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Guten Tag Herr Hengartner. Wie lange haben wir Zeit für dieses Gespräch?
Ewig. Mein nächster Termin ist in zwei Stunden.
Sind Sie mit Ihren Studierenden auch so grosszügig?
Ich nehme mir viel Zeit für die Studierenden, das ist mir wichtig und gibt mir viel.
Freut Sie der Lehrpreis?
Enorm. Ich bin überrascht und stolz.
Wie lernt man am effizientesten? Im Dialog oder in der Einkehr? Anders gefragt: im Seminarraum oder im stillen Kämmerlein?
Beides trägt zum Lernen bei. Man lernt durch die Auseinandersetzung, und diese wird oft durch eine Diskussion stimuliert, in der man ein Problem neu betrachtet. Man lernt aber auch, indem man das Diskutierte im Nachhinein genau durchdenkt.
Im Dialog ist man gezwungen, seine Gedanken zu artikulieren. Liegt darin ein Lerneffekt?
Ja. Das klare Ausdrücken ist sehr wichtig. Das kann verbal geschehen oder auch schriftlich. Man merkt dabei rasch, ob der Gedankengang eine intellektuelle Lücke hat. Der unschätzbare Vorteil einer Diskussion in einer Gruppe ist ausserdem, dass zwanzig Köpfe denken und nicht nur einer. Da kommen viele gute Ideen zusammen.
Welche Rolle spielen Sie als Dozent? Der Solist? Der Maestro, der die Einsätze gibt? Der stille Zuhörer?
Oft bin ich der Lehrling, der fragt und zu verstehen sucht. Was heisst dieses Resultat? Wie könnte man es besser beweisen? Mein Doktorand, der sich täglich zwölf Stunden mit einer Materie befasst, verfügt über das Detailwissen. Ich hingegen weiss, wie man die richtigen Fragen stellt. Ich lerne von den Studierenden, und sie lernen von mir.
Der Fokus des diesjährigen Lehrpreises ist der Lerndialog. Was bedeutet Lerndialog für Sie?
Die Vorlesung, für die ich ausgezeichnet wurde, ist eine besondere Herausforderung. Sie ist so gross, dass wir sie in einen zweiten Raum übertragen müssen – ein schwarzes Loch, aus dem von selbst nichts zurückkommt. Man muss mit Tricks arbeiten. Ich bilde zum Beispiel so genannte «buzz groups» – weil die Gedanken wie in einem Bienenstock hin und her schwirren sollen.
Die Studierenden diskutieren in Zweier- oder Dreiergruppen eine Frage. Damit lässt sich die Vorlesungsroutine aufbrechen. Dieses Peer learning ist zentral. Stelle ich eine Frage im Plenum, habe ich einen Dialog mit einer Person; in der «buzz group» kreiere ich viele Dialoge unter den Lernenden.
Und wie erhalten Sie selber Feedback?
Den Dialog zwischen den Studierenden und mir stelle ich über Clickers her. Clickers sind wie kleine Handys. Ich stelle eine Frage, und die Studierenden beantworten sie, indem sie auf A, B, C oder D klicken. Auf diese Weise schaffe ich einen Dialog, anonym zwar, aber individualisiert. Ich sehe, ob die Frage verstanden wurde.
Ausserdem benutze ich die Praktika, in denen die Studierenden in Kleingruppen arbeiten. Ich wechsle von einer Gruppe zur nächsten und kann so den Kontakt herstellen, «one by one».
Wie beurteilen Sie die Diskussionskultur in der Schweiz im Vergleich zum Ausland?
Die Studierenden sind viel aktiver in den USA als in der Schweiz.
Bewerten Sie das positiv?
Ich persönlich habe lieber zu viel Interaktion als zu wenig. Der Vorteil der Interaktivität ist, dass man als Dozent ein sofortiges Feedback erhält. Es gibt für mich nichts Schlimmeres als eine Vorlesung, auf die niemand reagiert. Habe ich keine Gedanken ausgelöst, habe ich versagt. Kommt aber eine Anschlussfrage, ist das ein Erfolgserlebnis – ich sehe, dass die Zuhörer eigene Verknüpfungen herstellen.
Wie stimulieren Sie denn Ihre Zuhörer zum Mitdenken?
Indem ich nicht nur Fakten weitergebe, sondern versuche, anhand von Beispielen Assoziationsketten auszulösen. Ich mag auch Entertainment. Jemand, der einen Gedanken mit Humor vermitteln kann, erzeugt einen bleibenden Eindruck. Das unterstützt den Lernprozess.
Wie sieht für Sie die ideale Lehrveranstaltung aus?
Kleine Gruppen. Klein genug, damit man diskutieren kann, und gross genug, damit man Diversität hat. Meine produktivste Stunde ist das wöchentliche Treffen mit meinen Masterstudierenden, Doktoranden und Postdoktoranden. Jeder legt die Fortschritte und Fragen seiner Arbeit dar. Die spannendsten Diskussionen entstehen, wenn die Mitglieder der Forschungsgruppe miteinander ins Gespräch kommen.
Macht Ihnen das Unterrichten Freude?
Man bekommt viel zurück. Die Veranstaltung, die ich dieses Semester halte, ist auf einem so fortgeschrittenen Niveau, dass ich sie jedes Jahr aktualisieren muss. So bilde ich mich ständig weiter. Und ich kriege ein High, wenn ich Prüfungen korrigiere und jemand 98 Prozent richtig hat – dann schreie ich, yes, sie oder er hats kapiert! Ich bin stolz, zu dieser Leistung beigetragen zu haben.
Wenn ich Sie richtig verstehe, kannibalisieren sich Forschung und Lehre nicht gegenseitig?
Die Lehre auf hohem Niveau geht fliessend in die Forschung über. Daher sagen wir an der UZH: Wir können keine gute Lehre ohne Forschung machen.
Sie waren eine der treibenden Kräfte hinter den Graduiertenschulen, die an der UZH eingeführt werden. Warum dieses Engagement?
Früher lernte man in einem Doktoratsstudium, was der Professor, in dessen Forschungsgruppe man mitarbeitete, einem weitergab. Aber das reicht oft nicht. Ich bin überzeugt, dass man den Lernprozess beschleunigen kann, indem man gezielt ergänzende Kurse anbietet. Man kann dort auch lernen, wie man ein Projekt leitet, ein SNF-Gesuch schreibt oder ein gutes Forschungspaper. Learning by doing ist nicht immer die effizienteste Methode.
Ist das Niveau dadurch bereits gestiegen?
Ja, vor allem im Bereich der überfachlichen Kompetenzen. Ausserdem merken wir, dass die Studierenden viel mehr untereinander interagieren, seit sie als Kohorten ihr Doktoratsstudium beginnen. Johann kennt zum Beispiel eine gewisse Technologie nicht, er weiss aber, dass Petra damit arbeitet; also geht Johann zu Petra und lässt sich erklären, wie die Technologie funktioniert.
Wie können wir die Lehre weiter verbessern?
Die Lehre ist in Zürich schon sehr gut. Bologna gibt indes zu reden. Wir müssen darauf achten, dass wir weiterhin Flexibilität gewährleisten. Und wir müssen sicherstellen, dass die Dozierenden den Spass am Lehren behalten. Denn es gibt von Natur aus wenig, was einem Professor oder einer Professorin mehr Freude bereitet, als über die eigene Passion, die Wissenschaft, zu reden.