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Eine paradoxe Situation, wie Prof. Marc Chesney vom Institut für schweizerisches Bankwesen der Universität Zürich darlegte: Der Subprime-Markt mit seiner eher bescheidenen Grösse löst ein Erdbeben in der weltweiten Wirtschaft aus.
Die Banken hatten zweifelhafte Kreditforderungen mit Krediten höherer Qualität zu neuen Finanzprodukten kombiniert. «Es entstanden sehr gefährliche Produkte für die internationale Finanzstabilität und damit für den Kapitalismus», so Chesney. Gefährlich deshalb, weil die Absicherungsprodukte zu Wetten über den Konkurs von Unternehmen verwendet wurden und Baisse-Spekulationen auslösten, wie der Referent am Beispiel von Morgan Stanley aufzeigte.
Gemäss Chesney widerspricht die derzeitige Finanzwelt den Grundprinzipien des Kapitalismus. Die Einnahmen sind vom Risiko getrennt, womit diejenigen, welche die Gewinne erzielen nicht dieselben sind, die letztendlich das Risiko tragen.
In einer solchen Situation von einem «Vertrauensverlust» zu sprechen, sei ein Euphemismus für einen «Verrat» am Kapitalismus, der behauptet, auf Unternehmergeist und Liberalismus zu beruhen. Das Resultat seien die derzeitigen Staatseingriffe, zu denen es gemäss Chesney «wahrscheinlich angesichts der Dringlichkeit keine andere Wahl gab».
Dass die Grundprinzipien ökonomischen Wirtschaftens ausgehebelt wurden, betonte auch Peter Seele, Religionsökonome an der Universität Basel. Die komplexen Finanzprodukte schufen unklare Eigentumsrechte und machten es schwierig, Fragen der Haftung überhaupt noch klären zu können.
Klar sei jedoch, dass die Finanzdienstleister nicht alleine verantwortlich seien. Ihnen stand die Nachfrage von Anlegern gegenüber, die eine hohe Rendite erzielen wollten. «Der Wettbewerbsdruck war immens geworden», so Seele.
Der Theologe Dr. Christoph Weber-Berg, bei einer Vermögensverwaltung für Nachhaltigkeitsfragen zuständig, ortete ein grundsätzliches Problem darin, dass die Wirtschaft als wertfreier Raum betrachtet wird: «Dadurch ist die Unmoral gegenüber der Moral systematisch im Vorteil, denn sanktioniert wird die Unmoral höchstens bei Gesetzesübertretungen.»
Die Finanzkrise sei eine Chance, darüber nachzudenken, mit welchen Anreizen die Akteure zu einer Sichtweise jenseits kurzfristiger Gewinne bewogen werden können. Nötig seien Spielregeln, welche dazu beitragen, dass die Beteiligten ihre Verantwortung wahrnehmen.
Weber-Berg forderte für die Finanzmärkte allgemein eine grössere ethische Kompetenz. Sowohl die Finanzdienstleister wie auch die Politikerinnen und Politiker, welche die Rahmenbedingungen festlegen, hätten hier einen Nachholbedarf. Aber auch als Kundinnen und Kunden von Finanzmarktprodukten müssten wir uns fragen, zu welchem Preis wir welchen Zins und welche Rendite suchen wollen.
Dass die Anreize im Finanzwesen falsch gesetzt sind, liegt für Prof. Chesney auf der Hand: «Wo es einen Bonus gibt, ist auch einen Malus nötig, sonst bleibt die Verantwortung auf der Strecke.»
Zusätzlich brauche es aber auch eine stärkere Aufsicht über das Finanzwesen: «In allen anderen Wirtschaftsbereichen gibt es Kontrollen, warum nicht auch im Finanzwesen?» Finanzprodukte sollten zertifiziert werden, vorzugsweise durch eine internationale Institution.
Wie die Finanzmärkte in Zukunft auch aussehen werden, für den Moment bleibt der schale Nachgeschmack, dass der «verratene Kapitalismus» mit Staatsgeldern unterstützt werden muss. So meinte Moderator Prof. Reiner Anselm, Geschäftsführender Direktor des ZRWP, als Advocatus diaboli: «Es mutet schon fast religiös an, dass nur der Staat in der Lage sein soll, im Notfall Verlässlichkeit und Zukunft zu garantieren.»
Als Steuerzahler mag es dabei umso schmerzhafter sein, von Marc Chesney zu hören, dass es kostengünstiger gewesen wäre, zu Beginn der Krise den verschuldeten Hauseigentümern die Häuser kostenlos zu überlassen.