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Religionswissenschaftler untersuchen, wie religiöse Vorstellungen gebildet werden und wie sich Religionen im Zeitalter der Globalisierung verändern. Die Einweihung des neuen Religionswissenschaftlichen Seminars an der Universität Zürich bietet Gelegenheit, einen Blick auf die Geschichte des Faches zu werfen. unipublic hat sich mit Prof. Christoph Uehlinger, Ordentlicher Professor für Allgemeine Religionsgeschichte und Religionswissenschaft und designierter Vorsteher des Seminars, unterhalten.
unipublic: Wie entstand die Religionswissenschaft als akademische Disziplin?
Uehlinger: Die Religionswissenschaft ist sowohl ein «Kind» der christlichen Theologie wie auch der europäischen Aufklärung. Die Theologie hat sich seit dem Mittelalter mit den konkurrierenden Religionen Judentum und Islam auseinandergesetzt. Die Entdeckungsreisen ab dem 15. Jahrhundert brachten zudem Kontakte mit Religionen in Asien, Afrika und Amerika. In der Auseinandersetzung damit haben nicht zuletzt Missionare eine erste Form von Religionswissenschaft entwickelt.
Und die Religionswissenschaft als Kind der Aufklärung?
Dies betrifft die Entwicklung des Faches aus der Tradition des Humanismus und der Geisteswissenschaften. Philologen und Historiker haben ausgehend von ihrem Interesse für fremde Sprachen, Kulturen und deren Geschichte wesentlich zur Erforschung nicht-christlicher Religionen beigetragen. Gleichzeitig hat die Aufklärung zu einem neuen Wissenschaftsverständnis geführt, indem die kritische Distanz zum untersuchten Gegenstand wichtiger wurde.
Diese «doppelte» Herkunft der Religionswissenschaft aus der Theologie und den Geisteswissenschaften widerspiegelt sich darin, dass das Fach an den einen Universitäten an der Theologischen und an anderen Universitäten an der Philosophischen Fakultät angesiedelt ist.
Wie verlief die Entwicklung an der Universität Zürich?
Hier entwickelte sich die Religionswissenschaft eindeutig aus der Theologie. Schon zur Zeit der Gründung der Universität Zürich 1833 gab es Vorlesungen in «Allgemeiner Religionsgeschichte» und die Religionswissenschaft gehört bis heute zum obligatorischen Bestandteil der theologischen Ausbildung.
Die Religionswissenschaft hat sich in ihren Anfängen somit vor allem mit nicht-christlichen Religionen befasst?
Ja, es bestand geradezu eine Arbeitsteilung. Die Theologie erklärt die christliche Religion, die Religionswissenschaft erforscht die anderen Religionen. Die Entwicklung der Sozialwissenschaften zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat dies verändert. Soziologen wie Emile Durkheim und Max Weber oder Psychologen wie Sigmund Freud und Carl Gustav Jung entwickelten ihre Theorien wesentlich in der Auseinandersetzung mit der christlichen Religion.
Heute interessiert sich die Religionswissenschaft zunehmend für religiöse Phänomene in der eigenen Gesellschaft – nicht zuletzt in scheinbar säkularen Bereichen wie der Kunst oder dem Film. Als Religionswissenschaftler interessiert uns, wie religiöse Vorstellungen dargestellt und weitergegeben werden.
Inwiefern haben sich neben dem Gegenstand der Religionswissenschaft auch ihre Methoden verändert?
Am Anfang der Religionswissenschaft stand die Auseinander- setzung mit religiösen Texten. Mit neuen Methoden aus den Sozialwissenschaften wurden in den 1950er-Jahren vermehrt nicht-sprachliche Phänomene wie Umgangsformen oder Rituale untersucht. Seit den 1970er-Jahren wird Religion zudem vermehrt als symbolische Kommunikation thematisiert.
Die Religionswissenschaft untersucht zum Beispiel, welche Rolle Religion in öffentlichen Diskursen spielt, seien es Diskurse der Verständigung oder des Konflikts. Religion ist im öffentlichen Diskurs heute präsenter, wird aber im Gegensatz zu früher auch als etwas Problematisches wahrgenommen.
Gerade in einer Zeit, in der visuelle Medien sehr wichtig sind, liegt es zudem nah, zu fragen, wie religiöse Identität visuell konstruiert und kommuniziert wird, beispielsweise über die Kleidung oder Architektur.
Das tönt nach einer sehr interdiszlinär ausgerichteten Wissenschaft.
Ja, die Religionswissenschaft versteht sich heute zumeist als eine Kulturwissenschaft, die geistes- und sozialwissenschaftliche Ansätze und Methoden verknüpft. Viele unserer Forschungs- projekte sind interdisziplinär ausgerichtet. Das reicht von der Zusammenarbeit mit der Archäologie über die Ethnologie bis zur Medienforschung.
Wie sieht das Verhältnis zwischen Religionswissenschaft und Theologie aus?
Entscheidend ist, dass die Religionswissenschaft als eigenständiges Fach anerkannt wird und sich als interdisziplinäre Kulturwissenschaft etablieren kann. An der Universität Zürich hat sich die Religionswissenschaft seit ihren Anfängen in einem sehr liberalen Klima entwickeln können. Sie wird von der Theologischen Fakultät nicht als Konkurrenz, sondern als Bereicherung betrachtet.
Das neue Seminar ist somit kein Abgrenzungsversuch?
Nein. Es geht darum, die Eigenständigkeit des Faches Religionswissenschaft besser sichtbar zu machen. Das Studium ist im Rahmen der Bologna-Reform neu strukturiert worden. Religionswissenschaft kann heute als eigenständiger Hauptfach- Studiengang oder als Nebenfach studiert werden.
Das Seminar soll diese Eigenständigkeit auch institutionell abbilden. Die Theologische Fakultät hat dieses Anliegen mitgetragen und die Gründung des neuen Seminars einstimmig unterstützt.