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Wussten Sie, dass ein Esslätzchen im Kanton Zürich auch ein «Musueli» ist? Dass die Neuenburger der Karotte manchmal «rifnàla» sagen und dass im Südtessin zuweilen eine «slüscia», ein Gewitter, aufzieht?
Dialekte sind in ihrer reichen Vielfalt eine wahre Schatztruhe für Sprachforscher. Um gesprochene Mundarten aufzuzeichnen und zu untersuchen, sind deshalb schon Anfang des 20. Jahrhunderts Wissenschaftler der Universität Zürich (UZH) in alle Schweizer Landesteile gereist.
Dialekte auf Wachs gebannt
Mit dabei war jeweils ein kleines Kästchen aus Holz und Metall, auf dem ein grosser, schwarz lackierter Papptrichter sass. Dieser Phonograph, der nun im Phonogrammarchiv der UZH zu bestaunen ist, sieht für heutige Augen unscheinbar und etwas skurill aus: Anfang des 20. Jahrhunderts war das Gerät aber absoluter High-Tech. Bereits 1909 wurde damit die Stimme von Catharina Streiff durch den damaligen Germanistikprofessor Albert Bachmann auf eine Wachsplatte gebannt.
Die Aufnahme der 22-jährigen Studentin, die eine Erzählung in Glarner Mundart in den Papptrichter sprach, war der Grundstein für das Phonogrammarchiv, das Bachmann zusammen mit dem Romanistikprofessor Louis Gauchat bald darauf ins Leben rief.
Zuerst waren es vor allem Studentinnen und Studenten, die Dialekttexte aus ihrer Region in den Phonographen sprachen. Doch schon bald schwärmten die Sprachforscher der UZH in alle Ecken und Winkel der Schweiz aus, um Mundartbeispiele aus den vier Landessprachen zusammenzutragen. «Einerseits wollte man damit aussterbende Dialekte dokumentieren», sagt Dieter Studer, der das Phonogrammarchiv heute betreut, «andererseits wollten die Forscher die Schweizer Dialektlandschaft und ihre Unterschiede so engmaschig wie möglich erfassen.»
So ist über die Jahrzehnte hinweg ein einmaliges Spracharchiv entstanden. Heute verfügt es über rund 900 eigene Aufnahmen auf den unterschiedlichsten Tonträgern. Darunter befinden sich Raritäten wie etwa Tondokumente mit Rätoromanisch aus dem Samnaun oder Westjiddisch aus dem aargauischen Surbtal – Sprachen, die es heute nicht mehr gibt.
Sprachschätze digitalisieren
In diesem Jahr feiert das Phonogrammarchiv das hundertjährige Bestehen seiner Sammlung. Zu diesem Anlass haben Dieter Studer und sein Kollege Michael Schwarzenbach eine Ausstellung konzipiert, die vom 7. bis 25. September im Lichthof des Kollegiengebäudes Geschichte und Arbeit des wissenschaftlichen Archivs beleuchtet.
Parallel zur Ausstellung findet an der UZH vom 7. bis 9. September der dritte Kongress der Internationalen Gesellschaft für Dialektologie des Deutschen zum Thema «Dynamik des Dialekts. Wandel und Variation» statt.
Die Ausstellungsmacher erhoffen sich durch diese Gleichzeitigkeit nicht zuletzt auch aus Fachkreisen eine erhöhte Aufmerksamkeit für die Arbeit und die Angebote des Archivs. Interessant ist der Bestand des Phonogrammarchivs besonders für Forscher, die sich historisch mit der Phonetik, Phonologie und Prosodie von Dialekten beschäftigen.
Aktuell macht das Archiv keine neuen Sprachaufzeichnungen mehr. Denn in vergangenen Zeiten lag das aufnahmetechnische Know-how bei einigen wenigen Spezialisten und so waren die Tonträger, die das Phonogrammarchiv produzierte, eine wichtige Dienstleistung für die Dialektforschung.
Heute dagegen kann mit der einfach zu handhabenden Digitaltechnik jede Forscherin und jeder Forscher selbst eigene Aufnahmen machen. Deshalb haben sich die Mitarbeiter des Phonogrammarchivs in den letzten Jahren vor allem darauf konzentriert, die Schätze des Archivs in digitaler Form einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. So ist etwa eine 12 CDs umfassende Sammlung der ersten Sprachaufnahmen von 1909 bis 1923 entstanden.
Oder – zumindest vom Umfang her etwas weniger gewichtig – die CD «Bündner Walser erzählen», ein Blumenstrauss aus traurigen, lustigen und sagenhaften Erzählungen im Walserdialekt aus den 1920er-Jahren.
Gerade die Digitalisierung der frühesten Dialektaufnahmen war aber auch eine pure Notwendigkeit, wollte man die historischen Tonträger für die Zukunft retten. Denn die Wachsplatten waren schon in den Jahren, als sie mit dem Phonographen bespielt wurden, äusserst heikel und die Aufnahmen nach jedem Abspielen deutlich weniger hörbar. Zudem wurden einige Platten mit der Zeit von Pilzen befallen und zerstört.
«Stimmen der Heimat»
Momentan bereiten Studer und Schwarzenbach die neueste Text- und Ton-Edition vor: eine Dokumentation von Dialekten aus der ganzen Schweiz, die das Phonogrammarchiv unter dem Titel «Stimmen der Heimat» für die Landesausstellung 1939 in Zürich zusammengestellt hat. Herauskommen soll sie Ende dieses Jahres.
Zudem arbeiten die beiden Sprachforscher daran, die Bestände des Archivs in einer digitalen Datenbank zu katalogisieren und diese über Internet zugänglich zu machen. Damit das Dialektgedächtnis der UZH auch in Zukunft noch vielen Forscherinnen und Forschern nützen kann.