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Franz Mauelshagen, seit einigen Monaten Präsident der VAUZ (Vereinigung akademischer Mittelbau der Universität Zürich), hat drei grosse Leidenschaften: Klaviermusik, Hochschulpolitik und Naturkatastrophen.
Irgendwo im weitläufigen Kollegiengebäude hat er einen Flügel entdeckt, auf dem er zwischen Kolloquien, Sitzungen und Bibliotheksrecherchen gern übt. Er spielt Beethoven, Chopin, Alban Berg – in letzter Zeit häufig auch Bach, vor dem er grossen Respekt hat: «Man muss ja soviel über seine Musik lesen, um sie richtig zu interpretieren. Man phrasiert alles falsch, wenn man sich nicht mit der historischen Aufführungspraxis vertraut macht.»
Mauelshagen, der Historiker, will es eben genau wissen. Er wuchs im Rheinland auf, studierte in Bonn und schrieb in Zürich eine Dissertation über Schweizer Reformationsgeschichte. Seit drei Jahren ist er Assistent am Lehrstuhl für Allgemeine Neuere Geschichte bei Professor Jörg Fisch. Sein Gebiet ist die europäische Neuzeit. Über Wunderglauben und Gottesstrafen kam er zum Thema Naturkatastrophen.
In druckreifen Sätzen legt der 39-Jährige dar, worin für ihn der Reiz besteht, sich als Sozial- und Kulturhistoriker mit Erdbeben, Orkanen, Dürren, Hochwasser und Bergstürzen zu beschäftigen. Man spürt: Hier redet einer, der nicht nur etwas mitzuteilen hat, sondern sich darüber hinaus auch Gedanken macht, wie man das Interesse anderer weckt. «Als Wissenschafter will ich etwas bewegen», sagt er. Und so baute Mauelshagen in den letzten zwei Jahren ein internationales, interdisziplinäres Netzwerk von Forscherinnen und Forschern auf, die sich kulturvergleichend mit Wahrnehmung und Bewältigung von Naturkatastrophen auseinandersetzen.
Nach Argumenten, weshalb die Ergebnisse seiner Forschung heute von besonderer Relevanz sein könnten, braucht er nicht lange zu suchen. Naturkatastrophen häufen sich seit einigen Jahrzehnten. Die Reaktionen auf die Verheerungen folgen meist demselben Muster. Man konzentriert sich in der Regel, nebst viel Rhetorik und leerem Aktionismus, auf technische Massnahmen. Kommt es beispielsweise zu Hochwasser, wird über Dammverstärkungen und Flussbettverbreiterung diskutiert. «Dieses Handlungsschema ist sehr einseitig», sagt Mauelshagen, «denn Katastrophen sind ja nie reine Naturphänomene. Es sind immer auch Menschen involviert. Katastrophen haben – und das geht allzu oft vergessen – stets auch eine soziokulturelle Dimension.»
Die zentrale Frage für Mauelshagen ist demnach nicht die nach der Wucht des jeweiligen Naturereignisses, sondern die nach der Verwundbarkeit der betroffenen Ansiedlungen. Wie sind die Gemeinschaften politisch und rechtlich organisiert? Wie gut sind sie auf Eventualitäten vorbereitet? Wie sind die Dörfer und Städte baulich strukturiert? Wie wird in Ausnahmesituationen kommuniziert? All dies entscheidet mit, wie schlimm die Schäden ausfallen.
Man muss Gesellschaften in ihrer historisch gewachsenen Funktionsweise verstehen, um sie weniger verwundbar zu machen. Und genau darum bemüht sich – durchaus anwendungsorientiert – Mauelshagens Forschungsnetzwerk. NGOs wie das «Center for Research on the Epidemiology of Disasters» in Brüssel oder einzelne Rückversicherungsgesellschaften haben bereits Interesse an den Forschungsergebnissen angemeldet. Mauelshagen freuts, denn Wissenschaft ist für ihn kein Selbstzweck. «Natürlich darf man sich als Forscher seine Themenagenda nicht von der Tagesaktualität diktieren lassen. Hat man aber einmal seinen Gegenstand gefunden, sollte man es nicht verpassen, ihn auf seine allfällige gesellschaftliche Relevanz hin abzuklopfen.»
«Gesellschaftliche Relevanz», das ist für Mauelshagen auch das entscheidende Stichwort für sein Engagement bei der VAUZ. An der gegenwärtigen Stellenstruktur des Mittelbaus, sagt er, gebe es vieles zu verbessern – und der Zeitpunkt für Veränderungen sei gerade jetzt, wo an einer Neugestaltung der Doktoratsstufe im Rahmen der Bologna-Reform gearbeitet werde, besonders günstig. «Um etwas zu bewegen, müssen wir jedoch deutlich machen, dass unsere Anliegen keineswegs so partikulär sind, wie es vielleicht scheint. Die Pflege des akademischen Nachwuchses ist für die Gesellschaft von herausragender Bedeutung. Der zukünftige Rang der Schweiz als Wissenschaftsstandort hängt davon ab. Das sollte unser Argument sein.»
Primär, findet Mauelshagen, müssten den angehenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mehr Sicherheiten geboten werden, damit akademische Karrieren attraktiv bleiben. «Der Weg zur Habilitation ist steinig, und das Risiko, danach keine Professur zu erhalten, beträchtlich. Das hält manche von einer universitären Laufbahn ab.» Wie man die Perspektiven für den Nachwuchs verbessern könnte, davon hat Mauelshagen klare Vorstellungen: Die Doktorats- beziehungsweise die PhD-Stufe sei aufzuwerten und stärker zu strukturieren. Graduierte seien institutionell besser einzubinden, dafür gehöre der Zwang zur Habilitation abgeschafft. Statt befristeter Qualifikationsstellen, sprich Assistenzen im herkömmlichen Sinn, sollten nach angelsächsischem Vorbild Dauerstellen eingerichtet werden, die ein schrittweises Vorankommen erlaubten. «Die Möglichkeit, sich im Wettbewerb um kontinuierliche Aufstiegsmöglichkeiten wissenschaftlich profilieren zu können, wirkt motivierend. Zu viel Unsicherheit die eigene Zukunft betreffend schreckt dagegen eher ab.»
Mauelshagen gibt sich kämpferisch, aber auch zuversichtlich, was die Ziele der VAUZ anbelangt. Er glaubt an die Kraft der richtigen Argumente. An der Schweiz fasziniert ihn als Deutschen die direkte Demokratie und – damit zusammenhängend – die «Aufgeschlossenheit und Wachheit der Leute für politische Fragen». Was indes den Politisierungsgrad des akademischen Mittelbaus in der Schweiz anbelangt, sieht er noch einiges Aufholpotenzial: «Wir haben uns zu klein gemacht in den letzten Jahren, wir verfügen über keine Lobby, wir haben nicht einmal einen nationalen Dachverband. Die Folge: Mittelbau-Probleme fanden bisher in der Öffentlichkeit wenig Gehör, sie galten als zu gruppenspezifisch. Das sollten wir ändern.»