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Die Schweiz ist nicht ohne Grund stolz auf ihr duales System der Berufsbildung, das Unternehmen und Staat gleichermassen in die Pflicht nimmt. Doch weshalb investieren Unternehmen eigentlich in die Ausbildung von Menschen, wenn sie gar nicht sicher sein können, dass ihnen diese Mitarbeitenden auch erhalten bleiben? Einer, der sich mit diesen Fragen befasst, ist Edward P. Lazear, Professor in Stanford und seit 2006 Vorsitzender des wirtschaftlichen Beirates von US-Präsident George W. Bush.
Eine gängige Annahme besagt, dass es einen Unterschied gibt zwischen allgemeinen und betriebsspezifischen Fähigkeiten und dass Unternehmen Mitarbeitende hauptsächlich in diesen betriebsspezifischen Bereichen ausbilden würden. Dem widerspricht Lazear in seiner Theorie des «Skill Weights Approach». Wie er an einer Tagung des «Swiss Leading House für Bildungsökonomie» an der Universität Zürich darlegte, misstraute er dieser Unterscheidung zwischen allgemeinen und spezifischen Kompetenzen schon immer: «Jede Fähigkeit, die ich in den meisten Jobs benötige, ist letztlich allgemein» und kann damit bei einem Jobwechsel auch einem anderen Unternehmen zu Gute kommen.
Spezifisch ist laut Lazears Theorie hingegen die Mischung und die Gewichtung verschiedener Fähigkeiten, die für eine bestimmte Arbeit in einem bestimmten Unternehmen benötigt werden. Als Beispiel nannte er ein – notabene sein eigenes – Unternehmen, das in den 90-er Jahren Software für Steueroptimierung entwickelte. Seine Mitarbeitenden brauchten damals ein ganz spezifisches Set an Fähigkeiten: Kenntnis im Steuerwesen, wirtschaftliche Kenntnisse und Programmierfähigkeiten in der Computersprache Java.
Jede einzelne dieser Kompetenzen kann auch in einem anderen Unternehmen und Zusammenhang eingesetzt werden, die Mischung von allen drei hingegen dürfte ein Arbeitnehmer nicht so rasch in einer anderen Firma vorfinden. Deshalb lohnt es sich für ein Unternehmen, um im Beispiel zu bleiben, einen Java-Programmierer in Wirtschaft oder Steuerfragen weiterzubilden. Beides wenig unternehmensspezifische Kompetenzen, in ihrer Mischung jedoch so einzigartig, dass die Investition in den Arbeitnehmenden im Unternehmen verbleiben dürfte.
Mit Lazears Ansatz lassen sich anhand verschiedener Faktoren Voraussagen über die Bereitschaft eines Unternehmens machen, die Ausbildung von Mitarbeitenden zu finanzieren. Grob lässt sich sagen, je einzigartiger und je breiter die Mischung von Kompetenzen ist, desto eher ist das Unternehmen bereit, in seine Mitarbeitenden zu investieren.
Die Theorie geht von der Annahme aus, dass Mitarbeitende im Gegensatz dazu ein Interesse daran haben, ihr Kompetenz-Portfolio möglichst so auszurichten, dass es ihnen nicht nur im gegenwärtigen Unternehmen hilft, sondern ihnen auch bei einem allfälligen Stellenwechsel Vorteile – sprich ein höheres Einkommen – bringt. Weicht das Kompetenz-Portfolio in einem Unternehmen also sehr stark vom umgebenden Arbeitsmarkt ab, dann ist der Mitarbeiter wenig gewillt, selber in die Ausbildung zu investieren, um die geforderte Kombination von Kompetenzen zu erreichen. Denn die spezifischen Fähigkeiten bringen ihm bei einem Wechsel keine Vorteile. Das Unternehmen wird deshalb einen grösseren Anteil der Ausbildung übernehmen.
Uschi Backes-Gellner, Professorin für Betriebswirtschaftslehre und Personalökonomie und eine der Leiterinnen des Leading Houses, hat Lazears Theorie anhand von Daten zur Lehrlingsausbildung in Deutschland empirisch getestet. Dabei konnten die von Lazears Theorie implizierten Vermutungen bestätigt werden.
Doch was bringt dies für die Frage der Lehrlingsausbildung in der Schweiz? «Mit dem Ansatz der 'Skills Weights' kann man für verschiedene Berufe beurteilen, wie allgemein oder wie spezifisch ihr Ausbildungsportfolio ist.» Besteht es aus einer eher breit einsetzbaren Mischung – wie etwa bei einer kaufmännischen Ausbildung – bedeutet dies, dass der Lehrling einen grösseren Teil der Kosten selbst tragen, sprich einen vergleichsweise tieferen Lohn in Kauf nehmen muss. Dafür kann er nachher einfacher seine Stelle wechseln.
Solche theoretischen Modelle sollen der Politik und der Wirtschaft bessere Grundlagen liefern, um Entscheidungen für die Berufsbildung zu treffen, wie Backes-Gellner erklärt. Denn, so wichtig und erfolgreich die Berufsbildung in der Schweiz übers Ganze gesehen ist, so wenig ist sie bisher erforscht. Das Leading-House-Programm, dessen Ergebnisse an der Konferenz vorgestellt wurden, hat nun die Grundlage für einen neuen Forschungsbereich geschaffen.
Dabei wurde eine breite Palette von Fragestellungen untersucht, einige der Ergebnisse sind unerwartet: So fanden die Forschenden heraus, dass zwischen den Berufsbildungssystemen in der Schweiz und Deutschland trotz ähnlicher Anlage, signifikante Differenzen bestehen. In der Schweiz trägt nämlich der Lehrling durch den niedrigen Lohn einen grösseren Teil der Kosten für die Ausbildung selber. In Deutschland dagegen übernimmt das Unternehmen den grössten Teil der Kosten.
Als Konsequenz lohnt sich in der Schweiz für den Lehrlingsbetrieb die Ausbildung meist schon während der Ausbildungszeit. Die Lehrlinge sind nach der Lehre weniger stark an den Lehrbetrieb gebunden, die Mobilität ist höher. In Deutschland verbleiben die Lehrlinge und mit ihnen die durch die Ausbildung getätigten Investitionen eher im Betrieb, dafür finanziert das Unternehmen ja auch einen höheren Anteil an der Lehrlingsausbildung.
Neben vielen anderen Fragen möchte Backes-Gellner solche internationalen Vergleiche der Lehrlingsausbildung noch besser erforschen. Zum Beispiel, um die schulische Berufsbildung, wie sie etwa in Dänemark stark ist, mit der Ausbildung in Lehrbetrieben zu vergleichen. Sie hofft deshalb, dass das Leading House nach Abschluss der ersten Phase im nächsten Jahr eine Fortsetzung finden wird.