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«Er wird kommen wie ein Dieb in der Nacht.» Mit diesem Bild hat das Urchristentum sich einzustellen versucht auf das plötzliche Kommen des Menschensohns, des endgültigen Retters, dessen Tag oder Stunde niemand kennt. In diesen Tagen sind wir, und besonders die Angehörigen von Ueli Klöti, konfrontiert worden mit einer ganz anderen Plötzlichkeit: Wie ein Dieb in der Nacht ist der Tod gekommen und hat uns diesen Menschen entrissen.
Ulrich Klöti war mehr als zwei Jahrzehnte Professor für Politische Wissenschaft an unserer Universität. Er konzentrierte sich auf ein neu aufzubauendes Gebiet, nämlich die schweizerische Politik - einen Bereich, der für uns alle von vitaler Bedeutung ist. Seinen Forschungsgegenstand hatte er zunächst von der praktischen Seite her kennen gelernt, als Adjunkt im Direktionssekretariat der Bundeskanzlei.
In der Wissenschaft beschäftigte er sich später mit der Leistungsfähigkeit des politischen Systems, der Politikberatung, dem staatsbürgerlichen Unterricht und mit verwaltungswissenschaftlichen Themen. Müsste ich das Zentrum seines Engagements bezeichnen, würde ich als politologischer Laie das Folgende sagen: Er legte grössten Wert darauf, dass Aussagen über politische Sachverhalte gestützt waren auf einen sorgfältigen Umgang mit den Daten.
Er nahm die Politik und ihr Handeln gerade dadurch ernst, dass er sie einer soliden empirischen Analyse unterzog. Schon bei seiner Berufung wurde erkannt, dass zu Ulrich Klötis Vorzügen die intime Vertrautheit mit schweizerischer politischer Praxis gehörte, gepaart mit der Fähigkeit zu beobachtender und analytischer Distanzierung. Darin verwirklicht sich ein zentrales Anliegen von Wissenschaft überhaupt: Die Nähe zu den Dingen, die man untersucht, verbindet sich mit einem Schritt zurück, einer Distanznahme vom Gemenge des Alltags, und lässt so die wissenschaftliche Erkenntnis überhaupt erst gedeihen.
Ulrich Klöti behielt seine Einsichten nicht für sich: Er engagierte sich kompromisslos für die Bildung der Studierenden, er hielt unablässig Vorlesungen und Seminare, betreute unzählige Arbeiten. Er stand zur Verfügung, wenn es um Beratung von Bund, Kantonen, Städten und Gemeinden ging. Auf diese Weise liess er den Ertrag der wissenschaftlichen Erkenntnis wiederum der Praxis zukommen und stärkte damit den guten Ruf der Zürcher Politikwissenschaft.
Näher kennen gelernt habe ich Ueli Klöti bei seiner Arbeit in der Universitätsleitung. Und da habe ich ihn als Kollegen und Mitkämpfer schätzen gelernt. Müsste ich sein Wirken und Auftreten auf eine Formel bringen, würde ich sagen: Er war ein Berner in Zürich. Was sein Berndeutsch ausstrahlte, widerspiegelte sich in der etwas bedächtigen, ruhigen Art, an Probleme heranzugehen und mit Nachfragen nicht aufzuhören, bevor er das Problem genau erfasst hatte. Seine Ruhe empfand ich als wohltuend, besonders wenn die Universitätsleitung kontroverse Sachgeschäfte bearbeitete und schwierige Entscheide zu fällen hatte. Was man den Bernern als Sturheit anlasten könnte, habe ich bei Ueli Klöti als zähe Ausdauer erfahren. Er nahm die anstehenden Aufgaben in Angriff, eine nach der anderen, zielstrebig und sorgfältig, und legte sie erst aus der Hand, wenn er sie erledigt hatte. Oder – wie er manchmal sagte: We me afange emal öppis Bruuchbars drzue biiträit hät. Man könnte dies auch treue Zuverlässigkeit nennen, eine Eigenschaft von unschätzbarem Wert.
In Zürich traf dieser Berner auf Problemstellungen, die er weder geschaffen noch gesucht hatte. Als Prorektor Lehre war ihm die Aufgabe zugewachsen, die grösste Studienreform seit der Gründung der Universität Zürich zu begleiten und zu führen. Er tat dies mit kluger Umsicht und höflicher Beharrlichkeit. Als Sozialwissenschaftler arbeitete er sich ein in die Vielfalt und Diversität der Studienangebote dieser grossen Universität. Ihm war die Aufgabe zugewachsen, ein äusserst vielfältiges Prorektorat mit einer Ansammlung von selbstbewussten und kompetenten Fachleuten zu führen. Er tat dies, indem er mit entschlossener Zurückhaltung Strukturen klärte und Prozesse und ihre Eigner neu definierte; hier kamen ihm seine politologische Kompetenz und sein Wissen über leistungsfähige beziehungsweise aussichtslose Organisationsformen wohl am besten zustatten. Ihm war die Aufgabe zugewachsen, der Lehre und ihrer Qualität die Stange zu halten – in der Universität und in der Universitätsleitung. Er tat dies, indem er verständlich zu machen suchte, dass gute Forschung in engagierte Lehre münden muss; sonst liesse man gefundene Schätze achtlos liegen.
Am vergangenen Sonntag abend hat Ueli Klöti, beim Tennisspiel mit einem Freund, einen plötzlichen Tod durch Herzstillstand gefunden. Die Nachricht wirkte auf mich wie ein greller Blitz, der die vertraute Umgebung für einen Augenblick fremd und unheimlich macht, an dessen Realität man aber schon Augenblicke später zweifelt. Doch es ist endgültig: Wir haben keine Gelegenheit mehr, Ueli Klöti für das zu danken, was er für seine Wissenschaft und für seine Universität Zürich geleistet hat. Dieser plötzliche Tod zur Unzeit schreckt auf, er führt einem die Fragilität des Lebens vor Augen. Und er macht traurig, weil man an das denkt, was Ueli Klöti vorenthalten bleibt. Vielleicht ist es nicht nur hilflos, auch daran zu denken, was dieser frühe Tod Ueli Klöti erspart hat. Die Universität Zürich verdankt ihrem Lehrer und Prorektor viel, und sie wird ihm ein gutes Andenken bewahren.