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Wir schweben hoch über einer Plattform. Unter uns doziert ein Mann namens Xon Emoto vor einer riesigen Leinwand, auf der seine Präsentation abläuft. Dahinter öffnet sich der Blick aufs Meer, auf dem vereinzelte kleine Inseln zu sehen sind.
Tatsächlich sitzen wir jedoch in einem stickigen, mit der Zeit arg überheizten Raum und verfolgen gespannt die oben beschriebene Szene, die mittels Beamer an die Wand projiziert wird. Das Referat ist Teil einer parallelen Veranstaltung, die sowohl in der realen Welt, wie auch in der virtuellen Welt des Second Life stattfindet.
Second Life ist eine so genannte MUVE (Multi User Virtual Environment), also eine virtuelle Umgebung, in der sich reale Menschen via Computer und Internet begegnen und bewegen können. Im realen Leben sitzen die Second-Life-Bewohnerinnen und -Bewohner irgendwo auf dem Globus verteilt vor dem Computer. In der virtuellen Umgebung sind ihre Second-Life-Figuren, so genannte Avatare, alle gleichzeitig im selben Raum und können über den Computer miteinander sprechen oder per Chat schriftlich kommunizieren.
Das besondere dabei ist, dass sich bei den Benutzern das Gefühl einstellt, dass sie sich tatsächlich in den virtuellen Räumen begegnen. Immersion nennt sich der Effekt, dessen neuronalen Grundlagen der Neuropsychologe Prof. Lutz Jäncke an der Veranstaltung erläuterte. Insbesondere in der emotionalen Reaktion macht nämlich das menschliche Hirn keinen grossen Unterschied zwischen realer und computergenerierter Welt.
Die Veranstaltung musste Ricarda T.D. Reimer vom E-Learning Center in gewisser Weise doppelt organisieren. Einmal wie gewohnt im realen Leben, zweitens musste Reimers Avatar Marla Loire auch in Second Life Räume organisieren und Hinweise auf die Veranstaltung platzieren.
Ist Second Life nun aber einfach eine Spielerei, oder bietet es Möglichkeiten, von denen Hochschulen profitieren können? Xon Emoto, im realen Leben als Hanno Tietgens, Berater von Deutschen Unternehmen und Hochschulen und einer der Initiatoren des Interuniversitären Campus Hamburg, erläutert an einigen Beispielen was in Second Life möglich ist. So gibt es etwa Ringvorlesungen mit internationalen Gästen, die in Second Life einfacher zu organisieren sind als in realen Leben. Denn die Gäste müssen nicht reisen, sondern können bequem von zu Hause aus ihren Vortrag «in Hamburg» halten. Wegen der Immersion ist die Situation jedoch eine andere als etwa bei Video-Konferenzen, da sich alle Beteiligten im gleichen virtuellen Raum sehen.
Die stärkere soziale Präsenz der Studierenden ist ein Merkmal, das Second Life von anderen E-Learning Systemen unterscheidet, wie Ricarda Reimer im Gespräch erzählt. Die Studierenden sind aktiver und diskussionsfreudiger, wie Studien belegen. Reimer hat an der Universität Flensburg auch schon Diskussionen zu Kant in Second Life angeboten und kann die Befunde bestätigen: «Durch den veränderten Kontext wurde in Second Life-Veranstaltungen viel intensiver diskutiert, als in anderen Lehrveranstaltungen.»
Die Möglichkeit, die Lehr- und Lern-Umgebung frei zu gestalten streicht auch Zaphod Bobak alias André Mersch von der Universität Bielefeld als Vorteil von Second Life heraus. Wir haben uns in der Zwischenzeit von der Hamburger Insel verabschiedet und sind mittels Teleportation per Mausklick auf der Insel der Universität Bielefeld gelandet, wo Zaphod uns eine kleine Führung gibt.
Neben einem offenen Ausstellungsraum, in dem derzeit Präsentationen mit Second-Life- und E-Learning-Projekten zu sehen sind, befinden sich auf der Insel ein Auditorium oder etwa eine Cafeteria. Dort, oder im lauschigen Buchenhain, in dem sich unsere Gruppe gerade befindet, würden sich die Studierenden nach den Lektionen oft noch zu Gesprächen treffen, erklärt Boback. Dass das Herumgehen in der virtuellen Welt nicht ohne Tücken ist, muss auch Zaphod erfahren, als ihn ein unachtsamer Tritt plötzlich in seine Präsentation verschwinden lässt.
Per Teleportation (inzwischen schon nichts besonderes mehr) besuchen wir auch noch die Präsenzen der Hochschulen Duisburg-Essen und Augsburg, wo uns Tanja Adamus als Lillyth Janus und Andreas-Hebbel-Seeger (ahs Planer) ihre Projekte vorstellen.
Präsentationen, Auditorien, Lektüreseminare – weshalb soll man im Second Life nachbilden, was man im realen Leben auch erlebt? Diese Frage stellte etwa der Künstler und Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste, Max Moswitzer. Er ist in Second Life gerade mit mehreren Avataren vertreten, heute zeigt er uns als MosMax Hax seine Welt, die nicht an bekannte Erfahrungen anknüpft, sondern uns mit neuartigen optischen und räumlichen Eindrücken konfrontiert. Max Moswitzer sieht denn auch in Second Life ein Experimentierfeld für andersartige Lehr- und Lernformen.
Für Reimer hingegen ist es nachvollziehbar, dass man in einem neuen Medium zunächst einmal das Bekannte abzubilden versucht. Neue, second-life-spezifische Lehr- und Lernformen werden sich erst mit den Erfahrungen bilden, die man in dreidimensionalen Lernumgebungen sammelt, ist sie überzeugt.
Second Life bietet dabei auf technischer Ebene Vorteile gegenüber anderen Lernplattformen. So können zum Beispiel Multimediadateien oder Präsentationen auf einfache Weise eingebunden werden. Oder Veranstaltungen können aufgezeichnet uns nachher als virtuelle «Videos» zur Verfügung gestellt werden.
Reimer wünscht sich, dass bald auch an der Universität Zürich Veranstaltungen im Second Life angeboten werden. Einige Institutionen aus Zürich sind schon in SL vertreten, Lehrveranstaltungen der UZH in SL sind jedoch nicht bekannt. Erfahrungen in dreidimensionalen Lehrumgebungen können aber auch in auf anderen Plattformen gesammelt werden. Denn Second Life ist zwar die bekannteste, aber nicht das einzige MUVE. So benutzt zum Beispiel das Artificial Intelligence Lab der Universität Zürich für seine ShanghAI-Lectures die Plattform Project Wonderland.
Der Aufwand für eine Lehrveranstaltung in Second Life ist allerdings nicht zu unterschätzen. Denn alles, was in der In-World so selbstverständlich aussieht, Räume, Kleider, Mobiliar, spezifische Bewegungsmöglichkeiten und so weiter, muss zunächst programmiert werden; hier bekam die Universität Zürich Unterstützung von der SL-Initiative Swiss Projects. Reimer rät deshalb interessierten Dozierenden, sich zunächst einmal an anderen Veranstaltungen im Second Life umzusehen, um einen Eindruck zu gewinnen, was alles möglich ist.