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Ethik in der Wissenschaft

Der Wettstreit um Karrieren erhöht das Plagiatsrisiko

Gemäss der Zeitschrift «Nature» werden fast neun Prozent aller Forscher während ihrer Karriere mit Unregelmässigkeiten konfrontiert. Für Sabine Kleinert, Mitherausgeberin der Medizin-Publikation «The Lancet», Grund genug, vor jeder Veröffentlichung genau hinzuschauen und auch die Hochschulen in die Pflicht zu nehmen.
Roland Gysin
Sabine Kleinert: Betrügern auf die Schliche kommen.

2008 veröffentlichte die naturwissenschaftliche Zeitschrift «Nature» eine Untersuchung zum moralischen Fehlverhalten bei der Publikation wissenschaftlicher Resultate. Von 2212 befragten Forschenden gaben 192 (8,7 Prozent) an, solches Fehlverhalten bereits einmal beobachtet zu haben. Mehrheitlich ging es um gefälschte Zahlenreihen (Nature 2008, 453:980-2).

Das Resultat ist für Sabine Kleinert nicht überraschend, wie sie an einem Vortrag mit anschliessender Podiumsdiskussion an der Universität Zürich (UZH) unter dem Titel «Publications Ethics» ausführte.

Kleinert ist Mitherausgeberin der medizinischen Fachzeitschrift «The Lancet» und Vizepräsidentin des internen «Committee on Publication Ethics». Ihre Aufgabe: Zu schauen, dass sich kein Plagiat und kein geschönter Bericht unter die wissenschaftlichen Veröffentlichungen mischt.

Lug und Trug sind die grosse Ausnahme

Ihre kurze Umfrage unter den knapp 70 anwesenden Zuhörerinnen und Zuhörern – darunter diverse junge Naturwissenschafter – zeigte ein ähnliches Resultat wie die Nature-Studie: Ein knappes Zehntel des Publikums gab an, mit dem Thema bereits einmal direkt konfrontiert worden zu sein.

Dennoch. Podiumsteilnehmer und Publikum waren sich einig, dass Lug und Trug in den Naturwissenschaften die Ausnahme sind. Emilio Bossi, Präsident der Kommission «Wissenschaftliche Integrität» der «Akademien der Wissenschaften Schweiz», geht davon aus, dass «99 Prozent der Naturwissenschafter» korrekt vorgehen.

Und Hans Eppenberger, ehemalige Ombudsperson der ETH, weiss bei tausenden von Arbeiten, die jährlich publiziert werden von lediglich «15 bis 20 Fällen mit Unregelmässigkeiten». Spektakuläre Fälle wie die Manipulationen, die kürzlich zum Rücktritt des ETH-Forschungsschefs Peter Chen führten, seien sehr selten. Erstaunlich bleibt: Offizielle Statistiken über mögliche Unregelmässigkeiten und Verfehlungen gibt es für die Schweiz nicht.

Der Wettstreit um Karrieren hat zugenommen

Fest steht hingegen, wie Kleinert und Irene Knüsel, Gruppenleiterin am Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Zürich, betonen, dass der Erfolgsdruck im Vergleich zu früher zugenommen hat. Genauso der Wettstreit um Forschungsgelder und Karrieren. Damit sei auch das Risiko gestiegen, schnell mal eine Zahlenreihe zu schönen.

Knüsel vergleicht den Wissenschaftsbetrieb mit einer Autobahn. Zwar sei allen bekannt, dass die Geschwindigkeit auf 120 Kilometer pro Stunde limitiert sei, doch der Reiz, zu stark aufs Gaspedal zu drücken und schneller am Ziel zu sein, sei gross.

Hans Eppenberger, Sabine Kleinert, Frank Rühli, Emilio Bossi, Irene Knüsel (v.l.n.r.): Forschende unter Erfolgsdruck.

Die Bandbreite möglicher Risiken und Verfehlungen ist gross. Sie reicht von ungenügender Berücksichtung der relevanten Literatur über lückenhafte Laborprotokolle, Nichtbeachten von «Ausreissern» oder unpassenden Resultaten bis hin zu bewussten Fälschungen ganzer Versuchsanordnungen. Wobei letzteres «selten» sei, wie Kleinert betont.

In der Praxis hingegen häufig anzutreffen, sind die drei «G». Sie stehen für «Gäste», «Geschenke» und «Geister». Kleinert kennt Beispiele, wo Wissenschafter als Autoren von Publikationen aufgeführt wurden, als Gegenleistung dafür, dass sie Laborinfrastruktur zur Verfügung gestellt haben.

Vor allem im asiatischen Raum verbreitet sei die Mitautorenschaft – ein Zeichen der Dankbarkeit oder der Ehrbezeugung. Immer wieder anzutreffen auch: Kommunikations- oder Forschungsabteilungen von Firmen sind an einer Studie mitbeteiligt, ohne jedoch explizit erwähnt zu werden.

Die Leser sind die besten Prüfer

Um solchen Verfehlungen – ob absichtlich oder unabsichtlich – auf die Spur zu kommen, scheuen wissenschaftliche Zeitschriften wie «The Lancet» keinen Aufwand. Neben dem üblichen «Peer Review Prozess» gewinnen auch elektronische Hilfsmittel, spezielle Softwarepakete zum Erkennen von Plagiaten, an Bedeutung.

In Zweifelsfällen werden auch Laborjournale angefordert. Sind solche plötzlich unauffindbar, einem Feuer oder Wassereinbruch zum Opfer gefallen oder teils im Präsens, teils in der Vergangenheitsform geschrieben, kann dies ein Warnsignal sein, besonders genau hinzuschauen.

Trotz dieser Prüfmechanismen seitens der wissenschaftlichen Verlage und der Peer Reviewer bleibt ein Restrisiko. Der beste Test, ob alles mit rechten Dingen zu und her gegangen ist, so Kleinert, bleiben die Forschenden selbst – als Leserinnen und Leser.

Ist «The Lancet» einem möglichen «Beschiss» auf die Spur gekommen, weist die Zeitschrift die Arbeit nicht einfach zurück, sondern versucht herauszufinden, wie und warum es dazu gekommen ist. «Einen Wissenschafter ausschliessen geht nicht und ist unklug», sagt Kleinert. «Sonst publiziert er oder sie vielleicht einfach an einem andern Ort.»

Es braucht ein Klima der Transparenz

Unabhängige Untersuchungen müssten innerhalb von 6 bis 12 Monaten durchgeführt werden. Es sei zudem zu überlegen, Forschungsdaten zentral zu lagern. Vor allem wichtig aber sei, wie auch Heini Murer, Prorektor Medizin und Naturwissenschaften der Universität Zürich, betonte, dass innerhalb von Forschergruppen ein gegenseitiges Klima der Transparenz und des ständigen Austausches herrsche.

Nicht viel hält Kleinert vom Vorschlag, künftig auch Untersuchungen mit negativen Resultaten publik zu machen – wissenschaftliche Beiträge, die methodisch korrekt einen Prozess beschreiben, der jedoch nicht zum erhofften Resultat geführt hat.

Es sei halt nicht sehr attraktiv, ein Scheitern zu beschreiben. Immerhin: «The Lancet» akzeptiert in einem speziellen Teil auch Artikel in der Form von Diskussionsbeiträgen – ohne dass alle Forschungsresultate bis ins letzte Detail ins Bild passen müssen.