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Es war das erste Mal seit seinem Amtsantritt 2002, dass Crispin Hugenschmidt ohne Krawatte zu einer Sitzung der Projektleitung Studienreform erschien. Der legere Auftritt war nicht ganz ohne Symbolwert: Hugenschmidts Auftrag als Manager der Bologna- Reform an der Universität Zürich ist nun erfüllt. Alle sieben Fakultäten haben die Umstellung auf die neuen Bachelor- und Masterstudiengänge eingeleitet, zuletzt – mit Beginn des laufenden Semesters – die beiden medizinischen Fakultäten.
Bologna ist kein Projekt mehr. Bologna ist Realität geworden. Fünf Jahre intensiver Diskussions-, Konzeptualisierungs-, Beratungs- und Überzeugungsarbeit: Gab es Momente, in denen den Bologna-Organisator das Gefühl beschlich, der Komplexitätsgrad der Reform wachse ihm über den Kopf? Hugenschmidt lacht: «Momente? Dieses Gefühl hatte ich dauernd!» Es gehöre eben zu Reformprozessen dieser Grössenordnung, dass sie kaum von einem Punkt aus zu überblicken seien und unvorhersehbare Wendungen nähmen. «Doch immer dann, wenn der Druck besonders gross und die Auseinandersetzungen besonders heftig waren, kamen die kreativsten, die besten Lösungen zustande.»
Noch ist das Ziel nicht ganz erreicht: Einige Brocken wie die Umstellung der Doktoratsstufe und die Einrichtung von universitätsübergreifenden Studienprogrammen (sogenannten Joint Programs) müssen noch gestemmt werden, und viele Details auf der operativen Ebene sind noch zu regeln, etwa das Zulassungsverfahren für ausländische Studierende im Übergang von Bachelor zu Masterstudiengängen. Alle Beteiligten müssen sich mit den neuen Anforderungen vertraut machen. Und schliesslich gilt es, die Auswirkungen der Reform zu beobachten und allfällige Schwachstellen zu korrigieren.
Andreas Fischer – als Prorektor Geistes- und Sozialwissenschaften zuständig für die Lehre – kann trotz dieser noch ausstehenden Aufgaben ein klein wenig aufatmen. «Die heisse Phase», sagt er, «liegt hinter uns.» Er beschloss deshalb, die Projektleitung Studienreform aufzulösen; sie trat am 7. November 2007 zum letzten Mal zusammen. Ihre Aufgaben übernimmt nun die personell ähnlich zusammengesetzte Lehrkommission. Weiter entschied Fischer, die Fachstelle Studienreformen, die ihm bisher als eine Art Stabsstelle direkt unterstellt war, in den Bereich Lehre einzugliedern. Dies bot sich im Zusammenhang mit der im Juli vollzogenen Umformung des ehemaligen Prorektorats Lehre zum Prorektorat Geistes- und Sozialwissenschaften an.
«Bologna», sagt Fischer, «wirkte wie ein Katalysator. An der Universität wurde ein Selbsterneuerungsprozess ausgelöst, der weit über das ‹Reform-Soll› hinausging.» Das begann mit der Forderung, Studiengänge strukturell an die Reformbestimmungen anzupassen. Dazu mussten Lehrziele expliziter und verbindlicher festgelegt werden, was wiederum Reflexionen darüber anregte, was universitäre Lehre wie, warum und mit welchen Mitteln erreichen solle und könne. Hochschuldidaktische Fragen wurden aufgeworfen, alte Gewohnheiten in der Wissensvermittlung hinterfragt, Curricula neu überdacht. Kurzum: die Lehre wurde zum Thema, und ihr Stellenwert im Bewusstsein wuchs. Ein wirkungs- und erfolgsorientiertes, ein auf Kompetenzen statt auf reines Wissen abzielendes, ein systematisch auf die Studierenden und ihre Bedürfnisse fokussierendes Lehrverständnis fasste Fuss. Vor allem aber setzte sich die Einsicht durch, dass ein ständiges Überdenken und Weiterentwickeln der Lehre unerlässlich sei; und dies, so Fischer «ist wahrscheinlich das wichtigste, das bleibendste Ergebnis von Bologna.»
Anfänglich bemühte man sich vor allem um internationale Vereinheitlichung – um die Durchsetzung der gestuften Studiengänge und des ETCS-Punktesystems. Mit der Zeit verlagerte sich der Akzent darauf, Studienangebote und Abschlüsse verschiedener Universitäten vergleichbar zu machen. Je transparenter nun aber die Studienangebote wurden, desto klarer traten auch die Unterschiede hervor. Ein Grundkurs in englischer Sprachgeschichte an der Universität Zürich etwa vermittelt nicht dieselben Grundlagen wie einer in Cambridge oder einer in Bratislava – das fiel nun plötzlich deutlich auf. So schärfte der Vereinheitlichungsprozess paradoxerweise den Blick für die Differenzen. Das hatte so niemand vorausgesehen.
Nach Einschätzung von Prorektor Andreas Fischer brachte diese Entwicklung grosse Vorteile – zumal für eine international gut aufgestellte Hochschule wie die Universität Zürich: «Die höhere Transparenz macht die Vorzüge unserer Lehrangebote deutlicher sichtbar; sie schafft darüber hinaus starke Anreize für die Institute, ihr Profil zu pflegen und auf eine hohe Qualität in der Lehre zu achten.» Zur Qualitätssicherung werden auch klare Zulassungskriterien beitragen: «Einen Automatismus zur Aufnahme von ausländischen Mobilitätsstudierenden zu Masterprogrammen wird es nicht geben», sagt Fischer. «Wir haben die Kompetenz zu einem abschlägigen Entscheid, wenn das Profil des Bachelor-Abschlusses nicht den Anforderungen der UZH entspricht.» Ob sich die gewünschte Mobilitätskultur unter den Studierenden durchsetzen wird, lässt sich heute noch nicht sagen. Da die Bologna-Richtlinien nicht überall gleich schnell umgesetzt wurden – sehr viele Länder hinken der Schweiz diesbezüglich hinterher – wird man noch etwa fünf Jahre warten müssen, bis sich erste Effekte einstellen.
Zukünftig soll jeder Masterstudiengang 25 Prozent Mobilitätsstudierende anziehen, so sieht es zumindest ein Strategiepapier der Schweizerischen Rektorenkonferenz (CRUS) vor. Wie mit der zu erwartenden Menge von Anträgen für ein Masterstudium administrativ zu verfahren sein wird, gilt es in den nächsten Monaten zu klären. Crispin Hugenschmidt wird diese Reformphase nicht mehr begleiten. Ende November nahm er Abschied von der Universität Zürich. Die weiteren beruflichen Ziele des Juristen sind noch offen. Zunächst geht er auf Reisen. Und wer weiss: vielleicht führt seine Route ja – über Bologna.