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Podium «Wie deutsch ist Zürich?»

«Die Ängste müssen wir ernst nehmen»

Gestern diskutierten im Zürcher Kaufleuten Vertreter aus Politik und Wirtschaft mit den UZH-Professoren Otfried Jarren und Kurt Imhof über die Anti-Deutschen-Kampagne der Stadt-Zürcher SVP.
Marita Fuchs

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Schon vor Türöffnung drängten sich Besucher und Medienleute vor der Tür des Kaufleuten in Zürich. Das Podium zum Thema «Wie deutsch ist Zürich?» lockte so viele Besucher an, dass der grosse Vortragssaal schnell besetzt war; alle wollten vor Ort sein, obwohl das Gespräch auch via Internet live auf www.tagesanzeiger.ch verfolgt werden konnte.

In
einem waren sie sich einig: Man muss die Ängste ernst nehmen. V.l.n.r. PR-Berater
Klaus J. Stöhlker, UZH-Prorektor Otfried Jarren, Ko-Chefredaktor Tages-Anzeiger
Markus Eisenhut, SVP-Stadtpräsident Roger Liebi, Präsidentin des Deutschen Clubs
Zürich, Vanessa Matthiebe, und UZH-Soziologieprofessor Kurt Imhof.

Die Universität Zürich war auf dem Podium prominent vertreten mit Prorektor und Publizistikprofessor Otfried Jarren und Soziologieprofessor Kurt Imhof; die beiden UZH-Vertreter diskutierten mit dem SVP-Präsidenten Roger Liebi, dem PR-Berater Klaus J. Stöhlker sowie der Präsidentin des Deutschen Clubs Zürich, Vanessa Matthiebe.

Hype um die Germanen

Die Veranstaltung war vom «Tages-Anzeiger» organisiert worden und wurde von Ko-Chefredaktor Markus Eisenhut moderiert. Auf dessen Frage, ob Zürich zu deutsch sei, meinte Liebi, dass es seit 2006 eine enorme Zuwanderung aus Deutschland gebe. Die SVP habe darauf hingewiesen, dass es vor allem an der Universität Zürich zu viele Deutsche gebe, an der ETH Zürich sei es nicht so.

Damit hätte die SVP jedoch kein Deutschen-Bashing betreiben wollen. Sie hätte lediglich auf das Problem an der Universität hingewiesen. Zu einem medial gross aufgebauschten Thema sei die Zuwanderung aus Deutschland erst geworden, nachdem die Professoren eine Anzeige gegen das SVP-Inserat geschaltet hätten.

Ausserdem sei es doch schade, dass so viele Deutsche aus ihrem Land flüchten müssten, das sei eine Flucht vor dem Sozialstaat. Soziologe Kurt Imhof konterte: Die Durchmischung von Schweizern und Deutschen sei doch nur von Vorteil, denn die Deutschen kosteten weniger, als sie zahlten.

Angst vor Statusabstieg

PR-Berater Stöhlker wies auf Ängste der Schweizer Bevölkerung hin, die man ernst nehmen müsse. Es gebe auf der einen Seite eine Schweiz, die auf internationaler Ebene agiere, und da sei der Ausländeranteil kein Problem, etwa im internationalen Geschäftsverkehr.

Es gebe jedoch auf der anderen Seite die klassische Schweiz, die etwa 80 Prozent der Bevölkerung ausmache; diese Menschen hätten Angst vor dem Verlust ihrer Arbeitsplätze und davor, verdrängt zu werden. Imhof bestätigte, dass Ängste da seien, die auch dadurch geschürt würden, dass die Arbeitsplatzsicherheit nachgelassen habe.

Die deutsche Konkurrenz rufe nun die Angst vieler Schweizer vor einem Statusabstieg hervor. Die strukturellen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt seien jedoch kein schweizerisches, sondern ein gesamteuropäisches Problem, meinte Prorektor Otfried Jarren. Seiner Ansicht nach suche die Schweiz nach einer neuen Identität und sei im Moment in einem Findungsprozess.

Kein Filz im Terrarium

Jarren äusserte sich als Deutscher auch zum Filzvorwurf. Es störe ihn, dass pauschal immer von «den Deutschen» und «den Schweizern» die Rede sei. Professoren, die an die Universität Zürich kommen, setzten sich für diese Universität ein, genauso wie ihre Schweizer Kollegen, sie seien stolz, an der Universität Zürich zu sein, und würden dann mit dem Vorwurf des Filzes konfrontiert. Das sei sehr verletzend.

Zum Filz-Vorwurf meinte Imhof, dass das «Terrarium» der Universität ein schlechter Nährboden für Filz sei. Denn als Professor sei man auf der Karriereleiter schon ganz oben und könne seinen Status nur noch in Abgrenzung gegen andere Professoren etablieren. «In dieser Atmosphäre Filz zu erwarten, ist absurd», sagte Imhof.

Nachwuchsförderung keine Erfindung der SVP

Trotzdem, meinte Liebi, sei es so, dass die deutschen Professoren ihre deutschen Assistenten nachzögen. Es sei das Verdienst der SVP, auf diesen Missstand aufmerksam gemacht zu haben. Sie hätte damit den Anstoss für eine neue Entwicklung gegeben.

Falsch, sagte Imhof. Der Schweizerische Nationalfonds investiere schon lange sehr viel Geld in die Förderung von Schweizer Nachwuchsforschern. Das Problem liege ganz woanders: Eine Universitätskarriere sei für viele Schweizer Nachwuchsforscher nicht attraktiv. Meist werde man dabei nämlich mindestens vierzig Jahre alt, bis sich abzeichne, ob man vielleicht Professor werde – und auch dann sei das nicht etwa eine sichere Sache.

Während all der Jahre bis zu einer allfälligen Professur sei der Verdienst mässig. Bildlich gesprochen: Man müsse sich täglich überlegen, ob man sich ein Sandwich leiste oder einen Blumenstrauss für die Angebetete. Viele Schweizer Nachwuchsforscher wechselten in dieser Zeit in die besser zahlende Privatwirtschaft.

Neuere Mittel wie das so genannte «tenure track» (die zeitlich beschränkte Anstellung als Assistenzprofessor, die bei Erfolg in eine feste Stelle umgewandelt wird; Anm. d. Red.) hielten die akademischen Nachwuchskräfte bei der Stange und würden seit einiger Zeit vermehrt vergeben, führte Imhof weiter aus. Auch sie seien nicht aufgrund der Initiative der SVP entstanden.

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