Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

Medizin

«Ich bin nicht grundsätzlich gegen Impfen»

Für die einen ist es die grösste medizinische Errungenschaft überhaupt, für andere ein grober Eingriff in die Natur des Menschen. An einer Veranstaltung des Zürcher Zentrums für Integrative Humanphysiologie diskutierten Christoph Berger, Arzt und Infektiologe am Kinderspital Zürich, und Klaus von Ammon, Homöopath aus Stäfa, über Impfungen. 
Norina N. Gassmann

Die Umfrage vom Moderator Steffen Lukesch, Redaktor SF Tagesschau, zeigt: Nicht Impfbefürworter und auch nicht Impfgegner bevölkern mehrheitlich den Saal des Careums Zürich, sondern hautpsächlich Impfskeptiker. Impfen, ja aber.

Gleich zu Beginn macht Kinderarzt und Infektiologe Christoph Berger deutlich, weshalb für ihn Impfen sinnvoll ist: «Impfen war eine medizinische Erfolgsstory, wird aber zunehmend zum Opfer des eigenen Erfolges, und diese Entwicklung gefährdet sowohl Individuum als auch Gesellschaft», warnt Berger.

Sind Impfungen das wirksamste Mittel, um sich gegen Krankheiten zu schützen?

Die Gründe für das Impfen seien vielfältig: bei fehlender Therapie nach einer Infektionskrankheit wie Kinderlähmung, bei Epidemiegefahr wie bei der Schweinegrippe oder bei schweren gesundheitlichen Folgen durch eine Infektionskrankheit wie Röteln.

Letztere habe zwar kaum Konsequenzen für die schwangere Mutter, sei aber umso verheerender für das ungeborene Kind. Berger: «Impfen soll nicht als Zwang, sondern als Chance gesehen werden.»

Nicht-Impfen ist ein Luxus

Während sich die ärmsten Länder Impfstoffe oft nicht leisten können, seien wir in der Lage, die Kosten einer wegen Impfversäumnis erfolgten Krankheit zu tragen. Das sei reiner Luxus, findet Berger. Wer bewusst nicht impfe, verhalte sich egoistisch, nehme er doch in Kauf, andere Menschen zu gefährden.

Infektiologe Christoph Berger: «Impfen soll nicht als Zwang, sondern als Chance
gesehen werden.»

Gerade Personen mit Immunschwäche könnten in der Regel aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden. Dabei wäre gerade diese Gruppe bei einer Durchimpfungsrate von 95 Prozent durch die sogenannte «Herdenimmunität» geschützt, erklärt Berger.

So hätten etwa während der Fussball-EM 2008 englische Medien vor der potentiellen Ansteckungsgefahr mit dem Masernvirus an Spielorten in der Schweiz und in Österreich gewarnt. Grund: Beide Länder hätten eine niedrige Masern-Durchimpfungsrate.

Wie neugeboren nach überstandener Krankheit

Nun liegt es am Homöopathen Klaus von Ammon, die Vorteile einer natürlich durchgemachten Krankheit dem Publikum näher zu bringen: «Zum einen sehe ich die erhöhte und sicherere Immunität nach überwundener Kinderkrankheit. Und zum anderen beobachte ich immer wieder bei meinen kleinen Patienten einen ausgeprägteren Entwicklungsschub nach einer durchgemachten Krankheit.» Etwa ein Knabe, der sich nach überstandener Masernerkrankung «wie neugeboren» gefühlt habe.

Das Recht krank zu sein

Anders als Berger spricht von Ammon auch die soziale Ebene an und fragt, ob wir nicht auch deshalb impfen, «weil wir in der heutigen Stressgesellschaft gar keine Zeit mehr hätten, um überhaupt krank zu sein.

Homöopath Klaus von Ammon:«Impfen wir, weil wir in der heutigen Gesellschaft keine Zeit mehr für Krankheiten haben?»

«Welche Familie mit zwei berufstätigen Elternteilen, kann – oder will – es sich leisten, dass Mutter oder Vater sich für eine gewisse Zeit ganz um die Betreuung des kranken Kindes kümmern?» Nur zu leicht ginge vergessen, dass gerade ein solches Pflegeverhalten die zwischenmenschliche Beziehung stärke.

Der richtige Impfzeitpunkt

Über die Frage, wann geimpft werden soll, gehen die Meinungen auseinander. Homöopath von Ammon plädiert dafür, eher später zu impfen, weil beim Säugling das Immunsystem noch nicht ausgereift sei, während Schulmediziner Berger sich klar für eine frühzeitige Impfung ausspricht: «Man soll impfen, bevor das Erkrankungsrisiko eintrifft, auch wenn dafür in Kauf genommen werden muss, dass eine zusätzliche Impfdosis verabreicht werden muss».

Gefordert ist auch die Wissenschaft. Um die Langzeitfolgen der üblichen Impfungen wissenschaftlich im Detail zu untersuchen, verlangt von Ammon eine von Impfstoffherstellern unabhängige Forschung.

Nicht konträr, sondern komplementär

«Ich bin nicht grundsätzlich gegen Impfen und entsprechend kein eigentlicher Kontrahent von Herrn Berger», bilanziert Ammon. Wichtig sei ihm, den Eltern möglichst alle Alternativen, wie sie ihre Kinder vor Krankheiten schützen können, aufzuzeigen. «Mir ist die individuelle Beratung äusserst wichtig, damit jedes Kind den Schutz erhält, den es benötigt. Ängstlichen Eltern, die einen hohen Schutz für ihr Kind wünschen, werde ich keinesfalls das Impfen ausreden.»

Somit versteht sich der Homöopath im wahrsten Sinne des Wortes als komplementär zur Schulmedizin. Und in der Tat: Das Schlusswort der beiden Mediziner ist fast identisch: Sachliche Information und Aufklärung sollen rechtzeitig (Berger) und individuell (von Ammon) erfolgen.