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Vermutlich ziehen Studentinnen und Studenten heutzutage weniger um als zu meinen Zeiten, in den achtziger Jahren. Oder sie gehen neben dem Studium einer Erwerbstätigkeit nach und leisten sich Zügelmänner. Oder sie treiben Sport und haben trainierte Freunde, die tragen helfen. Auf jeden Fall stellen erstaunlich viele richtige Möbel in ihr Zimmer. Sideboards, Büchergestelle, Regale, Arbeitsstühle und immer wieder Sofas. Weisse Sofas.
Das könnte auch damit erklärt werden, dass heute in der Schweiz die meisten Studierenden zu Hause bei den Eltern wohnen und gar nicht umziehen mussten. 40 Prozent logieren derzeit im «Hotel Mama». Das ist bequem und günstig. Ein Zimmer in einer WG – neben Hotel Mama wohl die günstigste Unterkunft – kostet derzeit im Durchschnitt in Zürich immerhin 600 Franken. Die muss man erst mal haben.
Trotzdem ist die WG als studentische Wohnform nicht untergegangen. Sie konnte sich sogar erstaunlich gut halten: mit 27 Prozent kommt sie gleich auf Platz zwei. Auf den Fotos, die für den Wettbewerb eingesandt wurden, kann man oft nicht erkennen, ob es sich um das Kinder- oder ein WG-Zimmer handelt. Es gibt sogar Wohnzimmer, die man garantiert für das elterliche gehalten hätte, stünde da nicht auf der Bildlegende klar und deutlich: «Unsere gemütliche Jungs-WG».
Die eingesandten Fotografiensind auf dem Web zu sehen. Unter jedem Bild zeigt eine Zahl, wie oft das betreffende Bild angeklickt wurde. Jene zwei Studentinnen/Studenten, die für den Fotowettbewerb ihren Hund abgelichtet haben, verlockten am meisten Websurfer zu einem Klick. – Obwohl ich Hunde mag, wäre Hund für mich als Studentin in Zürich undenkbar gewesen. Mit dem Vierbeiner Gassi gehen, während die anderen gerade an der «Wo-Wo-Wohnige!»-Demo sind – war gar nicht angesagt. Damals hatten nur Punks oder Familien Hunde.
Seine Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, hat man in den post-«bewegten» Achtzigerjahren dadurch bewiesen, dass man die heroinabhängige Freundin des WG-Partners beherbergte – ein Hund, das war Kleinbürgerkram. Heutige Studentinnen und Studenten sehen das offensichtlich weniger eng, sonst hätten sie nicht ihre Haustiere abgelichtet. Sie scheinen sesshafter zu sein, häuslicher. Immerhin 15 Prozent leben mit dem Partner (mit oder ohne Kinder). Was ich von mir damals gar nicht sagen konnte, bin ich doch während des Studiums fünf mal umgezogen und habe an alles gedacht, nur nicht an Familie.
Eine zeitgemässe Variante weiblicher Emanzipation zeigt das Foto «Hotel Mama». Und die geht so: Die Mutter putzt die zwar enge, aber gediegen mit Holz(-imitat?) ausstaffierte Küche, während die Studentin mit angezogenen Beinen auf einem Stuhl sitzt (damit Mama darum herum wischen kann) und liest (hoffentlich für eine Prüfung). Was will uns dieser Beitrag sagen?
Heute putzt die Mutter die Wohnung wieder alleine, wenn die Tochter gerade vor einem wichtigen Karriereschritt steht – ohne sich schlecht zu fühlen. Früher war das ein Privileg der Söhne.
Am dritthäufigsten angeklickt wurde ein Foto mit Sushi darauf. Das Abendessen ist immer noch wichtig in einem Studentenleben. Sieben der Bilder zeigen die Küche oder den Esstisch, und die meisten sind stilvoll eingerichtet und aufgeräumt. Nur ein Gelage oder was davon übrig blieb, ist zu sehen. Die früher beliebte 1 1/2-Liter-Chianti-Flasche im Bastkorb, die anno dazumal an keinem Fest fehlte, ist ganz verschwunden. Dafür sind richtige Stühle aufgetaucht und erst noch sechs vom gleichen Typ. WG oder Hotel Mama? Wohl ersteres – aber bei den heutigen Mamas weiss man nie so genau.