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Daniel Wyler, Prorektor Medizin und Naturwissenschaften, hielt als Vertreter der Universität Zürich auf dem Podium ein nachdrückliches Plädoyer für die Hochschulautonomie. «Hochschullandschaft ist für mich ein Unwort», sagte er. Er warnte vor zuviel staatlicher Koordinierung und Lenkung der Forschung. Triebfeder in der Wissenschaft sei individueller Ehrgeiz einzelner Personen und einzelner Universitäten. «Wir müssen aufpassen, dass wir diesen Ehrgeiz nicht unterminieren.»
Die Podiumsveranstaltung, die an der ETH stattfand, wurde von der Vereinigung Schweizerischer Hochschuldozierenden organisiert. Moderator war NZZ-Redaktor Christoph Wehrli. Im Mittelpunkt der Diskussion stand das neue Schweizerische Hochschulförderungsgesetz (HFKG), mit dem der Bundesrat den Bildungsartikel aus dem Jahr 2006 umsetzen will, der von Bund und Kantonen eine bessere Koordination und eine bessere strategische Planung in Hochschulfragen verlangt. Der Bundesrat will mit dem Gesetz zudem eine hohe Qualität der Hochschulen garantieren und dafür sorgen, dass die finanziellen Mittel effizient eingesetzt werden. Der Ständerat hat der Vorlage am 30. September zugestimmt. Der Nationalratsentscheid steht noch aus.
Daniel Wyler zeigte sich dem Hochschulförderungsgesetz gegenüber skeptisch. «Die Universität Zürich ist mit der bisherigen Regelung gut gefahren», sagte er, «sie gewährte uns genügend Autonomie und erlaubte uns, eigene Glanzpunkte zu setzen.»
Wyler bezweifelte, dass eine staatlich koordinierte Hochschullandschaft der richtige Weg sei, um höchste Qualitätsziele zu erreichen. Er bezweifelte ebenso, dass durch grosse Kooperationsprojekte Geld gespart werde könne, da Grossstrukturen immer auch teure Administrations- und Kontrollapparate erforderten.
Ähnlich gelagert waren die Voten von Ralph Eichler. «Die Autonomie der Institutionen hat das Schweizer Hochschulsystem erfolgreich gemacht», sagte der Präsident der ETH Zürich. Diese Erfolgsgeschichte lehre, dass man die Entscheidungen dort treffen solle, wo die Kompetenzen lägen. Dieser Erkenntnis folgend würden die Verantwortlichkeiten innerhalb der ETH momentan dezentralisiert, also teilweise von der Schulleitung in die Departemente verschoben. Als unklug bezeichnete Ralph Eichler, Forschenden von aussen vorzuschreiben, mit wem sie kooperieren sollten. «Die Professorinnen und Professoren wissen selbst am besten, wo in der Welt sie die Kollegen finden, mit denen sie gemeinsam einen Mehrwert schaffen können.»
Mauro Dell’ Ambrogio, Staatssekretär für Bildung und Forschung, versuchte, die Bedenken gegenüber dem neuen Hochschulförderungsgesetz zu zerstreuen und zählte dessen Vorteile auf. Weder die Hochschulautonomie noch die wichtige Koordinationsrolle der Konferenz der Universitätsrektoren werde angetastet. Das Gesetz lasse auch die Zuständigkeiten der Kantone unberührt. Es erlaube aber, gesamtschweizerische Prioritäten, Schwerpunkte und grosse Investitionen besser festzulegen.
Christian Bochet, Chemieprofessor an der Universität Fribourg und Präsident der Vereinigung Schweizerischer Hochschuldozierender, teilte auf dem Podium diese positive Einschätzung des neuen Gesetzes. Es ermögliche eine einfachere und transparente Ressourcenzuteilung.
