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Der regelmässige Service ist beim Auto selbstverständlich. Beim Menschen hingegen sind sich selbst Fachleute über den Nutzen von Vorsorgeuntersuchungen uneins. Zu diesem Thema fand gestern eine Veranstaltung des Zürcher Zentrums für Integrative Humanphysiologie (ZIHP) statt.
Das ZIHP ist ein interdisziplinäres Kompetenzzentrum der Universität Zürich. Unter der Moderation von Steffen Lukesch, TV-Journalist, debattierten Thomas Lüscher, Klinikdirektor Kardiologie am Universitätsspital Zürich und Initiant von Double Check sowie Jürg Kuoni, Arzt und Gründer der Healthcheck GmbH.
Prostata-Screening: Patienten falsch positiv beurteilt
Für den Mediziner Jürg Kuoni sind viele Präventivuntersuchungen sinnlos oder schlimmer noch, sie schaden mehr, als dass sie nutzen. Als Beispiel zitierte Kuoni die sogenannten Prostatakrebs-Screenings, die in den USA seit den 1990er Jahren gang und gäbe sind. Für diese Tests würde mit einer zwanzigprozentigen Risikoreduktion geworben.
Bei genauerem Hinsehen zeige sich jedoch, dass dieses Versprechen relativ sei: Von tausend Männern sterben dank diesem Check nur vier statt fünf an Prostatakrebs. Allerdings diagnostiziere der Test viele Patienten falsch positiv, was eine unnötige Behandlung zur Folge habe. Und diese verursache oft schwerwiegende Folgeschäden wie Harninkontinenz oder Impotenz.
Durch Früherkennung mögliche Ereigniskette durchbrochen
Anders der Kardiologie Thomas Lüscher. Medizinische Check-ups seien etwa bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen sehr nützlich. Um Risikofaktoren abzuklären, gebe es einfache Tests. Dazu gehören Messungen des Cholesterinwerts und des Blutdrucks sowie das altehrwürdige Abhören mit dem Stethoskop oder eine Untersuchung mittels einem Elektrokardiogramm (EKG).
«Wir haben eine Fülle von Möglichkeiten, die wir unbedingt nutzen sollten.» Durch die Früherkennung könne eine mögliche Ereigniskette durchbrochen werden, die etwa von einer Arteriosklerose (Arterienverkalkung) ausgehe und zu einem Hirnschlag oder Herzinfarkt führen könne.
Den Vorwurf der Geldmacherei mit unnötigen Untersuchungen mag Lüscher nicht gelten lassen. Vorsorgen ist besser als Heilen, also? Der Nutzen einer Präventivuntersuchung müsse evident sein: Ist die Ursache für eine Krankheit bekannt, könne diese im Frühstadium behandelt werden. Vorsorge mache dann Sinn, wenn allfällige Massnahmen nicht nur wirksam, sondern auch frei von schädlichen Nebenwirkungen sind.
Ohne Risikofaktoren kein Anlass für Check-up gegeben
Kuoni widerspricht. Er bietet seinen Kunden als Alternative zu medizinischen Tests eine Beratung zu «Fitness und Ernährung». Sein Argument: «Unsere Gesundheit hängt hauptsächlich von unserem Lebensstil ab. Ausserdem könne kein Test der Welt die Gesundheit bestätigen.»
Im Gegenteil. Mit negativen Tests wähnten sich die Leute in einer Pseudosicherheit. Und möglicherweise falsch positive Resultate versetzen sie in Angst. Kuoni ignoriert damit mögliche gesundheitliche Katastrophen und sagt stattdessen: «Gesundheit ist ein Lebensgefühl.»
Ohne spezifische Symptome und erblich bedingte Risikofaktoren sehe er keinen Anlass für Vorsorgeuntersuchungen. «Die Franzosen haben nicht weniger Herzinfarkte, weil sie Wein trinken, sondern weil sie das Leben geniessen.»
Genuss und Lebensfreude, statt Furcht und Angst, heisst also das Motto. Laut Kuoni sei ohnehin Stress einer der schlimmsten Risikofaktoren. Und dieser wiederum sei einzig und allein durch den Lebenswandel beeinflussbar.
Vorsorgeuntersuchungen selber berappen
Neben der Frage nach dem Nutzen medizinischer Check-ups, kam die Frage nach den Kosten fast etwas zu kurz. Unbestritten: Check-ups sind nicht gratis. Für Lüscher ist es deshalb klar, dass alle ihre Vorsorgeuntersuchungen, selbst zu berappen haben – «wie beim Auto». Und wer sich dies nicht leisten kann? Die Gefahr einer Zwei-Klassen-Medizin bestehe nicht. «Messungen von Blutdruck und Cholesterinwerten kann jeder bezahlen.»
Für den Laien blieb zum Schluss die Erkenntnis, dass zumindest beim Vorhandensein mehrerer Risikofaktoren ein regelmässiger medizinischer Check-up sinnvoll ist. Damit war sogar Kritiker Jürg Kuoni einverstanden.