Navigation auf uzh.ch
Immer mehr Menschen in den Industrieländern sind übergewichtig, das heisst, sie haben einen Body-Mass-Index (BMI) über 25 (siehe Kasten). Bei den Männern sind die Normalgewichtigen ab einem Alter von 35 Jahren mittlerweile in der Minderheit, bei den Frauen ab 55 Jahren. Auch der Kanton Zürich ist betroffen: Zwischen 1992 und 2002 stieg der Anteil Übergewichtiger um rund fünf Prozent an. In der Schweiz insgesamt ist bereits jedes fünfte Kind und jeder dritte Erwachsene übergewichtig.
Das Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich (UZH) sowie die Gesundheits-, die Bildungs- und die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich luden am vergangen Freitag (13.3.09) Fachleute aus Medizin und Bildung zum 20. Zürcher Präventionstag ein. Unter dem Motto «Leichter leben» diskutierten sie Ursachen und Folgen von Übergewicht. Laut Gesundheitsdirektor Thomas Heiniger und Präventivmediziner Felix Gutzwiller rufen die Krankheiten, die durch Übergewicht und Fettsucht entstehen, jährliche Kosten von etwa 500 Millionen Franken hervor, für die letztlich die Gesellschaft aufkommen muss.
Schlemmerei und Fehlernährung sind also auch ein gesellschaftliches Problem. Aber wie weit dürfen staatliche Massnahmen gehen und wo muss eine Grenze gezogen werden, die die Persönlichkeitsrechte des einzelnen nicht verletzt? Diese Frage diskutierten an einer Podiumsdiskussion Nationalrat Toni Bortoluzzi, Lilo Lätzsch, Präsidentin des Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverbandes, Erika Toman, Leiterin des Kompetenzzentrums Essstörungen und Adipositas Zürich und Heinrich von Grünigen, Geschäftsführer der Schweizerischen Adipositas-Stiftung Zürich.
Trotz vieler Medienberichte über Diäten und erfolgreiches Abspecken sei die gesellschaftspolitische Tragweite des Problems Übergewicht noch nicht in den Köpfen der Menschen angelangt, führte Nationalrat Toni Bortoluzzi aus. Vor allem für seine Generation, die die Nachkriegszeit erlebt habe, sei Überfluss nicht selbstverständlich. Früher habe es bei ihm zu Hause nur zweierlei Gemüse gegeben: grosse und kleine «Härdöpfel». Dementsprechend gross sei auch die Verlockung des Essens. Es müsse mehr getan werden, um den Menschen klar zu machen, wie hoch die Kosten des Übergewichts seien. Vor allem die Schulen fordere er auf, auf Missstände hinzuweisen und Eltern in die Pflicht zu nehmen, wenn deren Kinder übergewichtig seien.
Da dicken Kindern und Jugendlichen später Krankheiten drohen - Diabetes, Karies und Gelenkschäden - habe die Schulbehörde an vielen Schulen Ernährungsbildung auf den Stundenplan gesetzt, sagte Lätzsch, Präsidentin des Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverbandes. Eltern übergewichtiger Kinder zu mahnen sei schwierig. Zitiere man sie in die Schule, sei eine positive Zusammenarbeit kaum möglich. Viele Eltern erleben Mahnungen als Eingriff in ihre Erziehungshoheit. Deshalb könne die Schule allein diese Aufgabe nicht übernehmen. Eine Lösung könnten Elternräte bieten. Diese Elternvertreter gebe es für jede Klasse. Sie sollten Eltern übergewichtiger Kinder darauf hinweisen, wie wichtig gesunde Ernährung sei.
Einige Kinder und Jugendliche holen sich Pizza, Döner oder Pommes vom Imbiss wenn sie Hunger haben. Kein Wunder, dass viele von ihnen übergewichtig sind. Dabei würden Kinder und Jugendliche auch durch Bilder aus der Werbung verführt, sagte Erika Toman, Leiterin des Kompetenzzentrums Essstörungen. Sie würden sowohl zu falschem Essenverhalten verführt, als auch übertriebenen Vorstellungen von Schlankheit ausgesetzt. Deshalb reichten allein Verhaltensappelle an eine vernünftige Ernährung nicht aus, meinte Heinrich von Grünigen, Geschäftsführer der Schweizerischen Adipositas-Stiftung. Der Staat sei gefordert, er müsse, wie schon beim Alkohol- und Tabakkonsum Verbote aussprechen. So sollten zum Beispiel Getränkeautomaten mit Süssgetränken in Schulen verboten und irreführende Werbung müsse geahndet werden.
Beim Thema Übergewicht gebe es eine Schnittstelle zwischen Öffentlichem und Privatem, meinte Toman, deshalb müsse auf beiden Seiten an dem Problem gearbeitet werden. In der persönlichen Beratung dürfe man Betroffene nicht mit Verboten überschütten. Abnehmen könne man nur, wenn die Gesamtpersönlichkeit gestärkt werde und auch belastender emotionaler Ballast abgeworfen werde.