Der Seitenblick auf die Nachbarländer Deutschland und Österreich zeigte, dass die Problemstellungen bezüglich Hochschulautonomie und staatlicher Lenkung je nach Hochschulsystem stark variieren. Bernhard Keppler, Vorsitzender des Österreichischen Universitätsprofessor/innenverband führte aus, dass in seinem Land die Hochschulautonomie durch die generelle, staatlich garantierte Zulassungsfreiheit zum Studium stark beeinträchtigt werde. Die Studieneignung stelle sich bei jedem Studierenden erst im Laufe des Studiums heraus. Entsprechend exorbitant sei die Abbrecherquote. Die österreichischen Universitäten hätten keine Mittel in der Hand, sich des Ansturms schlecht qualifizierter Studierender zu erwehren – damit werde ihre Handlungsfreiheit untergraben.
In Deutschland wiederum zeigen sich die Schattenseiten eines ausgeprägt föderalistischen Systems: Hochschulpolitik sei im Laufe der letzten Jahre fast ausschliesslich Ländersache geworden, sagte Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbandes. Weil sich der Bund aus Hochschulfragen «komplett abgemeldet» habe, sei es zu einer bedauernswerten Zersplitterung der Kräfte gekommen.
Auch die Bewertung der Bologna-Reform fiel je nach nationaler Optik unterschiedlich aus. Staatssekretär Mario Dell’Ambrogio gestand ein, dass bei der Reformumsetzung «Kinderkrankheiten» aufgetreten seien – beispielsweise eine teilweise zu bürokratische Regulierung. Insgesamt zog er aber aus Schweizer Sicht eine positive Bilanz der Reform: Entscheidend sei, dass die europäischen Länder eine gemeinsame Sprache in der Hochschulpolitik gefunden hätten und die verschiedenen Systeme für einander transparent geworden seien.
Bernhard Kempen sprach dagegen von der Reform als einem «schmerzvollen Prozess». In Deutschland sei inzwischen eine «Reform der Reform» eingeleitet worden, allerdings sei es schwierig, «das Kind, das in den Brunnen hineingefallen ist, wieder hinauszufischen». Kempen bedauerte vor allem, dass die Studierenden-Mobilität durch Bologna erschwert worden sei. Schuld daran sei die immer stärkere Profilierung und wechselseitige Abgrenzung einzelner Studiengänge. «Das Ziel eines grossen, gemeinsamen Hochschulraumes, in dem sich Akademiker und Akademikerinnen frei bewegen könnten, wurde auf diese Weise verfehlt», stellte Kempen fest. Am Anspruch, einen solchen Raum zu schaffen, müsse aber festgehalten werden.
Mauro Dell’Ambrogio entgegnete darauf, generelle Freizügigkeit im gemeinsamen europäischen Hochschulraum sei für ihn kein Ziel. «Mobilität», so seine pointierte Formulierung, «soll es nur für die überdurchschnittlich guten Studierenden geben». Schwächere Studierende würden die Durchlässigkeit missbrauchen, um auf möglichst billigem Weg zu einem Studienabschluss zu kommen. Einen solchen «internationalen Umgehungstourismus» gelte es zu verhindern.
Mit Befriedigung stellte Dell’Ambrogio fest, dass die Schaffung eines europäischen Hochschulraums nicht zu einer Nivellierung des Studienangebotes geführt habe. Qualitätshierarchien zwischen den Hochschulen würden durch Bologna nicht gebrochen, sondern eher noch akzentuiert. Diese Ansicht teilte Ralph Eichler, der meinte, es sei «eine Illusion» zu glauben, dass man in Europa jemals einen gemeinsamen Qualitätsstandard im Bachelor- und Masterstudium erreichen werde.
Daniel Wyler wiederum bekannte, dass die Stimmung in seinem Fach, der Physik, anfänglich gegen Bologna gerichtet gewesen sei. Doch seien inzwischen auch positive Wirkungen zu verzeichnen, gerade bei der Mobilität: «Die Studienreform hat bewirkt, dass viele Physikstudierende nach dem Bachelor die Universität wechseln, sowohl innerhalb der Schweiz als auch europaweit.»
Die Mobilität, so gab Wyler zu bedenken, müsse sich aber im Rahmen eines Kontaktnetzes ausgewählter Universitäten mit ähnlich hohem Standard abspielen, denn Einzelabklärungen des Leistungsniveaus von Studienbewerbern aus dem Ausland seien schwierig und extrem aufwendig.