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Underdogs sind in der Geschäftssprache jene, die zuunterst in der Firmenhierarchie stehen. Sie werden in jedem Unternehmen gemeinhin als die verzichtbarsten Mitarbeiter betrachtet und sind somit die Ersten, die eingespart werden, wenn das Business nicht rund läuft.
In Urs Widmers Stück geht es jedoch nicht um die kleinen Angestellten, sondern um die ganz grossen Fische in der Geschäftswelt, die hohen Kader, die Chefs, die Top-Manager. Kurz: es geht um Top Dogs und deren Entlassung. Denn selbst den Top Dogs wird manchmal gekündigt. Und selbst für sie kann es das Ende der Welt bedeuten.
Regisseur Robert Salzer bringt es auf den Punkt: «Top Dogs sind Menschen, die nur für ihre Karriere, ihren Job leben.» Umso tiefer sitzt der Schock nach der Entlassung. Plötzlich stehen diese Menschen, die sich stets über ihren beruflichen Erfolg definierten, vor den Trümmern ihres zerstörten Lebenswerks. Wie soll es nun weitergehen?
Ein Augenschein auf der vorletzten Probe vor dem grossen Auftritt zeigt folgendes Bild: Auf der Bühne stehen ein ehemaliger Börsianer, eine abgesetzte Abteilungschefin und eine ehemalige Projektleiterin. Insgesamt vier Männer und vier Frauen. Alle haben sie ihre Business-Garderobe noch nicht abgelegt. Die ehemaligen Top Dogs treffen sich in der etwas suspekten NCC (New Challenge Company), einem sogenannten Outplacement-Unternehmen, das ihnen helfen soll, sich wieder in die Arbeitswelt zu integrieren.
Die Ex-Manager erzählen der Reihe nach ihre persönliche Schicksalsgeschichte. Er habe alles verloren, klagt einer: Zuerst habe man ihn auf die Strasse gesetzt, dann habe ihn seine Frau samt den Kindern verlassen, doch wenigstens sei der Porsche in der Garage geblieben. Die gescheiterten Chefs haben offensichtlich den Bezug zur Realität komplett verloren. Sie scheinen ihre Situation gar nicht recht zu begreifen, geschweige denn sind sie in der Lage, miteinander ein vernünftiges Gespräch zu führen. Man hört fast nur Monologe, alle reden aneinander vorbei.
«Die Monologe stellten eine echte Herausforderung dar», sagt Regisseur Salzer. Doch Urs Widmers Drama sei für die Schauspieler gerade deshalb auch besonders herausfordernd gewesen. Tatsächlich verkörpern die acht Top Dogs völlig unterschiedliche Persönlichkeiten, und jeder hat seine eigene Art, mit der neuen Situation umzugehen.
Völlig unerwartet sind die Szenenwechsel. Ein Top Dog nach dem anderen nimmt abwechslungsweise die Aufgabe eines «Psychologen» der NCC ein, der jeweils Rollenspiele zwischen den «Patienten» moderiert. Dann folgt wieder ein abrupter Wechsel, und der Psychologe wird nun selbst wieder zum Patienten. So lösen sich innerhalb kürzester Zeit scheinbar zusammenhangslose Szenen ab. Die Ohnmacht der nutzlos gewordenen Top Dogs und deren Sehsucht nach dem unwiederbringlich Verlorenen ziehen sich als roter Faden durch das gesamte Stück.
Inmitten eines statischen Monologs bricht unversehens ein lautes Schluchzen aus – auch Top Dogs können weinen. Neben zu Konfetti geschredderten Dokumenten fliegen Möbel über die Bühne. Ein Entlassener muss in einem Rollenspiel seine Entlassung nachspielen, und seine Leidensgenossin denkt sich für ihren ehemaligen Chef einen besonders grausamen Tod aus. Dabei vergessen beide, dass sie bis vor kurzem selbst die Profiteure jenes Systems waren, von dem sie sich nun so ungerecht behandelt fühlen. Salzers Fazit: «‹Top Dogs› kritisiert zweifellos aktuelle Gesellschaftsphänomene, ist aber trotzdem keine Moralkeule.»