte nicht «eine Person – eine Stimme», sondern das Stimmrecht sei nach dem investierten Kapital abgestuft.
Ziel müsse es sein, den Aktionärswillen – als Willen der Kapitalmehrheit – unverfälscht und repräsentativ zum Ausdruck zu bringen. Das Stimmrecht müsse somit erleichtert werden. Und gerade hier weise die Revision Mängel auf.
Dazu gehört für ihn das vorgesehene Verbot von Depotstimmrecht und Organvertretung. Es sei verfehlt, allerdings praktisch wenig relevant, da es einfach durch die unabhängige Stimmrechtsvertretung abgelöst werde.
Ein «klarer Fehler in der Reform» sei, dass die Stimmrechtsvertreter in Zukunft zur Stimmenthaltung gezwungen werden, wenn ihnen keine Weisungen zur Stimmabgabe vorliegen. Dies führe zu einer Missachtung des Aktionärswillens. Wer eine Vollmacht erteile, der wolle, dass mit seinen Aktien gestimmt wird – auch wenn der Vertreter dabei im Zweifelsfalle selber entscheiden muss.
Was Vergütungen anbelangt, soll die Generalversammlung laut Forstmoser zwar die Saläre des Verwaltungsrates, nicht aber der Geschäftsleitung festlegen können. Und: Die einjährige Amtsdauer des Verwaltungsrates sei «ein falsches Signal». Sinnvoll wäre, die jederzeitige Abwahl an einer Generalversammlung zu ermöglichen.
Forstmoser plädierte grundsätzlich für wenig starre Vorschriften. «Zwingendes Recht» sei nicht demokratisch, sondern schränke die Entscheidungsfreiheit der Aktionäre ein, was dem Sinn der Revision zuwiderlaufe.
Von der Vergütungsfrage einmal abgesehen, handle es sich um eine «kleine Revision», so Forstmoser. Er rechne damit, dass eine «grosse Aktienrechtsreform» bald folgen könnte.
Sinnvollerweise müssten dann Grundsatzfragen diskutiert werden, die in der laufenden Reform nicht beachtet werden: Sind Belohnungen nötig, damit die Aktionäre ihr Mitbestimmungsrecht häufiger wahrzunehmen? Sollen langfristig orientierte Aktionäre speziell belohnt werden, indem sie etwa eine Zusatzdividende erhalten? Oder soll die Generalversammlung Aktionärsausschusse wählen können, um die Interessen der Aktionäre besser wahren zu können?
Eine Umgestaltung grösseren Ausmasses könnte das Aktienrecht auch aus einem anderen Grund erleben, wie Hans-Ueli Vogt, Ordinarius für Handels-, Wirtschafts- und Immaterialgüterrecht an der UZH, ausführte.
Die Rechtskommission des Nationalrates hat das Bundesamt für Justiz im Herbst 2009 beauftragt, die Systematik des Aktienrechts zu ändern: Ein allgemeiner Teil soll künftig für alle Aktiengesellschaften gelten, ein besonderer Teil nur für börsenkotierte Gesellschaften. Kannte das Obligationenrecht bereits bisher punktuelle Differenzierungen für börsenkotierte Unternehmen, soll die Zweiteilung jetzt formell werden.
In der Schweiz gibt es rund 180'000 Aktiengesellschaften, wovon rund 270 an einer Schweizer Börse kotiert sind. Auch die Abzocker-Initiative richtet sich mit ihren Vorschriften ausschliesslich an börsenkotierte Aktiengesellschaften.
Ist eine solche gesetzliche Unterscheidung aufgrund der Börsenkotierung sinnvoll? Vogt gab sich wie andere Teilnehmende des Podiumsgesprächs an der Tagung skeptisch: «Die Trennlinie wird damit vielfach am falschen Ort gezogen.»
Wer börsenkotiert sage, meine oft Grossunternehmen. Warum also nicht das Kriterium der Grösse eines Unternehmens heranziehen, falls Differenzierungen nötig sind? Möglich sei zudem, branchenspezifische Regelungen, etwa für Banken, zu erlassen. Vogt plädierte, das Aktienrecht formell einheitlich zu belassen. Das bisherige System der punktuellen Differenzierung habe sich bewährt.