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Sie hat in berühmt und auch reich gemacht: Die «Anti-Baby-Pille» oder wie Carl Djerassi selber dezidiert sagt: die «Pille für die Frau». Fast 50 Jahre sind seit ihrer Einführung vergangen und damals – so Djerassi – sei er davon ausgegangen, dass in Kürze eine ganze Fülle verschiedenster anderer Verhütungsmittel entwickelt und patentiert würden.
Die Realität sieht anders aus, wie Djerassi an seinem Festvortrag im Rahmen der Fakultätstage der Medizinischen Fakultät humorvoll und pointiert erläuterte: Noch immer ist die «Pille» in den entwickelten Ländern das wichtigste Verhütungsmittel und der Wirkstoff ist – abgesehen von patentrechtlich motivierten Variationen – derselbe.
Von den 20 grössten Pharma-Firmen betreiben gerade mal drei «so etwas wie Forschung» im Bereich der Verhütung. Dabei ist der Bedarf an «Familienplanung» nach wie vor riesig. Wenn er 100 Jahre alt werde, erzählte der rüstige 84jährige, dann werde sich in seiner Lebensspanne die Weltbevölkerung von zwei auf acht Milliarden vervierfacht haben.
Die Bevölkerung explodiert, die Forschung zur Reproduktionsmedizin stagniert. Weshalb? Ein Grund liegt für Djerassi in der klaren Diskrepanz zwischen entwickelten und weniger entwickelten Ländern. Während in den Industrieländern das Bevölkerungswachstum stagniert und immer mehr Menschen über 65 Jahre alt sind, machen in den Entwicklungsländern die Jungen die grosse Mehrheit aus und die Bevölkerung wächst ungebremst. Einzig China hat mit seiner restriktiven «Ein-Kind-Politik» das Bevölkerungswachstum drastisch bremsen können.
Statt von entwickelt und weniger entwickelt spricht Djerassi deshalb von «geriatrischen» und von «pädiatrischen» Gesellschaften. Für die Pharma-Firmen sind die «geriatrischen» Gesellschaften – und damit deren Probleme – vom wirtschaftlichen Standpunkt aus viel interessanter als die «pädiatrischen». Ihre Forschung ist deshalb nicht auf die Reproduktionsmedizin, sondern auf Medikamente zur Cholesterin-Kontrolle, gegen Alzheimer oder Diabetes fokussiert.
Ein anderer erstaunlicher Grund: Die Verhütung hat keinen Einfluss auf das Bevölkerungswachstum. So ist etwa die Verbreitung von Verhütungsmitteln in Bulgarien etwa gleich gross wie in Guatemala. Bulgarien ist das Land, in dem die Bevölkerung am raschesten abnimmt; Guatemala gehört zu den dynamischsten «pädiatrischen» Ländern.
Djerassis Wünsche für die Zukunft der Reproduktionsmedizin sind deshalb heute noch fast dieselben, die er schon zu Beginn der 70-er Jahre formuliert hatte: Eine Pille etwa, die nur einmal im Monat eingenommen werden muss, oder eine Pille für den Mann. Letztere, so Djerassi, wäre wissenschaftlich kein Problem, «wir wissen, wie sie funktionieren würde.»
Nicht pharmazeutische, sondern wirtschaftliche und juristische Gründe stehen der Entwicklung im Weg: Zum einen die lange Entwicklungsdauer, die wegen vorgeschriebener Testphasen nicht abgekürzt werden kann. Wenn aber der Patentschutz 20 Jahre dauert und davon 18 für die Entwicklung benötigt werden, bleibt eine zu kurze Zeit, in der das Medikament unter dem Patentschutz wirtschaftlich ausgewertet werden könnte. Das macht Investitionen wenig attraktiv.
Zweitens die Angst vor Klagen wegen Spätfolgen einer dauernden Einnahme der «Pille für den Mann». Denn niemand kann die Frage beantworten, wie es mit der Potenz aussieht, nachdem Mann 30 Jahre lang die Pille genommen hat. Ein saloppes «Wird schon ok sein» dürfte als Antwort nicht ausreichen, wie Djerassi bemerkte. «In den USA stehen tausende von Anwälten bereit, die deswegen Klagen gegen Pharmafirmen führen würden.» Auch bei der Pille für die Frau sei dies ein Grund gewesen, weshalb sich die Pharmafirmen grösstenteils aus dem Geschäft zurückgezogen hätten.
Doch in westlichen Gesellschaften hat sich der Fokus in der Reproduktionsmedizin ohnehin weg von der Verhütung, hin zur Empfängnis verschoben. Bessere Methoden der künstlichen Befruchtung stehen dabei im Zentrum, so etwa die ICSI-Methode, bei der ein einzelnes Sperma direkt in eine Eizelle injiziert wird. Sie verspricht bessere Erfolgsquoten bei der Behandlung von Unfruchtbarkeit. Gleichzeitig kann beim Eingriff auch noch das Erbmaterial des Embryos analysiert werden.
Geforscht wird auch zur Möglichkeit, weibliche Eizellen einzufrieren. Denn im Gegensatz zu Spermien und Embryonen gibt es hier noch keine zuverlässigen Methoden. Sollte dies möglich sein, so Djerassi, könnte dadurch die Fruchtbarkeitsspanne der Frauen verschoben werden. Denn noch immer sind die Frauen häufig vor die Wahl zwischen Kindern und Karriere gestellt. Gelänge das Einfrieren, könnten die Frauen in jungen Jahren Eizellen einfrieren lassen und diese später, mit 40 oder 45, künstlich befruchten, wenn es die Lebenssituation besser zulässt.
Bei alledem sieht Djerassi einen Trend zur Trennung von Sexualität und Fortpflanzung. «Sex wird auch in Zukunft überall stattfinden: im Bett, im Auto, im Wald, wo es gerade Spass macht; die Fortpflanzung hingegen wird sich ins Labor verlagern», so seine zugespitzte Zukunftsprognose.