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Ruanda, Srebrenica, Somalia, Darfur: Die Schauplätze grausamer Verbrechen gegen die Menschlichkeit erinnern uns daran, dass der Schutz der Zivilbevölkerung in Konfliktgebieten trotz humanitärem Völkerrecht je länger je weniger gewährleistet ist. Unter welchen Umständen aber kann und soll die internationale Gemeinschaft intervenieren, wenn in einem Staat Menschen in ihren elementaren Rechten bedroht sind?
«Responsibility to Protect» oder zu deutsch «Schutzverantwortung» ist in diesem Zusammenhang ein seit einigen Jahren in den Vereinten Nationen UNO diskutiertes Konzept. Im Jahr 2005 wurde es in die Abschlusserklärung des UNO-Weltgipfels aufgenommen. Die Staaten, so heisst es dort, sollen die kollektive Verantwortung der Staatengemeinschaft anerkennen, die Bevölkerung vor Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen.
Bundesrätin und Aussenministerin Micheline Calmy-Rey hob an einer Veranstaltung des Humanitären Forums Schweiz in der Aula der Universität Zürich wichtige Aspekte dieses Konzepts hervor: So werde damit die Souveränität der Nationalstaaten neu definiert. Souveränität bedeutet die Pflicht eines Staates, seinen Einwohnerinnen und Einwohnern ein Mindestmass an Menschenrechten und Sicherheit zu garantieren. Kann oder will ein Staat dies nicht, dann geht diese Verantwortung an die internationale Gemeinschaft über.
«Responsibility to Protect» beruhe also – und das sei für die Schweiz wichtig – auf dem Prinzip der Subsidiarität, so Calmy-Rey. Noch ist die «Responsibility to Protect» keine völkerrechtliche Norm. Doch sie könne das umstrittene Konzept der «humanitären Intervention» ablösen. Unter dem Stichwort «humanitär» geführte Aktionen, stellte Calmy-Rey klar, sollten sich auf humanitäre Bereiche beschränken, also medizinische Hilfe, Nahrungsmittel oder Betreuung von Flüchtlingen. «Wer Bomben abwirft, ist kein humanitärer Akteur.»
Vor einer Vermischung von militärischen und humanitären Akteuren warnte auch Beat Schweizer, Stellvertretender Generaldirektor des IKRK: «In vielen Krisengebieten, in denen das IKRK heute arbeitet, führt die Vermischung von humanitären und politischen Zielen zu grossen Problemen.» Denn ein wichtiger Erfolgsfaktor für die humanitäre Arbeit sei die Akzeptanz bei der Bevölkerung und den Konfliktparteien. «Militärische Akteure werden immer als solche wahrgenommen und werden in den meisten Konfliktsituationen auf Misstrauen treffen.» Deshalb sollten militärisch geführte humanitäre Aktionen klar von denjenigen humanitärer Organisationen getrennt sein.
Aus diesem Grund etwa benütze das IKRK keine bewaffneten Schutztruppen, führte Schweizer aus. Grundlage der Arbeit des IKRK sei die Akzeptanz durch alle Konfliktparteien. Dies ermögliche es der Organisation, als neutrale Vermittlerin zu agieren und auch in Gebieten tätig zu sein, aus denen sich andere längst zurückgezogen hätten.
Schweizer wies darauf hin, dass das Konzept der «Responsibility to Protect» zur Hauptsache aus einer «Responsibility to Prevent» bestehe. Die Staaten hätten also in erster Linie die Verantwortung, mit politischen Mitteln Situationen zu verhindern, in denen gravierende Völkerrechtsverletzungen entstehen. Die militärische Intervention sei erst als letztes Mittel vorgesehen, wenn alle anderen erschöpft seien.
Eine enge Zusammenarbeit zwischen militärischen und zivilen Kräften sah dagegen Generalleutnant Johann-Georg Dora, Stellvertreter des Generalinspekteurs der deutschen Bundeswehr, als wichtige Voraussetzung für den Erfolg bei der Bewältigung internationaler Krisen und Konflikte an. Als Beispiel nannte er Afghanistan, wo die Bundeswehr mit rund 3500 Soldaten an der International Security Assistance Force (ISAF) beteiligt ist und seit 2006 die militärische Verantwortung für die Nordregion innehat.
«Kein Wideraufbau ohne Sicherheit und keine Sicherheit ohne Wiederaufbau», laute der Kernsatz des Engagements der Bundesregierung, wie auch der NATO, betonte Dora. Dazu seien in der afghanischen Nordregion derzeit 25 so genannte «Provincial Reconstruction Teams» (PRT) im Einsatz. Die deutschen Teams würden dabei gemeinsam vom Verteidigungsministerium und vom Auswärtigen Amt geführt. Dadurch können in den Teams wirtschaftliche, entwicklungstechnische, finanzielle und militärische Massnahmen koordiniert werden.
Von den Wirkungen der bestehenden Schutzmöglichkeiten ernüchtert zeigte sich der Arzt Enrique Steiger. Nach 19 Jahren humanitärer Einsätze in Kriegsgebieten wie Ruanda, Kosovo oder Liberia konstatierte er, dass sich die Sicherheitslage für die Bevölkerunge, aber auch für das humanitäre Personal drastisch verschlechtert habe. «Das Militär», so seine Einsicht, «kann deshalb in Krisengebieten mehr ausrichten als humanitäre Helfer, weil es mindestens eine minimale Sicherheit wieder herstellen kann.»
Mit Verve brachte er, adressiert an die Aussenministerin, seine Vision einer Schweizerischen humanitären Schutztruppe vor. Diese 500 Mann starke Truppe aus Berufssoldaten soll jeweils in Krisengebieten rasch eingreifen und humanitäre Anlagen wie Spitäler oder Flüchtlingslager schützen. Die Aufgaben wären dabei ausschliesslich auf den Schutz der Zivilbevölkerung ausgerichtet, die nach dem Zerfall staatlicher Ordnung meist schutzlos Plünderungen oder grausamer Gewalt durch Milizen ausgesetzt ist.
Die neutrale Schweiz mit ihrer humanitären Tradition könne, so Steiger, die für den Erfolg solcher Aktionen zentrale Akzeptanz bei der lokalen Bevölkerung und bei den Konfliktparteien erreichen. Sie könne nach allen Seiten glaubwürdig vertreten, dass es ihr um rein humanitär, nicht politisch motivierte Ziele gehe. Wie Steigers Idee der «Schweizergarde» im Dienste der humanitären Organisationen bei Micheline Calmy-Rey ankam, erfuhr man leider nicht. Doch der lang anhaltende Applaus in der Aula zeigte, dass die Bundesrätin mit Wohlwollen der Idee gegenüber nicht alleine wäre.